Der barbarische König

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LESEPROBE



"Diebin!", schrie der Händler, mit dessen Brot ich gerade davon rannte.
Er versuchte nicht einmal mir hinterher zu rennen. Die Wachen waren ohnehin überall. Sie sahen  und verfolgten mich. Doch ich war schneller. Ich lief durch bekannte enge Gassen und Abkürzung, brauchte nicht lange bis ich sie abhängen konnte.
Lässig schlenderte ich zu dem heruntergekommenen Schusterladen am Rande der Stadt.
Ich erinnerte mich. Einst war es ein prächtiges Gebäude, doch die Zeit ließ es  verfallen. Es war nicht daran zu denken Geld in ein Haus zu stecken, dass noch genug Schutz bot. Es gab andere Dinge für die wir unser Geld sparen mussten.
Es war eine grausame Zeit angebrochen seit der barbarische König, wie wir ihn nannten, den Thron bestiegen hatte. Sein Name war Emilio Cafissi. Als er noch ein einfacher Adliger war, schwang er Reden über Reden. Er versprach den Bürgern mehr Freiheiten und Mittel, weniger Steuern und Willkür. Doch noch am Tag seiner Krönung, als er den alten König hinrichten ließ, durch die Hilfe seiner blinden Anhänger, sendete er seine Truppen aus um den Menschen Gewalt anzutun und sie als Soldaten für den Krieg zu holen.
Leopold hatte mir alles erzählt. Meine Eltern waren einige der ersten, die hatten sterben müssen. Sie hatten sich von Anfang an gegen Emilio gestellt und seine Lügen erkannt. Sie hatten öffentlich gegen ihn gehetzt und ihn angeprangert. Dafür gab es nur eine Strafe, die diesem Tyrannen genug war.
Doch sie hatten nichts übrig gelassen, dass meine Existenz verraten konnte. Ich war nur ein Schatten in Venezia. Eine Weise, die versuchte zu überleben.
Schon seit nun mehr zehn Jahren lebte ich bei Leopold, dem alten Schuster. Ich erbeutete uns Essen. Im Gegenzug bot er mir ein Dach. Wir hatten nicht viel Geld, um uns am Leben zu halten, doch wer hatte das in diesen Zeiten schon noch? Wahrscheinlich gab es keinen einzigen Menschen mehr, der sich rühmen konnte, noch niemals gestohlen zu haben. Wir waren darauf angewiesen. Wir verdienten nichts mehr, so hart wir auch arbeiteten. Schuhe mussten wir für die Wachen umsonst anfertigen und die normalen Bürger gaben nicht einmal im Traum Geld für solch einen Luxus aus. Einmal in der Woche ließ sich ein weitreisender Adliger blicken, der für unsere Dienste bezahlte. Von dem Geld schaffte es Leopold nur knapp die hohen Steuern des barbarischen Königs zu bezahlen. Für wahr, dieser Mann trieb sein Volk bei vollem Bewusstsein in den Ruin. Doch es scherte ihn nicht. Er setzte auf die Unterwürfigkeit der Adligen und die Angst seines Volkes.
Bleich saß Leopold in seinem Schaukelstuhl im obersten Stockwerk des zerfallenen Hauses. Der leichte Sommerwind wehte hinein und wirbelte den Staub auf. Man sah die Flusen ganz leicht durch das Licht, das seinen Weg durch einige Spalte der zugenagelten Fenster fand.
"Ich habe Essen.", sagte ich und kniete vor ihm nieder um besser in seine beinahe weißen Augen zu sehen.
Leopold war nicht mehr der Mann, zu dem ich vor zehn Jahren geflohen war. Diese Zeiten saugten das Leben aus ihm. Er war nicht mehr weit davon entfernt auch seine letzte Kraft zu verlieren.
Ich zerbrösselte das Brot und fütterte ihn damit. Er antwortete nicht sondern versuchte mit der Nahrung in seinem Mund zu kämpfen.
Ich legte ihm den Rest in seinen Schoß, verbeugte mich und trat aus dem dunklen Geschäft.
Heute Nacht würde er sterben, ich war mir sicher. Doch was sollte ich dann tun?
Ich würde auf der Straße enden. Allein und ohne einen Namen, eine Daseinsberechtigung.
Ich schauderte bei dem Gedanken. Wahrscheinlich war ein bekannter Name in diesen Zeiten das Einzige, das fähig war einen zu schützen.
Ich atmete tief aus und beschloss noch ein wenig Medizin zu stehlen. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt die richtige stahl, doch ich konnte den Mediziner schlecht fragen und dann bestehlen. Also nahm ich mir jedes Mal etwas anderes und probierte ob es half.

Als ich von meinem Raubzug zurückkam, bemerkte ich eine Veränderung. Irgendwas ließ mich zusammenzucken und aufhorchen. Vorsichtig kletterte ich wie immer das Haus an der Fassade empor. Ich hielt mich an den Brettern fest und lugte durch die Schlitze. Da waren zwei Wachen. Sie musterten den wahrscheinlich toten Leopold. Ich erkannte, wenn er nur schlief und ich war mir sicher, ich würde erkennen, wenn er endlich diesem grausamen Leben für immer entflohen war.
"Mausetot.", sagte einer der Wachen nachdem er seinen Puls gefühlt hatte.
"Der König wird sauer sein. Wir sollen foltern und dann töten, nicht sofort töten."
"Wir können nichts dafür.", meinte der andere, "Es wundert mich das er nicht schon seit Jahren tot ist. Wer soll ihn versorgt haben? Er hat keine Angehörigen."
"Mir doch egal. Er ist tot. Also lassen wir ihn hier vergammeln. Los."
Sie gingen wieder die knarrenden Treppen empor und liefen zurück in Richtung des Schlosses.
Was wollten sie von Leopold? Warum wurden sie angewiesen ihn zu foltern? Für was sollte er belangt werden?
Es überraschte mich wie wenig mich sein Tod scherte. Es machte mich nachdenklich, wie gefühlslos ich geworden war.
Ich atmete tief aus und ließ mich in zurück in den Dreck fallen.
Eigentlich hatte ich geplant noch einige Nächte nach seinem Tod in dem Haus zu verweilen, doch jetzt wussten die Wachen Bescheid und ich durfte kein Risiko eingehen.
Also lief ich ohne ein Ziel in Richtung Markt. Ich wusste nicht nach was ich suchte, ich wusste nicht warum ich dort suchte, ich wusste nicht einmal ob ich überhaupt etwas suchte.
Doch es war als hätte mich das Schicksal genau da, wo es mich haben wolle.
Es war als hätte mich eine höhere Macht an jenem Tag, an jenen Ort geführt.



Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt