Kapitel 5 - Wieso?

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Domi's Sicht:

Ich sah ihr hinterher. Mein Gehirn brauchte eine Sekunde, um zu realisieren, was gerade passiert war. Was sich für mich wie eine Ewigkeit angefühlt hatte, war in Wirklichkeit nur eine Minute gewesen. Eine Minute in der wir dastanden und in denen ich überlegt hatte, was ich sagen sollte – ob ich überhaupt etwas sagen sollte.

Ich ging zu Caleb und wir entfernten uns erst einmal etwas von dem Stand und von den Menschenmassen. Wir setzten uns auf eine Bank. Keiner von uns wusste, was er sagen oder tun sollte. Jetzt wusste ich, warum sie einen Pullover trug, obwohl es so warm war. Jetzt wusste ich, warum sie nicht reagiert hatte, als die Jugendlichen „Emo" gesagt hatten. Ich seufzte. „Hast du gesehen, was passiert ist?", fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte. „Das hab ich." „Ich bin mir nicht sicher, was wir jetzt tun sollten...", sagte ich. „Ich auch nicht." „Ich will nicht, dass sie sich von uns in die Ecke gedrängt fühlt, aber..." „Ich versteh schon. Ich denke auch nicht, dass sie von sich aus zurückkommen wird." Ich stand auf. „Ich werd sie suchen und mit reden. Dann sehen wir weiter...", sagte ich. Caleb nickte. „Ich bleib hier und halt die Stellung. Gib Bescheid, wenn du etwas brauchst."

Also machte ich mich auf den Weg nach draußen. Die gesamte Zeit über gingen mir die Bilder von ihrem Arm durch den Kopf. Wieso nur tat sie so etwas? Ich sah mich um. Ich hoffte nur, dass sie mir vertrauen würde und nicht erneut weglaufen. Ein paar Tipps gingen mir durch den Kopf, welche ich damals in der Schule zum Thema Depressionen und Selbstmord gelernt hatte. „Keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisung, ruhig und langsam sprechen, gut zuhören." Ich suchte die Umgebung ab. Ich suchte nach einem Ort, wo keine Menschenmasse war.

Tatsächlich erkannte ich, dass etwas abgelegen von der Halle und den Menschenmassen ein paar Bänke standen und dort auch kaum Menschen waren. Ich ging hin und als ich näher kam erkannte ich Jassy auf einer sitzen. Zusammengekauert mit den Knien angewinkelt. Ich blieb kurz stehen und überlegte, was ich sagen sollte. Dann ging ich auf die Bak zu und setzte mich mit ein wenig Abstand zu ihr hin.

Jassy's Sicht:

Ich konnte immer noch nicht fassen, dass es tatsächlich passiert war. „Ich bin so ein Idiot. Ich zieh mir extra noch einen Pullover an...für was? Dafür, dass ich dann vergesse, dass ich mich nicht strecken sollte...Es war so klar, dass ich durch den Spaß unvorsichtig werde", dachte ich. Ich hatte aufgehört zu heulen. Immerhin würde das die Situation auch nicht ändern. Es war passiert und damit musste ich jetzt leben. Damit war die Gamescom für mich gelaufen. Ich war weggerannt – somit war ich definitiv als Freak abgestempelt. „Der Feigling, der Freak...", ging es mir durch den Kopf. Aber ich konnte nicht dortbleiben, geschweige denn versuchen mich zu erklären. Ich konnte nicht riskieren eine Panikattacke inmitten von all diesem Menschen zu bekommen. Denn irgendjemand hätte einen Krankenwagen gerufen – und dann wäre ich vermutlich eingewiesen worden. Also war weglaufen die einzige Möglichkeit, die ich hatte.

Und deswegen saß ich nun auf dieser Bank. Ich überlegte, ob ich nicht einfach gehen sollte. Ich konnte so oder so nicht einfach wieder reingehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Ich wusste genau, wie so etwas lief: Sie würden mich ausfragen und behandeln wie einen Sozialfall. Zugegeben, psychisch gesund würde ich mich nie bezeichnen, aber... Ich hasste es deswegen Mitleid oder ähnliches zu bekommen. Ich wollte normal sein – und deswegen versuchte ich alles mich so normal zu verhalten wie möglich. Doch dieser Dämliche Fehler hatte mir heute einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Ich kramte mein Handy hervor. Ich wollte Domi schreiben, dass er und Caleb allein weitergehen sollten und ich nach Hause fahren würde. Ich brachte es kaum übers Herz diese Worte zu schreiben, da das eigentlich das genaue Gegenteil von dem war, was ich tun wollte. Noch vor fünfzehn Minuten hatte ich gehofft, dass dieser Tag niemals enden würde. Doch nun wünschte ich, ich hätte nie gewonnen. Nun heulte ich doch wieder. Vermutlich waren sie schon längst weitergegangen und hatten keinen weiteren Gedanken an mich verschwendet. Denn so war es mein ganzes Leben schon gewesen: Jemanden wie mich versucht man so schnell es ging aus seinem Leben zu entfernen.

Ich merkte, wie sich jemand neben mich auf die Bank setzte. Nicht zu nahe, aber auch nicht zu weit entfernt. Wer auch immer diese Person war, sie wollte, dass ich wusste, dass sei da war. Ich wusste, dass es nur Domi oder Caleb sein konnte. Denn ein Fremder hätte mich sofort angesprochen, um mich zu fragen, wie er helfen konnte.

„Hey", hörte ich Domis Stimme. „Geh weg", murmelte ich in meine Knie. „Hör zu: Klar die Situation ist scheiße gelaufen. Sicher, du und ich haben uns den Tag sicher anders vorgestellt und würdest am liebsten so tun, als wäre es nicht passiert... Aber denk mal logisch drüber nach: Die Katze ist aus dem Sack und nichts und niemand kann das jetzt ändern. Egal ob du wieder mit reinkommst oder nicht." „Wieder mitreinkommst", ging es mir durch den Kopf. Warum wollten sie überhaupt noch in meiner Nähe sein? Normalerweise wandten sich die Leute sofort ab, sobald sie es erfuhren. „Wir machen dir weder Vorwürfe noch predigen dir vor, wie du dein Leben zu leben hast. Wir wollen einfach nur einen gemütlichen Tag auf der Gamescom verbringen." „Wieso? Nach allem, was..." „Jasmin, ich habe dich eingeladen mit uns den Tag zu verbringen und deswegen tun wir das auch. Ich denke nämlich, dass du sehr wohl wieder reingehen und weiter die großartigen Spiele und Stände ansehen willst. Denn genau aus dem Grund sind wir hier." Ich sah hoch. Domi lächelte mich an und ich lächelte sogar zurück. Das erste Mal im Leben war es anders.

„Wissen deine Eltern davon?", fragte er mich, nachdem wir uns einige Minuten angeschwiegen hatten. Jetzt ging es los. Die Fragerei begann. Ich seufzte und ließ es über mich ergehen. Und wieder abzublocken oder wegzulaufen würde mir nichts bringen. Ich würde mir nur selbst die Gamescom kaputt machen. Außerdem, wer konnte schon erzählen, dass Domtendo mit einem über seine Probleme geredet hatte? „Das ist ne schwierige Sache...Als ich noch zuhause gewohnt hab, war ich noch...so. Also nein, sie wissen nichts davon", antwortete ich auf seine Frage. „Lass mich raten: Du bist ausgezogen und seitdem ‚no contact' mit deiner Familie?" Ich nickte. „Willst du darüber reden?" „Eigentlich schon, aber...", meinte ich und seufzte „...Ich wüsste nicht mal, wo ich anfangen soll." „Es ist deine Sache, ob und was du mir erzählen willst. Wenn du nicht drüber reden willst, ist das auch okay. Ich denke nur, dass es dir gut tun würde dir die Geschichte von der Seele zu reden. Und immerhin kann es dir ja egal sein, ob ich es verstehe oder was ich darüber denke..." „True..." Er hatte recht. Es würde mir vielleicht wirklich gut tun mal darüber zu reden. Und wer war dafür besser als jemand, der nicht wirklich Einfluss auf mein Leben hatte. Er hatte recht: Es konnte mir egal sein, ob er es verstand oder wie er darüber dachte. „Ich verspreche dir, dass ich niemanden davon erzählen werde. Weder Caleb noch Juli noch sonst irgendwer wird von mir erfahren, was du mir gesagt hast." Ich seufzte. „Gut, okay", antwortete ich leise.

Save Me (Domtendo/RubinNischara FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt