Ich wusste, dass Mia mir den einzigen Wunsch, den ich hatte, nicht abschlagen konnte.
Wahrscheinlich empfand sie Mitleid und antwortete mir deshalb so schnell auf meine Bitte.
Es dauerte nur drei Tage bis mir Matteo eine Nachricht von ihr übergab.
Wir liefen uns in der Schlossbibliothek über den Weg. Eilig zog er mich hinter eines der großen Regale.
"Sie werden euch heute, um Mitternacht, auf dem kleinen Hof im Armenviertel treffen. Erscheint pünktlich."
So schnell er gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Ich atmete tief aus und presste meinen Körper gegen die Bücher. Wie nur sollte ich an all diesen Wachen vorbei gelangen? Tatsächlich hatte ich auf ein wenig mehr Unterstützung von Matteo gehofft. Irgendeine Ausrede für den König, einen Tipp, eine Idee, irgendwas.
Ich schluckte schwer. Anscheinend war es nun ganz an mir einen nächtlichen Ausbruch zu planen.
Ich begann durch das Schloss zu gehen, inspizierte Ein- und Ausgänge, Fenster und die Wachen, die vor ihnen standen. Ja, der König hatte nicht gespart, was meine Sicherheit anbelangte. Es war unmöglich sich an ihnen vorbei zu schleichen. Es musste einen anderen Weg geben.
Vielleicht gab es hier unterirdische Gänge. Irgendwelche Tunnel, die dafür gebaut wurden, um eine mögliche Flucht zu gewährleisten. Ich hatte schon oft von so etwas gehört.
Doch wo ich auch suchte, ich fand nichts. Keine Treppen, die nach unten führten, keine Wände, die sich von anderen abhoben.
Gerade als ich aufgeben wollte, schritt mir der König entgegen und mir kam eine Idee.
Ich setzte das kläglichste Gesicht auf, dass ich machen konnte.
"Was ist los, tenerezza?", fragte er und umfasste meine Hüfte sanft.
"Mir ist nicht wohl.", antwortete ich, "Seit Tagen schon kann ich nicht schlafen. Der Angriff dieses Mannes war ein Schock für mich."
Besorgt musterte er mich. "Kann ich etwas tun, damit ihr euch besser fühlt? Ich kann mehr Wachen anheuern."
Schnell schüttelte ich meinen Kopf. Das war etwas, das meiner Sache ganz und gar nicht diente.
"Nein.", erwiderte ich trotzdem dankbar, "Nacht für Nacht verfolgt mich ein Traum. Ich träume, dass sich tausende von Bürgern zusammenschließen und einfallen, in diese heiligen Hallen, wie wilde Tiere. Jedes Mal aufs Neue bin ich ihnen ausgesetzt, kann nicht fliehen wohin ich auch renne."
"So etwas würde niemals passieren.", sagte der König schnell, "Ihr seid hier absolut sicher, schöne Aurora."
"Ich fühle mich auch sicher, doch mein Inneres tut es nicht. Gäbe es doch irgendwas, das mich beruhigen könnte.", meinte ich und sah traurig zu Boden.
Ich hoffte inständig, dass ich nicht noch mehr Andeutungen machen musste.
Gott sei Dank verstand er. "Tenerezza, fürchtet euch nicht.", sagte er, "Wenn ihr keinen Ausweg mehr wisst so geht in den Salon im unteren Stockwerk und steigt hinab in die Tiefe durch die große Statue in der Ecke des Raumes. Lange Gänge werden euch führen wohin ihr nur wollt."
"Tatsächlich?", fragte ich und sah ihn glücklich an, "So etwas gibt es hier wirklich?"
Er nickte freudig, scheinbar beruhigt durch meine plötzliche Sorgenfreiheit.
Ich machte einen Knicks und sah ihm tief in die Augen. "Ich danke euch mein König. Der Traum wird dahin gehen, ich spüre es. Er wird keinen Halt mehr haben, wenn ich keine Angst mehr empfinde."
Still wartete ich in meinem Bett. Ich hörte wie die Schritte von Zofen und Dienern Stunde für Stunde leiser und weniger wurden bis sie schließlich komplett verschwanden und sich das ganze Schloss zum Schlafen legte. Vorsichtig zog ich meine Kleider an und schritt aus meinem Zimmer durch die dunklen Gänge.
Ich war den Weg, gleich nachdem ich von ihm erfahren hatte, einige Male abgelaufen und ging deswegen nun zielsicher in Richtung des Salons.
Möglichst geräuschlos trat ich ein, ging zu der großen Statue, einem Mann mit breiter Brust und erhobenen Haupt aus reinem Marmor, und betastete sie in der Hoffnung nicht lange suchen zu müssen. Doch tatsächlich, als ich am Ende des rechten Arms einen Finger berührte löste sich ein Mechanismus und die Figur sprang bei Seite und tat ein schwarzes Loch auf. Ich zündete die Kerze an, die ich bei mir trug und stieg herab.
Ein kühler Luftzug schlug mir entgegen als ich mit meinen Füßen auf dem steinigen, nassen Boden aufkam. Ich schritt voran ohne wirklich die Hand vor meinen Augen zu sehen. Die Kerze brachte nur wenig bei der unglaublichen Dunkelheit, in der ich mich befand.
Ich zählte meine Schritte und verglich sie mit denen, die ich sonst heraus aus dem Schloss tat.
Noch bevor ich überhaupt damit gerechnet hatte entdeckte ich ein Licht. Ich zog mir die Kapuze meines Gewandes über und beschleunigte meinen Schritt. Durch einen alten Mieneneingang, nicht weit von meinem eigentlichen Ziel entfernt, erreichte ich wieder das Freie.
Es war still, bis auf den Wind, der heulte und die weitentfernten Stimmen aus niemals schließenden Gasthäusern. Ich erkannte den Platz, von dem mir Matteo erzählt hatte, und ebenso erkannte ich eine schwarze, männliche Gestalt, welche unheilvoll dastand und beobachtete, wie ich näher kam.
Ich versuchte keine Angst zu zeigen, sondern lief mit erhobenen Haupt auf ihn zu. Kurz vor ihm verbeugte ich mich, er tat es mir ebenso nach. Dann nahm er meine Hand und führte mich in eine enge Gasse bis zu einem Hinterhof, versteckt durch eine große Mauer, bewachsen mit Moos und Blumen.
Ein warmes Feuer knisterte um welches sich ungefähr vierzig Personen versammelten.
Sie alle nahmen, Mann für Mann, ihre Kapuzen ab und sahen mich an. Auch der Mann, der mich her geführt hatte und ganz dicht neben mir stand, nahm seine Kapuze ab.
Ihn konnte ich besser erkennen als die anderen. Er hatte schmale Gesichtszüge, weißblonde Haare und eine sehr blasse Haut. Um seine blauen Augen zogen sich tiefschwarze Augenringe, die ihn älter machen als er war, wahrscheinlich ein wenig jünger als ich. Ein Jahr vielleicht.
Auch ich befreite mich von meiner Kapuze und blickte in die Gesichter der Männer.
Ich verbeugte mich leicht vor ihnen und lächelte sie an. "Danke, dass ich euch sehen darf.", sagte ich in die Runde hinein, "Ich habe so viele Fragen an Euch."
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Aurora Pollina - die maskierte Kriegerin
Historical FictionAurora Pollina ist die Tochter eines Bauern im italienischen Mittelalter. Als ein neuer König die Macht ergreift versinkt ihr Land in Armut und treibt die Menschen zur Hungersnot. Trotz ihres mangelnden Einflusses versucht sie schon bald den König...