Kapitel 14 - Herz über Kopf

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Caleb's Sicht:

Es war mitten in der Nacht als ich wach wurde. Ich wusste nicht mal genau, warum. Irgendwas in mir sagte mir, dass ich sofort aufwachen musste. Ich sah auf mein Handy. Es war fünf Uhr morgens. Die ersten Sonnenstrahlen schienen schon durch die Jalousien hindurch und erhellten ganz leicht das Zimmer.

Ich sah an das andere Ende der Couch. Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob ich mich nicht täuschte. Langsam zog ich die Decke weg. Und tatsächlich: Jassy war nicht da. Ich seufzte. Ich wusste genau, wo sie war. „Stopp. Es kann auch sein, dass sie einfach nur etwas trinken wollte oder nur auf dem Klo ist", sagte ich mir. Ich wollte nicht sofort den Teufel an die Wand malen. Es gab viele Gründe, warum sie schon aufgestanden sein könnte.

Ich sah ungeduldig auf mein Handy. Zehn Minuten waren vergangen. Zehn Minuten hatte ich ungeduldig gewartet, dass sie zurückkam. Doch das tat sie nicht. Also stand ich langsam auf und ging in Richtung Badezimmer. Ich sah Licht durch den Türschlitz scheinen - ganz minimal. Vermutlich hatte sie nur das Licht vom Spiegel angemacht.

Ich stand eine gefühlte Ewigkeit vor dieser Tür und überlegte, ob es richtig war reinzugehen. Es war ihre Sache – ihre Entscheidung. Ich wollte nicht, dass sie sich dann auch noch verurteilt oder bloßgestellt fühlte. Das Einzige, was ich wollte, war zu helfen. Also griff ich nach der Türklinge, atmete nochmal tief durch und drückte sie dann runter. „Nicht aufregen, nicht verurteilen", ging es mir durch den Kopf.

Ich öffnete die Tür und machte das Licht an. Jassy saß am Boden. Leicht erschrocken sah sie mich kurz an, dann aber wieder weg. Sie hatte wohl schon damit gerechnet. Sie hatte die Knie angewinkelt und legte den Kopf zurück in ihren Schoß. Ich betrat das Bad und schloss die Tür hinter mir. Ich wollte nicht unbedingt Domi oder Juli wecken und aus dem ganzen ein Drama veranstalten.

Ich sah mich um. Ich konnte zumindest am Boden kein Blut erkennen. Sie sah hoch. „Was machst du hier?", fragte sie mich. „Nach dir sehen." Sie seufzte. „Wie lange bist du schon hier?" Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung." Ich setzte mich gegenüber von ihr und lehnte mich gegen die Tür. Ich sah sie an. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie keinen Pullover trug. Ich konnte ihre Arme sehen. Es waren so viele, dass es unmöglich war zu zählen. Und Jassy fiel das natürlich auf. „Starr mich bitte nicht so an", sagte sie und sah dann wieder zu Boden. Es war ihr unangenehm. „Tut mir leid. War keine Absicht." Neben ihr lag der Pullover, also warf sie ihn schnell über. „Ist schon gut. Ich bin es nicht anders gewohnt..." Fakt war, dass ich auch auf ihren Armen kein frisches Blut erkennen konnte.

„Hast du...", fragte ich leise. Sie schüttelte den Kopf und deutete dann zum Waschbecken über ihr. Ich stand auf. Tatsächlich lag dort eine Klinge – komplett sauber. Sie schien unbenutzt.

Ich setzte mich wieder hin. Ich sagte nichts, ich leistete ihr einfach Gesellschaft. Und Jassy schien das zu verstehen – und wertzuschätzen. Denn auch wenn sie im Moment nicht reden wollte – allein sein wollte sie auch nicht.

„Jetzt kennst du das, was ich so verzweifelt versuche vor allen Leuten zu verstecken"; meinte sie leise. Ich sagte nichts darauf. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie hatte recht, sie versuchte es verzweifelt zu verstecken. Sie versuchte zu verstecken, dass sie kaum Kontrolle darüber hatte. Denn das war das eigentliche Geheimnis.

Jassy's Sicht:

Ich verstand es selbst nicht. Normalerweise kämpfte ich nicht dagegen an sondern schnitt mich einfach um wieder funktionieren zu können. Doch dieses Mal wollte ich es nicht. Ich wollte die Kontrolle zurück. Und deswegen schaffte ich es – auch wenn die Gedanken und Gefühle versuchten mich zu erdrücken. Irgendetwas war anders. Irgendetwas hatte ich verändert.

Es war mir nicht mehr egal, ob ich mich schnitt oder nicht. Es war mir nicht mehr egal, ob es mich und meinen Körper nach und nach zerstören würde. Ich wollte die Kontrolle zurück.

Caleb's Sicht:

Einige Zeit war es still gewesen. Keiner von uns hatte ein Wort gesprochen, sondern nur nachgedacht. Jassy schien es gut zu tun jemanden in der Nähe zu haben. Sie traute sich selbst nicht, hatte aber zu viel Angst es vor jemanden zuzugeben. Deswegen war sie froh, dass ich bei ihr blieb, ohne, dass sie mich darum bitten musste.

„Kann ich dich noch was fragen?", durchbrach ich die Stille. Sie nickte. „Warum hast du dich nicht geschnitten?" „Ich...Ich konnte es einfach nicht. Ich weiß nicht wieso, aber...Irgendetwas in mir will die Kontrolle zurück. Auf einmal...ist es mir nicht mehr egal, dass es mir hilft und mich gleichzeitig zerstört..." Ich dachte nach. Ich wollte mir nicht selbst auf die Schulter klopfen und es als meinen Verdienst verbuchen, dennoch war ich mir sicher, dass mein Gespräch gestern mit ihr etwas dazu beigetragen hatte. Sie sah mich an.

„Du hast gestern gesagt, dass du an mich glaubst...Das hat davor noch niemand getan. Niemand hat bis jetzt versucht mich davon zu überzeugen, es nicht zu tun. Viele haben versucht mich aufzuhalten, aber...niemand hat mir tatsächlich eine Entscheidung gegeben..." Ich hörte ihr aufmerksam zu. „Du bist die erste Person, die wirklich versucht diesen Kampf MIT mir zu kämpfen...Du versuchst nicht ihn an dich zu reißen und ihn für mich zu kämpfen. Verstehst du, was ich damit meine?" Ich nickte. Kurzes Schweigen. „Danke..."

Ich verstand sehr wohl, was sie damit sagen wollte. Sie hasste es, wenn man versuchte ihr Leben zu übernehmen und sie von Entscheidungen ausschloss. Ich würde es mir merken. Ganz langsam würde ich mich vortasten und nach und nach eine Strategie entwerfen, mit der ich ihr helfen konnte – ohne sie dazu zu zwingen. Ich würde sie ihr anbieten und sie würde mir vertrauen und sie annehmen, ohne direkt abzulehnen.

Save Me (Domtendo/RubinNischara FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt