Die Schneiderin

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An der Seite des Anführers ging ich durch die leeren Gassen Venezias.
Nur wenige Personen gingen zügig von einer Tür zur nächsten, um kein Opfer von Gewalt oder Diebstahl zu werden. Die restlichen scheuten die Stadt schon lange und versuchten jeden unnötigen Schritt nach draußen zu vermeiden.
"Wie also heißt ihr?", fragte ich leise.
"Mein Name ist Masjat.", antwortete er kurz und knapp.
"Und was wollt ihr mir so dringendes zeigen?"
"Eine Verbündete bei der ihr für eine Weile unterkommen werdet, Signorina Pollina."
"Ich habe noch so viele Fragen."
"Nicht hier.", er drehte sich schnell um und sah nach, dass uns auch niemand folgte, "Die Ohren des barbarischen Königs sind überall. Schweigt bis wir da sind."
Also tat ich was Masjat sagte und folgte ihm ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Wir gingen durch enge Gassen hindurch bis zu den Reichenvierteln. Ich bemerkte, dass hier immer mehr Leute auf den Straßen zu sehen waren. Jedoch auch bedeutend mehr Wachen.
Masjat winkte mich zu einer kleinen Tür eines Schneidergeschäftes an der Ecke eines Marktplatzes. Er klopte drei Mal. Es dauerte nicht lange bis eine junge Frau die Tür öffnete. Sie ließ uns hinein und drehte dann schnell den Schlüssel im Schloss um.
"Signora Catalano.", begrüßte er die Frau und gab ihr einen sanften Kuss auf die Hand.
Sie lächelte.
Sie war eine schöne Frau. Gesegnet mit einer prächtigen Figur, einem schmalem Gesicht und welligen blonden Haar.
"Ist sie das?", fragte sie und musterte mich.
Wie konnte sich die Kunde über mich so schnell weiter gesprochen haben?
Masjat nickte. "Behandelt sie gut. Ich muss gehen.", er wendete sich zu mir, "Signora Catalano wird euch alles weitere erklären. Haltet euch an sie. Wir werden uns bald wieder sehen."
Noch bevor ich ein Wort sagen konnte, war er bereits durch eine Hintertür verschwunden.
Signora Catalona lächelte sanft und fürsorglich und strich mir meine krausen Haare aus dem Gesicht.
"Mein Name ist Mia Catalano. Ich führe dieses Geschäft hier."
"Ich heiße Aurora Pollina."
Mia nickte und holte ein Maßband aus einer Tasche ihres Kleides hervor. "Es schickt sich nicht in solchen Vierteln mit solch einem Aussehen aufzutreten, Signorina Pollina. Ich werde euch ein schönes neues Kleid suchen. Währenddessen könnt ihr im oberen Stockwerk baden."
Sie legte das Band um meine Taille, meinen Busen, Arme und Beine. Dann schickte sie mich weg, um in Ruhe arbeiten zu können.

Ich atmete tief aus und sog den warmen Dampf des Wassers ein. Es fühlte sich unglaublich an. Mein letztes Bad musste Jahre her sein. Ich hatte vergessen wie es war, nicht zu frieren.
Ich schloss meine Augen und dachte nach.
Es war zu schnell gegangen. Alles.
Sie hatten mich verschleppt, überredet ihnen zu helfen und mich dann zu einer wild fremden Frau gebracht. Dabei kannte ich diese Leute nicht. Ich wusste nichts von ihnen, doch sie anscheinend eine Menge über mich. Ich war mir nicht sicher, ob sie die Wahrheit sprachen, ob sie mich tatsächlich das erste Mal sahen, an jenem Tag. Woher wussten sie so viel über meine Eltern und Leopold, über mein komplettes Leben? Und warum brauchten sie mich? Ihre Gründe machten keinen Sinn. Ein Revolutionssymbol. Ich war maskiert gewesen. Sie hätten mich durch jeden anderen ersetzten können. Jemanden, der kämpfen konnte.
Ich tauchte hinab in das angenehme Nass und versuchte meine Gedanken zu verdrängen.
Die Wahrheit war, es war mir egal. Mir waren diese Menschen egal. Ich würde ihnen versuchen zu helfen, schließlich verfolgten sie das selbe Ziel wie ich. Würde ich dabei sterben, starb ich zumindest mit dem Wissen etwas bewirkt zu haben. Über was also machte ich mir Gedanken?
Es klopfte an der Tür. Ich tauchte wieder auf.
Mia trat hinein. In der Hand hielt sie ein wunderschönes blaues Kleid.
"Ich dachte es würde gut zu deinen Augen passen.", sagte sie und übergab es mir.
Dankend nickte ich ihr zu und zog es an. Mia kämmte meine Haare und trug mir ein wenig Rouge auf.
"Ihr seid eine echte Schönheit, Signorina Pollina. Ihr seid perfekt."
Was meinte sie damit? Perfekt war ich ganz bestimmt nicht. Es kam mir vor als würde sie eher über eine Position reden für die ich perfekt geeignet war.
"Darf ich euch eine Frage stellen?", sagte ich leise.
"Nur zu.", antwortete sie.
"Warum helft ihr Masjat und seinen Männern?"
Ihr Gesicht wurde ernst. "Denkt nicht ich würde nicht ebenso unter der Herrschaft des barbarischen Königs leiden. Auch ich werde nicht ausreichend für meine Arbeit bezahlt, trotz dass ich die Kleider für die hohen Damen anfertige. Wie ein jeder wünsche ich mir die Zeit zurück in der ich ausreichend für meine Arbeit entlohnt wurde."
Sie zog mein Kleid empor und befestigte einen Dolch an meinem linken Bein mit einem Band.
"Ich hoffe nicht, dass ihr ihn benötigen werdet, aber wir gehen lieber sicher. Ich habe einen Auftrag für euch, seid ihr bereit?"
Ich nickte, tatsächlich ein wenig aufgeregt.
"Geht über den Markt immer geradeaus. Irgendwann werdet ihr einen Bücherladen sehen. Fragt dort nach Signor Ciorcalo. Er muss für uns eine Einladung zum nächsten königlichen Ball anfertigen. Wir haben kein Geld. Überzeugt ihn mit allen Mitteln, wenn nötig mit Gewalt. Wir brauchen dieses Dokument. Danach kommt schnell zu mir zurück."
Ich nickte ohne wirklich den größeren Plan hinter all dem zu verstehen. Doch ich hatte geschworen ihnen zu helfen und zu folgen. Also würde ich genau das tun.
Ich nickte und trat aus dem Haus und folgte dem Weg, den mir Mia beschrieben hatte.

Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt