Kapitel 15

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Er löst die Hände von meine Gesicht und schaut mir tief in die Augen, ich bin unfähig an irgendetwas zu denken. "Ich gehe duschen," sagt er dann, setzte mich auf meine beiden Füße- weil ich auf seinem Schoß saß- und verlässt die Küche. Ich blicke ihm ungläubig hinterher.
HAT ER MICH GERADE TATSÄCHLICH GEKÜSST?

Privatchat mit Jen:
Abby:Wir müssen morgen reden unbedingt
Jen: was ist passiert, was ist los??
Abby: das ganze kann ich dir nicht per Nachricht erklären, oder in einer Sprachmemo
Jen: oh gott, ist es was schlimmes?
Abby: nein
Abby: oder doch?
Abby: ach keine ahnung! Ich sage den anderen noch Bescheid...
Jen: hilfe...

______
Ich wache auf. Ich versuche noch die letzten Fetzen meines Traumes zu greifen und mich daran zu erinnern, was ich geträumt habe, doch es gelingt mir nicht. Ich ziehe die Bettdecke weg und stehe auf, mir wird kurz schwarz vor Augen, doch dann ist alles wieder okay. Gestern abend wurde es noch spät, ich habe, um mich abzulenken, erst meine Serie auf Netflix zuende geguckt und danach noch in meinem Buch gelesen. Ich hab gefühlt weniger als drei Stunden geschlafen, aber mit einem Blick auf die Uhr sehe ich erleichtert, dass es fast sechs Stunden waren. Dennoch sehe ich im Spiegel eine verschlafen aussehende Abby, mit verwuschelten Haaren und tief blauen Ringen unter den Augen. Schnell ziehe ich mich aus und springe unter die Dusche.
Ich versuche nicht daran zu denken, aber natürlich spukt mir Cole die ganze Zeit im Kopf herum, er will einfach nicht verschwinden! Der Kuss, der Kuss, der Kuss... Mit einem Seufzen denke ich an ihn zurück und wie sich Coles Haut unter meinen Händen angefühlt hat und wie seine Hände an meinem Körper lagen und wie er meine Haarsträhnen hinter mein Ohr gelegt hatte...
Ich ziehe mir eine schwarze Leggins an und meinen roten kurz geschnittenen Pulli. Ich öffne meine Gardinen und sehe den schwarzen Himmel über mir, es regnet stark und ich blicke frustiert in den Regen hinaus- der Herbst ist angekommen.
Wie jeden Morgen mache ich mir meinen Kakao und trinke ihn während ich auf meinem Handy meine Social Medias aktualisiere und schaue was es neues gibt.
"Guten Morgen mein Schatz" sagt meine Mutter während sie sich den frisch gebrühten Kaffee von Rosa in eine Tasse goss. "Ich habe wunderbare Neuigkeiten, die ich ganz vergessen habe dir gestern abend noch zu erzählen."
"Schieß los, " sage ich kurzangebunden- wie immer am Morgen.
"Die Evans und wir wollen verreisen! Ist das nicht eine wunderbare Idee? Nur kurz über das Wochenende, also dieses Wochenende. Ich weiß, ich weiß, alles sehr kurzfristig, dass es schon heute los geht, aber wir wollten ihnen eine Freude bereiten." In diesem Moment kam Cole in die Küche geschlendert. "Ach Cole, gut das du hier bist. Deine Eltern haben dir sicherlich schon erzählt, dass wir heute verreisen. Wir kommen Montag wieder, keine Sorge, nur ein kleines Wellness und Tennis Wochenende in der Nachbarstadt, aber wir haben uns gefragt, ob euch das überhaupt interessiert. Sowieso wegen der Schule, wollten wir euch fragen, ob ich mitkommen wollt."
"Wir würden den heutigen Schultag verpassen und Montag auch noch." schloss ich und überlegte. "Ich glaube, es wäre schlecht über das Wochenende wegzufahren, wir schreiben nächsten Dienstag eine Mathe Klausur."
"Ach, na dann, ich glaube ihr seid ja auch alt genug um allein klar zu kommen, oder nicht?" Meine Mutter lächelt uns beide an und sie wirkt sehr glücklich mit sich und der Situation.
"Das bedeutet, Abby und ich sind das gesamte Wochenende allein hier?" fragte Cole und seine Worte erzeugte bei mir eine Gänsehaut.
"Also, ich müsstet euch um euch selber kümmern. Rosa hat das Wochenende auch frei. Und keine Partys, verstanden! Cole, Abby kennt die Regeln, wenn sie allein zu Hause ist, aber du musst dich auch daran halten, verstanden?" Nun blickt meine Mutter streng und deutet androhend mit dem zeigefinger auf Cole.
"Natürlich, meine Eltern haben mir das auch schon die ganze Woche über erklärt."
Meine Mutter klatscht begeistert in ihre Hände und sagt:"Gut, dann ist das auch geregelt. Euch einen schönen Schultag! Ich wünsche euch auch ein schönes Wochenende." Sie küsst mich noch auf den Scheitel, dann schwebt sie aus dem Zimmer, mit ihrer Kaffeetasse in der linken Hand.
Nun bin ich mit Cole allein in der Küche. Allein für das gesamte Wochenende. Ich verschlucke mich an meinem Kakao. Ich muss schwer husten und mein Kopf verwandelt sich peinlicherweise in eine Tomate. Cole gluckst leicht und beschmiert sich ein Toast.
"Hast du gut geschlafen?" fragt er mich und beißt in sein Toast.
"Ja, etwas kurz aber okay, und du?" frage ich und versuche mich zusammenzureißen, er schafft das ja auch!
"Fantastisch, aber ich hatte einen verstörenden Traum. Sei bitte in zehn Minuten fertig zum losfahren, okay?" Ich nicke und blicke ihm hinterher, mit seinem Toast in der Hand verließ er mich.
Mein Magen bereitete mir ein unwohles Gefühl, ich spürte die anbahnenden Bauchschmerzen, die ich immer bekomme, wenn mir unwohl ist und ich mich minderwertig fühle. Ich suche in der Schublade neben dem Kühlschrank nach Schmerztabletten, muss aber enttäuscht feststellen, dass sie alle geworden sind. Frustriert gehe ich hinauf in mein Zimmer und finde dort noch eine ganze Packung, aber beschließe dann nichts gegen die Schmerzen zu unternehmen, es ist nicht immer ratsam gleich irgendwas in meinen Körper zu schmeißen.
Also lebe ich mit dem Schmerz, welcher sich noch weiter verknotet, als ich mich auf den Beifahrersitz setze und versuche die Anwesenheit meines Fahrers zu ignorieren.
"Was hast du denn geträumt?" frage ich und durchbreche damit die bleiernde Stille zwischen uns.
"Ich wurde verfolgt und plötzlich standest du an einer Tür, die du mir aufgehalten hast. Hinter der Tür war einzig nur Licht, aber der Eintritt hätte mich vor dem gerettet, was mich verfolgt hat." Er blickt sturr geradeaus auf die Fahrbahn, dabei hatte er eine Hand an dem Lenkrad und die andere fuhr sich durch die Haare.
"Das klingt aber komisch." murmele ich und blicke aus dem Fenster, der Regen floss die Fensterscheibe hinunter und ich beobachte die Tropfen. Die Scheibenwischer schlagen auf und ab und beruhigen mich ein wenig. Ihre Kontinuität gab der Situation und mir etwas Halt.
"Du, wollen wir nicht-" ich versuche ein Gespräch über gestern abend aufzubauen, doch er unterbrach mich schnell.
"Auf der Rückbank hab ich zwei Regenschirme gelegt, kannst dir einen nehmen, damit wir nicht durchnässt im Schulgebäude ankommen. Dann hätten wir nämlich auch gehen können." Ich murmele nur ein kleines "Okay". Das Selbstbewusstsein über den Kuss zu sprechen, hatte ich wieder verloren.
Ich öffne meinen Regenschrim und trete aus dem Auto, der Regen prasselte laut auf den dünnen Stoff über mir, dann rennen wir los. Wir schlagen die Türen hinter uns zu, pressen die Taschen an unsere Körper und rennen über den Schulparkplatz auf die rettenen Türen des allzuhässlichen Gebäudes zu. Im trockenen Gebäude angekommen, stelle ich frustriert fest, dass meine Leggins nass geworden ist, aber ich trotzdem relativ trocken angekommen bin. Cole und ich schütteln unsere Regenschirme und grinsen uns gegenseitig an. Ich fange an zu lachen, denn Coles Hose wurde dadurch nur noch nasser. "Wie immer, nach Schulschluss fahre ich wieder nach Hause. Ich würde sagen, wir treffen uns hier bei der Eingangstür?" schlägt er vor und ich stimme ihm zu.

"Jetzt sag mal, was ist denn los, was so wichtig ist, dass du es uns persönlich sagen musst?" fragt mich Jen nervös und neugierig zugleich. Wir hatten Pause und Jen, Beth und May standen um mich herum und blickten mich erwartungvoll an.
Ich machte es kurz und knapp, ohne um den heißen Brei herum zu reden: "Er hat mich gestern abend geküsst! In der Küche." Ich versuche meine Stimme ruhig zu halten, doch May versaute es keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken; sie quietschte los und Jen machte ein lautes: "OH!". Einzig Beth sagte erstmal nichts und ließ sich neben mir auf die Bank nieder.
"Warum? Ich meine, wieso, ne ich meine, was?" Jen versucht ihre Emotionen in Worte zu packen, schafft es aber nicht. Alles im allem, waren wir alle sehr überrascht über die Ereignisse.
"Erzähl erstmal, wie es dazu gekommen ist." bittet Beth und guckt mir fest in die Augen.
Ich erzähle ihnen alles von gestern Abend, und sie hören gespannt zu.
"Erbe? Warum fragt er das? Was interessiert es ihn?" fragt May und blickt fragend drein.
"Vielleicht will er dich ausnutzen und nur an dein Geld." Jen sah ernst aus und setzte sich ebenfalls auf die Bank, an meine rechte Seite.
"Aber was will er von meinem Geld? Ich würde ihm doch eh nichts geben." behaupte ich und blicke nun ebenfalls noch verwirrter, darüber hatte ich mir  noch keine Gedanken gemacht.
"Vielleicht denkt er ja, wenn er es hinbekommt, dass du dich richtig in ihn verliebst, er dich ausbeuten kann."
"Nun hör aber auf Jennifer! Wie unromantisch bist du eigentlich? Abby und Cole leben zusammen, da ist das doch ganz natürlich, dass sie Gefühle für einander entwickeln und sowas dabei rauskommt. Ach nein, wie süß!" Die romantische kleine, naive May...
Aber um ehrlich zu sein, ich weiß nicht wem ich glauben soll. Beide Theorien sind abwägig und realistisch zugleich. Ich kenne Cole zu wenig, um es genau zu sagen. Ich seufze tief auf.
"Ihr macht es auch nicht besser, ihr verwirrt mich eher  noch mehr!" beschwere ich mich.
"Vielleicht solltest du erstmal abwarten und schauen wie sich das zwischen euch entwickelt?" fragt Beth zaghaft.
"Das versuche ich ja! Aber ich weiß einfach nicht wie ich mich benehmen soll in seiner Gegenwart..." Ich beiße frustriert in mein Apfelstück. Beth, May und Jen schauen mich mitleidig an. "Und nun kommt der absolute Hammer: Wir sind das gesamte Wochenende allein. Meine und seine Eltern fahren weg und lassen sich mit Wellness und Tennis verwöhnen."
May quietscht erneut laut auf, Jen verdreht die Augen und Beth lacht.
"Na, dass kann ja spannend werden!" sagt Jen und steht auf.
Es klingelt und wir müssen zurück in den Unterricht.
Viel hat mir das Gespräch mit meinen Freundinnen nicht gebracht, aber es hat mich erleichtert ihnen meine Sorgen zu erzählen. Sie sind immer für mich da und das macht mich unglaublich glücklich, egal ob so ein komischer Typ mir den Kopf verdreht oder mein Leben auf den Kopf stellt und sich äußerst merkwürdig verhält- auf meine Freundinnen kann ich zählen.

"Du bist spät." sagt er einfach nur, als ich keuchend zu unserem Treffpunkt angerannt komme.
"Entschuldige, Cole." sage ich. "Ich wurde aufgehalten, Alex hat mich noch etwas gefragt und das hat etwas Zeit in Anspruch genommen." Und danach habe ich mich echt beeilt, weil ich Angst hatte, dass Cole einfach ohne mich nach Hause fährt.
"Du hast unglaubliches Glück, dass es heute regnet, sonst wäre ich schon längst weg. Du lässt mich hier warten wie sonst wer." Er öffnete die Tür und seinen Regenschirm, ich tat es ihm gleich. Dann rennen wir wieder zum Auto.
Im trockenen des Autos angekommen, legen wir die nassen Regenschirm auf den Boden des Autos. "Wer ist überhaupt Alex und warum hält er dich so lange auf?" fragt er dann beiläufig während er ausparkte.
"Du musst ihn doch kennen, er ist im Basketball Team und in unserem Jahrgang, ich hab zusammen mit ihm viele Kurse. Er hat mich gefragt ob wir nicht zusammen Mathe lernen wollen. Ich habe ja gesagt, er ist wirklich spitze in Mathe und seine Hilfe kann ich echt gut gebrauchen." sage ich und versuche, dass meine Augen nicht an ihm festkleben. Er sieht aber auch einfach unverschämt gut aus! Die schwarzen Haare hängen ihm heute ein wenig über den Augen und sein Mund lässt mich einfach nicht mehr los.
"Ich dachte du bist gut in Mathe, wofür brauchst du dann noch Hilfe?" fragt er und zieht eine Augenbraue hoch. Seine Stimme trieft vor Sarkasmus, aber irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass es ihn irgendwie stört.
Oder aber ich hab es mir nur eingebildet und es ist ihm vollkommen egal.
"Ich kann ja wohl selber entscheiden was ich brauche und was nicht." sage ich schnippisch. "Morgen kommt er."


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