Kapitel 27

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Wir gehen zusammen aus seinem Zimmer und er läuft mir voraus. Sein Gang ist schon sehr viel selbstbewusster geworden. Entweder klingen die Schmerzen ab, oder er hat sich mit Schmerzmitteln vollgepumpt. Am Treppenabsatz stehen unsere Eltern und ziehen sich ihre Jacken aus. Sie wirken glücklich und entspannt.
"Hallo Cole und Abby! Na, wie war euer Wochenende?" fragt meine Mutter während wir uns alle begrüßen und umarmen.
"Ganz entspannend eigentlich, wir haben aber auch viel Mathe gelernt. Und keine Party geschmissen!" antworte ich wahrheitsgemäß und lächle Cole an. Wir haben zusammen ein Geheimnis! Die Schmetterlinge in meinem Bauch fangen vor Aufregung wieder an zu flattern.
"Aber wie war es denn bei euch?" fragte Cole und lenkte von unseren Erlebnissen ab.
"Es war wundervoll." sagt seine Mutter und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Er verzieht nichtmal das Gesicht. "Aber du hast dich anscheinend wiedermal geprügelt!" Ihre weiche Stimme wird hart und streng.
"Ach nur eine kleine Misskommunikation mit so einem Typen auf Kates Party am Freitag. Ist halb so schlimm." winkt er ab. Die Schmetterlinge hyperventilieren. Oder vielleicht bin ich es auch nur.
Dann gehen wir alle zusammen in das Esszimmer, wo Rosa für uns gedeckt hat. Dann bringt sie die Vorspeise und die Post von heute.
Sie überreicht mir ein Brief von der Bank. Unbeeindruckt  lege ich ihn neben meinem Teller, sowas muss warten. Meinen Kontoauszug kann ich auch nachher angucken.
Cole neben mir zuckt nervös zusammen, als er den Brief sieht. "Soll ich dir noch ein paar Schmerzmittel holen?" frage ich besorgt, ich habe Sorge, dass sie vielleicht schon ihre Wirkung verloren haben.
"Nein, geht schon. Danke." sagt er und versucht zu lächeln. Bestimmt hat er schlimme Schmerzen. Ach er tut mir so leid!

Ich gehe die Treppe hinauf in mein Zimmer, in der rechten Hand meine Briefe. Einer von meiner Krankenkasse und der besagte Brief von der Bank. Ich höre plötzliche Schritte hinter mir und spüre wie Cole mein Handgelenk festhält. Ich drehe mich erstaunt um.
"Was gibt's?" frage ich und sehe ich an. Er keucht ein wenig, jemand der seit Samstag Abend nur im Bett liegt, ist nicht mehr so in Form.
"Wollen wir gleich zusammen Mathe lernen?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch, dafür ist er mir hinterher gerannt?
"Ne, ich wollte jetzt in Ruhe alles nochmal durchgehen." sage ich und ziehe mein Handgelenk zurück.
"Oh, okay..." Ich wende mich von ihm ab und ehe er erneut die Hand ausstrecken kann bin ich an meiner Zimmertür angelangt und schließe sie hinter mir.
Jetzt wo meine Eltern da sind und seine Eltern weiß ich nicht genau wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.
Ich pfeffere die Briefe auf meinen Schreibtisch und setze mich auf den Stuhl. Erstmal, bevor ich mit Mathe beginne, checke ich mein Handy. Ich habe einige Nachrichten in unserem Gruppenchat. Danach schaue ich mich bei Instagram um und wollte noch schnell zu Twitter, da reiße ich mir selber das Handy aus der Hand. Reiß dich zusammen und lerne für die vorletzte Matheklausur deines Lebens! Rate ich mir selber und lege mein Handy beiseite. Ich vergesse ganz die Briefe zu öffnen.

Müde gehe ich in mein Bad und schminke mich ab, dann creme ich mein Gesicht ein und schlendere zu meinem Bett. Bevor ich mich hinsetzen konnte, geht meine Tür auf. Cole steckt den Kopf in den Türspalt und fragt: "Irgendwie vermisse ich dich in meinem Bett." Mir wird ganz warm und ich lächle. Er ist so unglaublich süß!
"Dann bleib doch hier." Wir legen uns nebeneinander ins Bett, er schaut sich aber vorher noch in meinem Zimmer um. Er seufzt erleichtert und kuschelt sich an mich.
So schlafen  wir dann ein. Und ich bin überglücklich, egal was mir mein Gewissen sagen will. 

Verschlafen tapse ich durch mein Zimmer. Ich gehe vom Bad zu meinem Kleiderschrank und ziehe einen blau weiß gestreiften Crop Pulli an und eine High-Waisted Jeans an. Ich sammle meinen Taschenrechner und meine Formelsammlung ein und stecke sie in meinen Rucksack. Dann überprüfe ich nochmal ob ich alles mithabe. Aber ich habe das Gefühl irgendwas vergessen zu haben. Mein Blick gleitet über meinen Schreibtisch und ich sehe mein Klausurheft. Ich nehme es schnell und stecke es in meine Federtasche. Puh, fast hätte ich das Wichtigste vergessen! Mein Blick fällt auf die Briefe die unter dem Heft lagen. Ach, die habe ich ganz vergessen. Naja, die müssen warten. Ich bin nämlich wiedermal spät dran und hetze in die Küche, um wenigstens noch meinen Kakao zu trinken.
Dann ruft mir auch schon Cole aus dem Eingang zu, dass ich mich beeilen soll. Wir gehen zu dem Auto.
"Sorry, aber du musst fahren. Ich schaff das noch nicht ganz und habe Angst, dass das meine Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt." Ich nicke und ich schaue über meine Schulter. Ich hoffe, dass unsere Eltern uns nicht sehen und setze mich auf den Fahrersitz. Ich habe schon seit einem viertel Jahr meinen Führerschein, bin aber bis jetzt eher sporadisch mit meinen Eltern gefahren. Langsam fahre ich von der Einfahrt runter und auf der Straße schalte ich in den zweiten Gang. Dann beschleunige ich ein bisschen und schalte in den dritten.
Ich bringe uns sicher zum Schulgelände und finde- Gott sei Dank- einen einfachen Parkplatz. Ich weiß, es ist ein schreckliches Vorurteil das Frauen nicht einparken können, aber leider falle ich in dieses Schema.
Ich seufze auf. "Zum Glück hat uns die Polizei nicht gesehen, oder noch schlimmer unsere Eltern."
"Du bist gut gefahren." lobt er mich und steigt aus.
Seitdem wir das erste Mal zusammen aus einem mattschwarzen BMW, einer der Gründe, warum ich nicht gerne mit den Autos meiner Eltern fahre, ist unteranderem der PREIS, gab es Gerüchte über Cole und mich. Aber letztendlich weiß nun jeder die Wahrheit. Dass unsere Eltern alte Freunde sind, dass Cole nun bei uns im Haus wohnt, bis das Haus der Evans wieder normal ist. In der Kurzfassung. Ich selber kann es gar nicht fassen, dass sie schon seit über einer Woche bei uns sind. Und wie viel sich in dieser Woche doch verändert hat!
Wer hätte gedacht, dass ich mich in Cole verliebe? Ich nicht. Ganz bestimmt nicht.

In der zweiten und dritten Stunde schrieben wir Mathe. Die Klausur war schwer und ich hoffe auf Teilpunkte. Aber da ich sonst mündlich ganz gut bin, mache ich mir nicht allzu große Sorgen. Eine drei reicht in Mathe. Ich mache sowieso kein Abi darin.
Die Schule geht schnell an mir vorbei.

Ich fahre uns wieder nach Hause. Unsere Eltern waren noch arbeiten. Nachdem ich meine Jacke aufgehängt habe, stellt sich mir Cole in den Weg und nimmt mich in den Arm. Gerade eben haben wir noch über die Aufgaben in der Klausur gesprochen, jetzt liege ich wieder in seinen Armen.
Ich hebe meinen Kopf und blicke ihm in die Augen. Dann finden sich unsere Lippen wie von alleine.
Es geht ihm schon viel besser, dass merkt man. Wir gehen zusammen in die Küche. Da ich etwas Hunger habe, nehme ich mir eine Schüssel und fülle sie mit meinem Müsli der Woche. Dann küsse ich Cole nochmal und sage ihm, dass ich hoch gehen werde, um schnell meine Hauaufgaben zu machen, denn ich habe mich heute abend mit meinen Freundinnen verabredet.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und nehme meine Briefe von gestern in die Hand. Heute habe ich keine bekommen. Ich öffne den von meiner Krankenkasse und schmeiße den Inhalt desinteressiert weg, nur irgendeine Werbung. Dann ziehe ich die Kontoauszüge aus dem Brief von der Bank. Ich hole meinen kleinen Ordner hervor, wo ich die Kontoauszüge sammle. Ich schaue kurz, wie immer, zur Kontrolle auf die Zahlen.
Da muss ein Fehler passiert sein.
Ich mein, ich war zwar shoppen, aber nicht um diese UHRZEIT und auch nicht in einem solchen MAßE. WO IST MEIN GELD? Wieso habe ich 200, dann 100, wieder 200... und wieder und wieder abgehoben? In einem Zeitumfang der einfach viel zu gering ist, für mich.
Ich taste nach meinem Handy, ich muss unbedingt bei der Bank anrufen und meine Eltern. Da muss ein Fehler unterlaufen sein.
"What the f*ck?" rufe ich laut aus und pfeffere mein Handy wieder weg. Die Bank kann mir eh nicht helfen, die haben das ja angerichtet. Oder wurde sie überfallen? Meine Eltern müssten in zwei Stunden von der Arbeit wiederkommen.
"Alles okay?" Cole steht in meiner Tür und schaut mich nervös an.
"Nichts ist okay. Irgendwie muss die Bank mir hier einen Streich spielen. Ich fass es  nicht. Da fehlen über 1000 Euro auf meinem Konto!" Ich schaue ihn fassungslos an. Er sieht nicht überrascht aus, oder schockiert. Er beißt sich auf die Lippe. Es wirkt als ob die Situation für ihn unangenehm ist.
"Cole?" frage ich und langsam kriege ich Angst. Er hat doch nicht etwa etwas damit zu tun?
"Das Geld, was ihr Joe geschuldet habt... Das waren nicht einfach nur 500 Euro oder?" Mich beschleicht langsam ein schlimmer Verdacht. Cole kann mir nicht in die Augen sehen. Ich rede weiter und meine Stimme überschlägt sich. "Du hast gesagt, ihr habt es geschafft das Geld aufzutreiben. Aber... Aber, natürlich habt ihr nicht so viel Geld! Und da dachtest du dir, du dachtest dir... JA, WAS DACHTEST DU DIR DENN?!" Meine Stimme klingt panisch und wütend zugleich. Mein Puls rast in die Höhe. Ich springe von meinem Stuhl und gehe langsam auf ihn zu.
ER HAT DOCH NICHT ETWA? Oder doch...?
"Ich hab keinen anderen Ausweg gefunden. Du siehst doch, was sie mir angetan haben. Die wären noch schlimmer gewesen und dann zu jedem von uns." Er blickt zu Boden. Ich stehe nun direkt vor ihm. Auch wenn er viel größer ist als ich, ich habe keine Angst vor ihm. Und nicht vor dem, was ich nun mache. Ich strecke meinen Arm aus und verpasse ihm eine deftige Ohrfeige.
"Du hast meine Bankkarte gestohlen! Du hast mich bestohlen! Und einfach mein Geld genommen, während ich geschlafen habe!" Ich gehe ein paar Schritte rückwärts, dann deute ich auf die Tür. "Raus. Raus hier! Raus aus meinem Haus!"
Mit hängenden Schultern lässt er mich in meinem Zimmer stehen. Ich schmeiße die Tür zu. Dann werfe ich mich auf mein Bett. Und dann kommen mir die Tränen.
Er hat mich nur ausgenutzt.
Und das für GELD!
Habe ich ihm je etwas bedeutet?
Anscheinend nicht. Ich will den Kerl nie wieder sehen! Da war Logan hunderttausendmal besser.

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