"Ihr seid oft weg.", stellte der König fest als wir über die kleinen Wege seines prachtvollen Gartens liefen.
Ich nickte. "Ich bin eine vielbeschäftige Frau, Herr.", antwortete ich.
Es war nicht viel Zeit vergangen seitdem ich Masjat vergiftet hatte. Nicht einmal eine Woche.
Eine Woche in der ich vorerst den Kontakt zu der Fratellanza mied, um das Misstrauen des Königs nicht zu erwecken.
Doch es brannte mir auf dem Herzen. Ich musste sie wiedersehen, wollte nicht pausieren.
Ja, der Tatendrang verfolgte mich wohin ich nur ging. Es hatte sich gut angefühlt etwas zu erreichen. Es hatte sich gut angefühlt das leblose Gesicht derer zu betrachten, die es verdienten.
Am liebsten hätte ich den König sofort umgebracht, um all das Leid endlich zu beenden. Doch dann war auch mein Ende besiegelt und nicht nur das, noch unterstützten die Adligen sein Regime.
Nicht lange und es würde ein neuer König dieses Land regieren. Vielleicht noch viel schlimmer als jetzt. Was Venzia brauchte, was ganz Italien brauchte, war ein Umsturz. Einen gütigen Herrscher, der die Menschen so behandelte wie sie es verdienten.
"Was tut ihr, wenn ihr in Venzia umherwandelt?", fragte er interessiert und ließ sich auf eine Bank nieder, auf der man einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt hatte. Ich setzte mich neben ihn.
"Nun, ich besuche Freunde und erkunde die Gegend. Nur so finde ich vielleicht Geschäfte, Waren oder Menschen, in die es sich zu investieren lohnt. Ich will euch bei Seite stehen und euren Reichtum verdoppeln.", erwiderte ich.
Der König lachte. Ausgiebig. Mit einer Lache, die ihn plötzlich so jung wirken ließ, wie er auch wirklich war. Kurz erlosch das Böse aus seinem Gesicht. Kurz fand ich die Güte in den Tiefen seiner Augen. Doch es waren nur Momente. Dann wirkte er wieder ernst und steinhart.
Noch etwas, dass mich verfolgte. Emilio Cafissi war ein Rätsel für mich.
"Darf ich euch etwas fragen, mein Herr?"
Er sah mich liebevoll an und nickte. "Alles was ihr wollt, Tenerezza."
"Auf eine Art und Weise seid ihr grausam, das könnt ihr nicht abstreiten."
Erneut lachte er auf. "Ihr versüßt mir meinen Tag, Tenerezza.", flüsterte er, "Ihr bringt mich tatsächlich zum Lachen. Das ist wahr, ja, ich bin grausam."
"Warum nicht zu mir?"
"Wie könnte ich?", fragte er beinahe schockiert über meine Frage, "Ich behandle die Menschen, die mir wichtig sind, stets mit Anstand und Würde. Kein Haar würde ich euch krümmen!"
Für wahr, eine solche Antwort hatte ich nicht aus seinem Mund erwartet.
"Und was ist mit den anderen? Warum tut ihr all das?"
"Politik.", antwortete er, "Wenn ich eines gelernt habe, dann das man nur durch Angst die Macht über das Volk besitzt. Ihr saht was mit meinem Vorgänger passierte. Er war ein viel zu gütiger Herrscher. Ich fand einige Streitpunkte, tischte sie den Bürgern auf und schon kämpften sie für mich, mit mir. Etwas, dass sie nicht wagen würden, jetzt da ich regiere."
Ich verkniff mir ein Lächeln. Würde er doch nur ahnen. Einen Hauch von Wissen haben, dann würde ihm klar werden, dass eine seiner Feinde genau vor ihm saß.
Sie waren ironisch, die Worte, die er sprach. Er wollte mir erklären, wie er seinen Vorgänger abgesetzt hatte und lehrte mir währenddessen, wie ich ihn absetzten konnte.
Es brauchte nur die Masse, die Mehrheit der Menschen.
Ich brauchte ihre Zustimmung, ihre Kraft, ihre Überzeugung. Was sollte er tun, wenn ein ganzes Volk die Tore seines Schlosses überrannte?
Doch zuerst musste ich die Bürger wecken, musste ihnen zeigen, dass es Menschen wie sie gab. Menschen, die nicht länger ein solch klägliches Leben leben wollten.
Sie mussten erfahren, dass es eine Gruppe gab, der sie sich anschließen konnten.
Doch wie sollte ich es anstellen? Wie sollte ich mich aus dem Schloss schleichen, ohne dass jemand irgendwann auf mich kommen würde? Die Königin, die niemand sah, genau dann, wenn Angriffe geschahen. Sobald jemand beginnen würde, meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, sobald jemand beginnen würde Nachforschungen um meine Wenigkeit anzustellen, hatte ich verloren.
Augen und Ohren gab es überall. Irgendwann würde man etwas über mich erfahren, dass mir Schaden würde.
Doch wie konnte ich den Schein der liebevollen Ehefrau, der treuen Dienerin wahren?
So viel hatte ich mir ausgemalt, doch ein Plan war dümmer als der andere.
Ich dachte an eine Krankheit, die mich Monate ans Bett fesseln würde, so ansteckend, dass mich niemand sehen durfte. Doch was, wenn mich jemand erkannte oder der König doch nach mir sah und ein leeres Bett auffinden würde, kurz nachdem ihn die Nachricht von Aufständen in der Stadt erreichte.
Ich dachte an einige Geschäfte, die ich kaufen konnte und in denen ich zu verweilen vorgab. Doch erneut stellte sich die Frage. Plötzliche Besuche des Königs oder verräterische Münder und Blicke konnten meinen Tod bedeuten.
Letztendlich kam ich auf nur eine Möglichkeit.
Einen Doppelgänger. Eine junge Frau, die ab und zu für mich agieren konnte. Ich musste den König liebkosen, verwöhnen, bei Seite stehen, genau dann, wenn sie Unruhen stiften würde.
Ein paar Mal, immer mal wieder, und er würde nicht einmal darüber nachdenken, dass ich in irgendwelche Revolutionsgruppen integriert war.
"Darf ich die werte Schneiderin zu mir bestellen?", fragte ich höflich, "Es gibt letzte Änderungen an dem Kleid."
Der König nickte. "Ihr müsst mich nicht fragen.", antwortete er, "Holt sie zu euch, wann immer es euch beliebt. Ihr solltet die schönsten Kleider im ganzen Königreich tragen."
Ich verbeugte mich sanft im Sitzen.
Venezia war eine wunderschöne Stadt, bemerkte ich, als ich so hinab zu den Häusern sah. So schön, dass ein Außenstehender es nicht gewagt hätte den Frieden hier in Frage zu stellen.
Doch der König beachtete nicht die Stadt. Nein, er musterte nur mich. Besah meinen Körper, meinen Busen, der durch das Kleid sehr viel voller wirkte, als er eigentlich war. Ich schluckte schwer.
"Warum seht ihr mich so an?", fragte ich schüchtern.
Er lächelte, lächelte mich an wie ein Liebender seine Liebste, wie ein Künstler seine Muse, wie ein Musiker sein bestes Lied, wie der Direktor sein größtes Theaterstück, wie der Dichter das Gedicht, das tausende zu Tränen rührte.
"Ihr seid die schönste Frau, die ich jemals in meinem Leben sah. Ihr seid schöner als Venzia, Firenze und Roma zusammen, Tenerezza."
"Ich bin mir sicher ihr saht schon schönere Frauen.", antwortete ich leise, "Doch ihr ehrt mich, meine Majestät."
Er kam näher, ganz nah, legte seine Hand auf meinen Schenkel. "Bei Gott, noch lass ich euch so etwas durchgehen, noch geziemt es sich so, doch wenn ihr erst einmal nackt in meinem Bett liegt möchte ich aus eurem Mund nie wieder die Worte Herr, Majestät oder König hören. Dann bin ich nur noch eines. Emilio Cafissi. Dein treuer Ehemann. Keine Kurtisanen werde ich mir halten, so wie es die Säcke der Grafschaften tun. Ihr mögt es nicht glauben, doch ich bin ein liebevoller Gatte. Ich glaube an die Treue und an Liebe."
Mein Atem beschleunigte sich, er fuhr mit seiner Hand ein wenig höher.
Was war er nur, dieser König? Ein liebevoller Barbar? Ein barbarischer Liebhaber?
Wie sollte ich nur glauben, dass er tatsächlich solcherlei Schandtaten befohlen haben soll, wenn er mich mit solchem Respekt behandelte.
"Eure Worte sind Gold wert, in der heutigen Zeit.", erwiderte ich und spreizte die Beine ein wenig mehr, um meine Pflicht zu erfüllen. Doch es störte mich nicht sonderlich, der Eckel war wie verflogen. "Bleibt ihnen treu.", flüsterte ich leise, "Dann wird euch Gott gnädig sein."
Er lachte auf. "Ich glaube nicht an Gott.", meinte er, "Der heidnische Glaube steht mir besser, meint ihr nicht auch? Gäbe es Gott, würde er mich nicht solche Taten tun lassen."
"Oder er prüft die Menschen Venezias mit eurer Herrschaft, die er schon bald zu beenden droht. Seid euch niemals zu sicher, Herr, das könnte euch das Leben kosten."
Er lächelte mich verblüfft an. "Ihr seid eine wahrhaft kluge Frau. Jedes Wort aus eurem Mund empfinde ich als reine Befriedigung. Wie gern ich noch mit euch plaudern würde, Tenerezza. Doch leider muss ich jetzt zu einem Treffen mit dem Fürsten aus Langhaar."
Ich lachte. "Gibt es ein solches Land tatsächlich."
"Nein.", sagte er und stand amüsiert auf, "Doch ich vergesse den Namen immer wieder, kann mich jedoch stets an das graue Haar erinnert, dass er niemals abzuschneiden pflegt. Jedes Mal erneut kann ich seinen Worten nicht folgen, weil ich zu beschäftigt damit bin, seine Ehefrau zu bemitleiden. Sie muss bei dem Akt jedes Mal ersticken bei so viel Haar."
Ich lachte laut auf. Wie konnte er sogar so etwas wie Humor besitzen?
"Ich hörte mit dem Alter fallen sie eher aus.", meinte ich.
"Nicht bei ihm.", rief der König während dem Gehen, "Sie wachsen und gedeihen und beginnen eine grünliche Farbe anzunehmen."
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Aurora Pollina - die maskierte Kriegerin
Historical FictionAurora Pollina ist die Tochter eines Bauern im italienischen Mittelalter. Als ein neuer König die Macht ergreift versinkt ihr Land in Armut und treibt die Menschen zur Hungersnot. Trotz ihres mangelnden Einflusses versucht sie schon bald den König...