der gute Ruf der Königin

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Der Tag gehörte der Königin.
Von morgens bis abends musste ich Audienzen halten, zeigte mich in der Öffentlichkeit und sprach zu den Menschen. Stets redete ich ihnen ein, der König würde aus guten Gründen handeln. Ich erzählte ihnen Lügen über baldigen Reichtum, über neue Ländereien. Ich machte ihnen weis, dass er ein guter König sei und stets nur das beste wolle, meist aber handelte bevor er dachte. Ich versprach ihnen, dass sich alles ändern würde. Ich versprach ihnen ein neues Leben.
Doch die Nacht gehörte der Rebellin.
So oft ich kannte stieg ich hinab in die Stadt oder ließ heimlich einen der Männer kommen. Wir besprachen, planten, dachten nach. Doch stets kam die selbe Diskussion auf.
"Wir müssen schon bald einen Angriff starten.", redete Matteo auf mich ein, "Wenn wir unsere Chance verpassen, sind wir tot."
Doch ich ließ nicht mit mir reden. Ich vertraute in Emilio. Ich vertraute darauf, dass er schon bald den richtigen Weg wählen würde.
"Heute hörte ich einen jungen Burschen von der Königin schwärmen. Er erzählte jedem, dass sie ihm das Leben gerettet haben soll.", teilte uns einer der Männer mit als ich wieder einmal bei ihnen war und meine Kampfstunden absolvierte.
"Tatsächlich?", fragte ich und stieß Gennaro das Schwert entgegen, der geschickt abblockte, "Wahrscheinlich der Junge, der den König beleidigte."
"Nicht nur er.", fuhr er fort, "Eine Menge Bürger stimmten ihm zu und freuten sich darüber, dass es nun besser werden würde. Es tritt ein, was wir befürchteten. Ihr arbeitet gegen euch selbst."
Ich ließ wütend mein Schwert fallen und ging auf ihn zu. "Dann sorge ich dafür, dass eine Seite besser arbeiten wird als die andere."
Ich griff nach meinem Umhang und schwang mich auf mein Pferd.
"Was habt ihr vor?", fragte Gennaro perplex, der augenblicklich sein Schwert einem Burschen zuwarf und mir folgte.
"Ich überzeuge die Menschen, dass diese Königin nichts weiter ist als eine taktische Figur."
"Und wie wollt ihr das anstellen?"
"Lasst das meine Sorge sein."
Ich lächelte ihm keck zu und spurte das Pferd noch bevor er etwas erwidern konnte.
Heute war keine besondere Feierlichkeit, kein großer Markt. Weniger Leute würden mich hören, doch umso geringer war die Chance, dass ich geschnappt werden würde. Zu wenig Wachen waren unterwegs, wenn nichts besonderes anstand.
Nahe der größten Kirche Venezias sattelte ich ab. Mein Kampftalent musste ich mir erst erarbeiten, doch etwas in dem ich gnadenlos begabt war, war das Klettern und das Rennen. Die Zeit, als ich mir jede Mahlzeit erstehlen musste, lehrte mich geschwind zu sein und Verfolger abzuhängen, so schnell wie möglich.
Also suchte ich mir eine ruhige Ecke und begann zu klettern. Zum ersten Mal hätte ich Gennaro Recht gegeben, wenn er mich als riskant bezeichnet hätte. Ja, das war es tatsächlich. Ein falscher Schritte konnte tödlich sein, denn dann würde ich ohne Halt hinab stürzen. Viele Meter bis ich unsanft auf dem Boden aufkommen würde und mein Körper wie eine Porzellanpuppe in tausend Stücke zerbrach. Doch ich vertraute in meine Fähigkeiten.
Desto höher ich stieg, desto stärker wurde der Wind. Sicher griff ich Fenster für Fenster, Einkerbung für Einkerbung, Holzbalken für Holzbanken bis ich endlich den großen Kirchturm erreicht hatte.
Mein Plan war töricht, doch aus Erfahrung konnte ich sagen, dass solche Pläne meist die besten waren.
Ich brachte die Glocke zum läuten, schubste sie an mit all meiner Kraft. Zufrieden sah ich wie die Leute verwundert nach oben sahen, denn diese Glocke hatte erst vor einigen Minuten geschlagen.
Die Wachen auf dem Markt gingen auf das Gebäude zu. So wie ich es wollte. Der komplette Aufstieg würde lange dauern, vielleicht zehn Minuten, der Abstieg genauso viel. Ich würde also genug Zeit schinden. So schnell ich konnte, kletterte ich wieder hinab und sprang, als es möglich war, auf das Dach eines naheliegenden Gebäudes. Wie eine Gazelle hüpfte ich von Dach zu Dach bis ich weit genug von der Kirche stand. Die Männer der Garde traten gerade ein. Im inneren dieses riesigen Turmes würden sie mich nicht hören.
"Ihr lasst euch täuschen!", schrie ich von dem Dach hinunter auf die vereinzelten Leute, dich sich jedoch schnell versammelten und vermehrten.
"Ich hörte von guten Meinungen über die Königin? Das ist das Ziel des Königs. Er versucht euch zu manipulieren. Diese Frau soll euch ablenken von euren Qualen, soll euch weismachen sie hätte den König unter Kontrolle, soll euch denken lassen sie wäre gut.", schrie ich und erhielt Zurufe aus den Mengen, "Die Wahrheit ist, dass der König weiß, in welcher Lage er steckt. Er weiß um die Gefahr in der er sich befindet. Er versucht diese Revolution mit allen Mitteln aufzuhalten. Doch lasst euch nicht täuschen. Er ist grausam wie eh und je. Er wird immer grausam sein."
"Ich helfe diesem Volk!", hörte ich plötzlich eine wohlbekannte Stimme sagen. Wie durch ein Wunder kämpfte sich der König höchst persönlich mit einem Trupp von Wachen durch die Menge.
Ich schluckte schwer. Sobald sich diese Wachen bewegen würden, musste ich rennen so schnell ich konnte. Sie waren zu nah als dass ich noch auf mein Pferd kommen würde.
Was zum Teufel suchte er hier? Ich hatte ihn nirgends gesehen.
Das Volk machte ihm respektvoll Platz, besah jenen Mann, der dieses Land führte, doch stets verborgen blieb. Seine plötzliche Entscheidung sich an die Öffentlichkeit zu wagen war tatsächlich eine gute Idee, doch schlecht für uns und unsere Sache.
Ich atmete tief aus. Jetzt konnten nur noch Worte siegen.
"Ihr richtet diese Stadt zu Grunde!", schrie ich und versuchte meine Stimme ein wenig zu verstellen, "Ihr handelt nicht aus Güte, nicht aus Habgier, nicht aus Machtsucht, sondern lediglich aus Rache! Ihr lasst die Menschen sinnlos sterben, foltert sie ohne handfeste Gründe, lasst sie verkommen!"
"Ihr versteht nichts von Politik.", antwortete er, "Ich erhöhe die Steuern, damit die Menschen-"
"Lügt nicht!", unterbrach ich ihn, "Sie sind klug genug, um sich nicht von euch manipulieren zu lassen. Ihr erhöhtet die Steuern schon vor Jahren, doch alles was den Menschen gegeben wurde war der Blick auf die größten Feierlichkeiten der Welt in eurem Schloss. Dafür wurden eure Steuern ausgegeben.", rief ich dem Volk zu, "Für rauschende Feste, grauenvolle Folterinstrumente und Wachen, die den Menschen die Haut von den Knochen ziehen, wenn der König es wünscht."
Die Bürger begannen gegen ihn zu pöbeln. Sie begannen die Wachen zu bespucken und bewarfen sie mit Früchten. Wütend sah mir der König entgegen. Voller Hass und Zorn.
"Es ist vorbei.", schrie ich ihm entgegen, "Flieht und lebt euer Leben in einem anderen Land oder bleibt auf eurem Thron und sterbt dort. Schon bald werden wir eure Schlossmauern einreißen."
"Und selbst wenn ich sterbe.", brüllte er, "Ich reiße euch mit mir in die Tiefe. Ihr werdet sterben, Rosa!"
Ich verbeugte mich vor ihm. "So soll es sein. Ich sterbe bereitwillig, wenn dann diese Stadt endlich bereinigt ist von all dem Bösen."
"Ergreift sie!", schrie er in dem absoluten Wissen, dass sie mich eh nicht fangen würden.
Ich sprintete los, sprang von Dach zu Dach, verabschiedet von den jubelnden Schreien der Bürger. Und erneut erreichte ich sicher unser Hauptquartier. Ich achtete nicht auf die fragenden Blicke der Anderen, sondern zog mich in Windeseile um und ritt mit meinem Pferd zu dem Geschäft von dem ich Emilio erzählen musste. Er hatte nicht locker gelassen. Er ließ mich erst dann gehen als ich ihm erzählte, wo ich zu finden sei.
Und genau dorthin würde er reiten. Doch ich musste schneller sein.
Ich stieg vom Pferd ab und ging durch die Hintertür in das kleine Häuschen. Meine Verbündeten, die sich bereit erklärt hatten, diesen Laden als Tarnung zu übernehmen, sahen mich erleichter an, denn nur wenige Augenblicke später stieß der König die Tür auf.
"Sie war wieder da.", schrie er.
Bemüht entrüstet ging ich auf ihn zu. "Bei helllichtem Tage? Einfach so?"
Er nickte und fuhr sich gestresst durch seine Haare. "Sie blamierte mich, demütigte mich vor dem gesamten Volk."
"Wie das?", fragte ich ungläubig.
"Ich wollte sie anprangern, wollte mich erklären, doch die wenigen Argumente, die ich überhaupt aussprechen konnte fanden keinen Halt bei ihren Antworten! Sie ist ein Monster, diese Frau. Es ist ein großer Rückschlag."
Völlig verzweifelt setzte Emilio sich auf einen Stuhl nahe des Kamins.
Ich setzte mich zu ihm und streichelte über sein Bein. "Emilio. Ist es nicht besser, ihr würdet fliehen?"
Geschockt sah er mich an. "Niemals?"
"Zieht es in Erwägung.", erwiderte ich, "Lange können wir diese Fratellanza nicht mehr aufhalten. Flieht und lebt ein besseres Leben irgendwo wo euch keiner kennt."
"Ich gebe nicht auf!", schrie er erzürnt.
"Das hat nichts mit Aufgeben zu tun.", antwortete ich schnell, "Sondern etwas mit Weisheit. Diese Revolution wird nicht gut enden."
"Niemals!", widerholte er, "Ich werde diese Bürger noch so lange quälen bis auch das letzte bisschen Kraft aus ihnen gewichen ist. Ich gehe nicht bevor nicht ein jeder einen Verlust zu beklagen hat, wegen dem er für den Rest seines Lebens leidet."
Ich atmete tief aus. Wie nur konnte ich all den Hass, der von ihm ausging, bekämpfen? Wie nur sollte es mir möglich sein ihn zu einer Flucht zu bewegen? Ich bestand darauf. Er war kein schlechter Mensch, er konnte kein schlechter Mensch sein bei solcher Güte und Liebe mit der er mich behandelte. Ich hatte noch Hoffnung, die Hoffnung ihn eines besseren zu belehren und einen Umsturz ohne Gewalt und Blut hervorzurufen. Denn wenn Emilio nicht von selbst ging, musste das Volk seine Mauern stürmen und dabei würden brave Bürger zu Fall gehen. Menschen, die es nicht verdient hatten zu sterben. Schließlich kämpften sie nur für ihre Rechte. Sie kämpften für Güte, für Gerechtigkeit und für Liebe. Sie kämpften für ein Leben voll Freude, so wie es einst ihre Mütter und Väter gelebt hatten.
Vielleicht verfolgte ich einen träumerischen Wunsch. Vielleicht war es unmöglich diese Sache ohne Verluste zu beenden. Doch meine Hoffnung starb zuletzt.


Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt