die Giftmischerin

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"Wie meint ihr das?", fragte der König besorgt und blickte mich über die reichgeschmückte Tafel an.
Ich nahm noch einen Schluck Wein. Meine Hand zitterte, es war mühsam sie still zu halten. Es musste einfach gelingen. Wenn ich jetzt scheitern würde, hatte ich keine Chance mehr. Keine Chance mehr um die Fratellanza zu kontaktieren. Ich würde sie erst zum nächsten Neumond sehen und bis dahin war ich wahrscheinlich schon verheiratet.
"Ich wuchs mit ihr auf.", sagte ich zögernd, "Sie ist hier in der Nähe. Ich würde sie gerne besuchen. Zur Hochzeit wird sie nicht kommen können und wenn ich erst einmal Königin bin gibt es andere Verpflichtungen."
Er nickte nachdenklich, nicht wirklich überzeugt, doch er gab sich einen Ruck.
"Ich will nur das Beste für euch, Tenerezza. Und wenn es euch glücklich macht, soll es so sein."
"Ich weiß eure Güte zu schätzen.", antwortete ich erleichtert.
Es war die Wahrheit. Noch immer konnte ich es mir nicht erklären, warum er mich behandelte wie eine Göttin. Selbst Männer, die ihre Frauen wirklich liebten, kämen nicht auf die Idee, sie so zu umsorgen. Ich nahm mir vor ihn bei Gelegenheit zu fragen.
Ich tat alles um den Vorgang zu beschleunigen, ich hetzte den Pagen, hetzte den Stallburschen, hetzte die Garde, die mich begleiten sollte.
Jetzt waren nur noch sie ein Problem. Ich ritt mit ihnen in die Nähe der Festung, wo ich mich mit der Bruderschaft treffen würde. Ich stieg vom Pferd und suchte mir wahllos ein Haus aus. Um diese Uhrzeit waren die meisten Männer bei der Arbeit. Mit etwas Glück würde mir eine Dame die Tür öffnen, mit etwas mehr Glück eine, die ungefähr in meinem Alter war. Und ich hatte Glück.
Ein blutjunges Ding trat nach draußen. Ich umarmte sie freudestrahlend und aufgeregt, begann laut los zu reden, damit sie mich nicht verraten konnte. Ich griff in ihre Tasche und ließ Münze für Münze leise hinein fallen. Sie begriff schnell. Sofort setzte auch sie eine freudige Miene auf und bat mich hinein wie eine uralte Freundin.
"Holt mich ab, wenn die Sonne untergegangen ist.", rief ich ihnen zu und schloss die Tür.
"Wo ist eure Hintertür?", fragte ich. Sie lächelte. Ihr war wohl der Wunsch bekannt, dem Ehemann zu entfliehen.
"Dort lang.", sagte sie und deutete auf eine Tür, "Ich danke euch für die Gabe."
"Oh, wir sind schon so lange befreundet. Es ist nur fair." Ich zwinkerte ihr zu und verließ schnell das Haus. Ich rannte beinahe durch die Straßen Venezias. Hastig zog ich mir ein altes Gewand über.
Ich sah Gennaro schon von weiten. Er wartete am großen Tor des Gebäudes. Es befand sich in einer besonders engen Gasse. Um die Fassade schlängelten sich Pflanzen, der Rasen davor war hochgewachsen und einige Fenster waren eingeschlagen.
"Wir haben Glück.", sagte er, "Masjat ist mit den meisten seiner Kumpanen ans andere Ende der Stadt gereist. Vor Dämmerung wird er nicht wieder da sein. Ich hoffe ihr meint immer noch, was ihr sagtet?"
Ich sah ihn verwirrt an. "Natürlich tue ich das."
"Gut.", erwiderte er mit einem schiefen Grinsen, "All seine Handlanger, die hier geblieben sind, haben wir getötet."
Ich schluckte schwer. "Wenn Masjat durch das Gift zu Boden fällt, werden die übrig gebliebenen kämpfen oder?"
Er nickte. "Die meisten, ja. Sie sind komplett überzeugt von den Flausen, die er ihnen ins Hirn pflanzt."
"Werdet ihr sie erledigen können?"
"Ich denke schon. Wenn alles gut geht, müssen wir nur mit wenigen Verlusten rechnen."
Mit wenigen Verlusten? Mein Ziel war es, dass niemand sterben musste, der auf der richtigen Seite stand. Doch das war wohl ein unmöglicher Wunsch. Manchmal musste man sich nun mal opfern, um etwas voran zu treiben. Nie wieder wollte ich von ihnen hören, dass ich Mut besaß. Sie waren die wahren Helden. Sie waren bereit ihr Leben zu geben, um mich zu schützen, um einen einzelnen Mann zu töten.
"Habt ihr das Gift?", fragte er.
"Ein jeder vernünftige König hat literweise davon in der Küche stehen. Mit diesen Fässern hätte man Armeen vergiften können, ich schwöre es."
"Warum vergiften wir sie nicht alle?"
"Würde ich zu viel nehmen könnte es jemand bemerken.", antwortete ich, "Außerdem wissen wir nicht wer schneller von ihnen reagiert. Trinkt einer vor allen anderen und verreckt, weiß Masjat sofort Bescheid."
Gennaro nickte nachdenklich.
"Erfüllt ihr jetzt also euren Teil der Abmachung?", fragte ich ihn.
"Natürlich.", sagte er, verbeugte sich und wies mir an ihm zu folgen.
Wir gingen nach hinten in den Garten. Dieser war nicht so verwildert wie der Rest. Das Gras war kurz, ja beinahe zertrampelt. Überall standen Strohpuppen und Zielscheiben. Sie mussten hier oft trainieren.
Gennaro warf mir ein Schwert zu. Wie erwartet schaffte ich es nicht es zu fangen und ließ es zu Boden fallen.
Gennaro lächelte liebevoll. "Ihr werdet es schnell lernen. Es ist so einfach wie das gehen. Das Töten liegt uns Menschen im Blut wie der gerade Gang."
Ich hob es auf und ging in Kampfposition. Um uns herum versammelten sich Männer und Frauen. Sie alle waren Teil des Bundes. Teil der Revolution. Sie feuerten uns an.
Gennaro fing mit langsamen Bewegungen an. Er zeigte mir, wie ich am Besten stand, wie ich am besten auswich, am besten hinfiel. Er sagte mir jedes Mal von welcher Seite er als erstes angreifen würde, dann vollzog er seinen Angriff vorsichtig und begann von vorn.
Irgendwann wurden wir schneller und er hörte auf mir seine Taktik zu verraten. Wie von selbst trafen die Klingen aufeinander, wie von selbst ertönte das wohle Geräusch von aufeinander treffenden Stahl. Die Menge wurde lauter, ich enthusiastischer.
Gennaro war ein guter Lehrer. Ich begriff schnell, bewegte mich von Schlag zu Schlag schneller, wurde balancierter und zielsicherer.
Stunden waren vergangen als Gennaro plötzlich sein Schwert fallen ließ.
"Ihr schlag euch tapfer, Signorina.", rief er mir zu, "Ihr seid ein echtes Naturtalent. Noch einige Stunden mehr und ihr könntet gegen die ersten hier ankommen."
Ich verbeugte mich und dankte ihm so für sein Kompliment. "Ich habe noch Energie.", erwiderte ich.
Gennaro schüttelte lachend den Kopf. "Es wird nicht lange dauern bis Masjat wieder da sein wird. Seht ihr nicht? Die Sonne geht unter."
Tatsächlich. Ich hatte es nicht bemerkt. Hatte nicht bemerkt, wie die italienische Sonne ganz Venzia in Gold tauchte. Es war ein gutes Omen, dieser wolkenlose Himmel.
Eilig gaben mir die Männer eines ihrer Gewänder, für gewöhnlich trugen sei Smaragdgrün. Ich band meine langen Haare zusammen und versteckte sie unter der großen Kapuze. Das Giftfläschchen drückte ich dicht an mich.
Wir setzten uns an die Tafel und warteten geduldig auf die Ankunft von Masjat.
Gennaro saß direkt neben mir, an einem Ende, an dem wir am wenigsten auffielen.
"Er hat einen Vorkoster. Wie wollt ihr das anstellen?"
Geschockt sah ich ihn an. Ein solches Gesindel hatte einen Vorkoster? Warum gab er eine so wichtige Information erst so spät preis?
"Ihr hättet mir nicht ein wenig eher davon erzählen können?", fragte ich erbost.
"Ich dachte es wäre euch klar."
Ich rollte mit den Augen. Noch eine Hürde, die es zu überwinden galt.
"Wenn er nach seinem Essen fragt.", erklärte Gennaro, "Geht mit den anderen in die Küche."
Ich nickte. Plötzlich hörte ich Schritte. Viele Schritte. Die Tür sprang auf und Masjat trat ein gefolgt von mindestens dreißig schwer bewaffneten Männern.
Stöhnend setzte er sich.
"Wie verlief die Reise, Herr?", fragte Gennaro neben mir.
"Wunderbar.", erwiderte Masjat, "Sehr aufschlussreich. Wie ich hörte wird die Hochzeit bald stattfinden."
"Euch geht es immer noch um die Hochzeit?" Gennaros Stimme wurde heiser.

Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt