Kapitel 31 - Ein schrecklicher Fehler

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Jassy's Sicht:

Mein Team ging an mir vorbei. Klara sah mich bedrückt an. „Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass.." „Schon okay." Es war nicht ihre Schuld. Sie wollte nur das Richtige tun. Doch das bedeutete für mich, dass ich das verpatzte Solo wieder nicht wiedergutmachen konnte...

„Ich hab dir doch gesagt, dass du ein Loser bist", flüsterte Maria mir im Vorbeigehen zu. „Ach halt doch einfach den Mund", fuhr ich sie an. Sie lachte mich nur aus und stolzierte weiter. Am liebsten wäre ich ihr hinterhergegangen und hätte ihr eine übergezogen. Doch das hätte sicher Konsequenzen gegeben.

Das erste Mal in meiner Karriere saß ich auf der Ersatzbank. Seit ich ein Kind war, tanzte ich bei jedem Wettbewerb mit. Ich hatte so viel gegeben so weit zu kommen. Und dann tanzte ich mein erstes Solo bei einem Wettbewerb – und verkackte. Ich belegte nur den 3. Platz, obwohl ich die Monate davor so viel Zeit in den Auftritt investiert hatte. Und all die darauffolgenden Wettbewerbe lehnte ich jedes einzelne Mal ein Solo ab – aus Angst, es könnte wieder schieflaufen. Und heute wäre ich endlich bereit gewesen über meinen Schatten zu springen und wieder alles gut zu machen. Ich hätte mein Solo getanzt und wäre vielleicht endlich frei von dieser Last und Schuld gewesen. Doch Brad hatte mir wie immer einen Strich durch die Rechnung gemacht...

Ich verließ den Backstage-Bereich. Ich wollte gar nicht mehr dort sein. Schon gar nicht wollte ich mich in den dämlichen VIP-Bereich setzen. Ich wollte eigentlich nur noch nach Hause. Doch plötzlich wollte ich gar nicht mehr mit Markus nach Österreich zurück – denn im Moment war ich wütend auf ihn. Warum musste er ausgerechnet Maria als meine Vertretung auswählen? Und was, wenn er sie nun lieber hatte als mich? Was, wenn er mich komplett aus dem Team entfernen würde und sie wieder aufnehmen? Immerhin war ich das einzige, dem dieses Vorhaben im Weg stehen würde. Ich bekam Panik. Ich wollte nicht das Team verlieren, für das ich seit Jahren tanzte, für das ich alles gab. Außerdem war Markus einer meiner Verbündeten. Er war immer da gewesen. Er wusste, was wirklich passierte – wer ich wirklich war. Und Klara? Sie half mir seit ich in Deutschland war und wir fingen wieder an Freundinnen zu werden. Und ihr Onkel hatte mir das Leben mehr als nur einmal gerettet. Ich hatte Angst all das zu verlieren.

Ich saß draußen auf einer Bank. Plötzlich näherten sich drei Mitglieder eines Gegnerteams. Ich erkannte eine davon, denn wir hatten sie und ihr Team schon ein paar Mal geschlagen. „Hey, dich kenn ich doch", rief sie mir zu. „Oh nein, bloß kein Streit", dachte ich. Darauf hatte ich im Moment gar keine Lust. „Hallo", sagte ich schüchtern. Ich wollte keinen Streit. Schon gar nicht 1 vs. 3. Das Mädchen stellte einen Fuß auf die Bank und beugte sich zu mir runter. Ich konnte den Alkohol aus ihrem Mund riechen und erkannte auch an der Flasche, die sie in der anderen Hand hatte, dass sich die drei anscheinend vor dem Auftritt „entspannen" wollten. „Wieso bist du nicht bei deinem Team? Ich dachte immer, du wärst deren stärkste Tänzerin? Oder haben sie dich ersetzt?" Die anderen beiden lachten nur und standen mit verschränkten Armen hinter ihr. Ich sah weg in der Hoffnung sie zu ignorieren würde dafür sorgen, dass sie schneller verschwinden würden. Doch dem war nicht so. „Hey", schrie das Mädchen und schmiss ihre Bierflasche vor meine Füße. Sie zersprang. Ich zuckte zusammen. „Ich rede mit dir!" „Lasst mich einfach in Ruhe, okay", sagte ich und sah sie traurig an. Ich hoffte, die Mitleidsnummer würde mich irgendwie aus der Situation retten. Ich wollte keinen Streit – schon gar nicht mit 3 angetrunkenen Gegnerinnen. Denn es gab keine Zeugen. Und eine Auseinandersetzung war nie gut für das Image des eigenen Teams, egal wer ihn angefangen hat. Das Mädchen nahm den Fuß von der Bank. „Erbärmlich" meinte sie nur und die drei verschwanden endlich. Erleichtert atmete ich auf und sah auf den Boden.

/// Trigger-Warnung ///

Wie den Raucher die Zigaretten riefen mich die Scherben. Ich starrte nur so vor mich hin. Ich sah, wie spitz sie waren. Die Kanten würden saubere, tiefe Schnitte ergeben. Ich versuchte meinen Blick davon abzuwenden, doch ich konnte nicht. Es half alles nichts. Ich hatte sie gesehen und nun konnte ich mich nicht zurückhalten.

Ich dachte daran, wie ich dieses Solo vergeigt hatte, wie niedergeschlagen das gesamte Team war, wie frustriert Markus war und wie sehr ich Angst hatte aus dem Team zu fliegen. Und dann dachte ich daran, dass Maria heute anstelle von mir ein Solo tanzen würde. Falls sie gewann, was vermutlich der Fall war, würde Markus vielleicht wirklich in Erwägung ziehen mich zu ersetzten. Doch war das überhaupt noch wichtig? Ich würde so oder so bald umziehen und dann konnte ich das Team vergessen. Darüber hatte ich mir bis dato noch gar keine Gedanken gemacht... Wie sollte ich überhaupt meine Karriere vorantreiben, wenn es kaum Aufzeichnungen von meinen bisherigen Erfolgen gab? Denn alles war so bunt durchmischt zwischen meinem echten Namen und meinem Alias, dass niemand mich anstellen würde – selbst wenn ich die Geschichte erzählen würde.

Ich bekam Panik. Und wie immer, wenn ich Panik bekam, schaffte ich es nicht mehr rational und logisch zu denken. Und ich schaffte es nicht mehr mich selbst daran zu erinnern, warum ich mich nicht schneiden sollte. Und dann verlor ich schließlich die Kontrolle... Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich eine der Scherben und keine Sekunde später hatte ich schon drei neue Schnitte auf meinem Unterarm. Ich atmete tief durch. Die Wolken in meinem Kopf schienen sich zu verziehen und ich konnte wieder klar denken.

Sofort ließ ich die Scherbe geschockt fallen. Was hatte ich getan? Ich sah auf meinen Unterarm. Panik machte sich breit. Ich hatte so lange durchgehalten. Für was? Dafür nun am Ende doch wieder die Kontrolle verloren zu haben... Ich atmete tief durch. Ich durfte jetzt nicht noch weiter die Kontrolle verlieren. Ich musste mich zusammenreißen. Sofort zog ich den Ärmel runter. Ich würde so tun, als wäre es nie passiert. Ich würde diesen Rückfall vergessen. Ich würde mich nicht wieder in meiner Sucht verlieren. Es war ein einmaliger Ausrutscher und dabei würde es vorerst bleiben. Und da es nur ein einmaliger Ausrutscher war, musste davon auch niemand erfahren. Schon gar nicht Domi oder Caleb...

/// Trigger Ende ///

Plötzlich kam Domi um die Ecke. Beinahe fiel ich von der Bank, so sehr hatte ich mich erschrocken. „Okay, ruhig bleiben", befahl ich mir. Ich musste die Situation perfekt überspielen. Seit ich bei ihm war hatte ich keinen Rückfall gehabt und alle drei waren deshalb sehr stolz auf mich. Ich wollte ihnen nun nicht das Gefühl vermitteln, ich könnte nicht mehr allein zurechtkommen.

„Hey", sagte er und sah sich etwas verwundert um. Vermutlich da ich allein auf der Bank saß. „Hey." Meine Stimme war etwas zittrig. „Bereitest du dich gar nicht auf deinen Auftritt vor?", fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Markus war genau der gleichen Meinung wie ihr. Ich wurde auf die Ersatzbank verdonnert." Domi zwang sich wahrscheinlich kein „Ich hab's dir doch gesagt." rauszulassen. Auch wenn ich es verdient hätte – gebrauchen konnte ich es grade echt nicht.

Ich sah unauffällig auf meinen linken Arm. Der Ärmel verdeckte gut die Schnitte, jedoch hatte ich ein anderes Problem. Natürlich blutete es und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es entweder den Ärmel rot färben oder hinauslaufen würde. „Ich hab aber ne VIP-Karte bekommen, also kann ich mir den Auftritt ansehen", meinte ich. Ich wollte versuchen Domi dazu zu bewegen wieder zurück zu Caleb zu gehen. Denn bis zum Ende des Wettbewerbs würden die Schnitte wahrscheinlich schon anfangen zu Narben und die Kruste würde das Blut zurückhalten. Dann wäre ich fürs erste „sicher". „Was machst du dann noch hier?", fragte er. „Keine Ahnung. Ich musste erstmal ein wenig Luft schnappen." „Kann ich verstehen. Tut mir leid, dass du dein Solo nicht tanzen konntest." „Schon okay. Es wird noch andere geben..." „Du solltest langsam los. Sonst verpasst du noch den Anfang." „Ja, du hast recht." Oh nein, er wollte sicher gemeinsam zur Halle gehen. Ich konnte meinen Arm dann nicht hochhalten, denn das würde viel zu verdächtig kommen. Aber ansonsten würde das Blut irgendwann aus dem Ärmel laufen. Und das wäre noch offensichtlicher. 

Save Me (Domtendo/RubinNischara FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt