Kapitel 29

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Lavin

"Ali?"

Sie klopfte vorsichtig an der Tür, jedoch konnte sie nichts hören. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen, legte sie ihr Ohr an die Tür.  Nichts konnte sie hören und gab auf. Doch genau in diesem Moment öffnete sich die Tür, verlor ihr Gleichgewicht und fiel auf seine Brust. Verlegen blickte sie in seine fast pech schwarzen Augen. "Ich hab dich herein gebeten", sagte er mit einer ungewöhnlichen Kälte in seiner Stimme und sah auf Lâvin herab.
"Hab ich nicht gehört, muss an den Türen liegen", stellte sie fest und stütze sich grinsend an der Tür ab.
"An den Türen ist nichts ungewöhnllches, vielleicht solltest du mal deine Ohren reinigen. Das könnte dir vielleicht helfen", erwiderte er kalt, schob sie aus dem Zimmer und schloss die Tür vor ihrer Nase zu.

Lâvin machte große Augen und verzog im nächsten Moment ihre Mine. "Wie lustig", flüsterte sie, zeigte der Tür die Zunge und lief mit verschränkten Armen zurück ins Wohnzimmer. Sie entschloss sich einen Film anzusehen und lief auf eines der Schränke zu, um nach den Filmen zu suchen, die Ali  mal erwähnt hatte. Als sie den Schrank öffnete, fiel ihr die Kinnlade runter und staunte. "Okay, dass nenn ich mal eine große Anzahl an Filmen", stellte sie wieder einmal fest und entschied sich letzen endes auf einen Film, der ganz oben auf dem Regal neben einer kleinen Kiste stand. Sie holte sich einen Hocker und wollte sich den Film gerade holen, als ihr die Beschriftung auf der Kiste auffiel. "Endless" Stirnrunzelnd nahm sie die Kiste mit runter uns setzte sich auf das Sofa. 
Die Neugier ertappte sie und mit leisen Bewegungen öffnete sie die Kiste und  ihr fielen direkt Umschläge entgegen. Die Kiste war voll mit Briefen. Lâvin entfaltete behutsam den Brief. Als könnte er ihr in ihren Fingerspitzen zerplatzen wie eine Seifenblase.

Melegim, (Mein Engel)

Viele Jahre sind vergangen, seit ich zum letzten Mal dein Herz habe schlagen hören. Weißt du eigentlich, wie viele Stunden das sind? Wie viele Minuten?  Weißt du, wie arm ein Vogel ist, der nicht singen kann, eine Blume, die nicht blüht? Wie ein Fisch zu Grunde geht, wenn man ihm das Wasser nimmt?
Es ist schwer, dir einen Brief zu schreiben. So viele habe ich geschrieben und dann nicht abgeschickt. Wie denn auch?
Ich merke, auch diese Zeilen werden nicht auf den Weg zu dir gehen, und die Briefe in Wahrheit an mich gerichtet, nur versuche ich, die Sehnsucht zu besänftigen."

Hier brach der Brief ab. Lâvin las ihn ein zweites und ein drittes Mal, faltete ihn und steckte ihn zurück in die Kiste.  Sie schaute auf die Uhr. Es war Freitagabend, kurz nach neun.
Stirnrunzelnd sah sie auf die Kiste.
" Hat er den Brief geschrieben? Und wenn ja, wer ist Melek?"
Stellte sie sich die Fragen und stand mit einem schulterzucken auf. Sie stellte alles wieder so zurück, wie es war und entschied sich den Film nicht anzusehen. Stattdessen ging sie wieder zurück an Alis Tür und ging ohne zu klopfen leise rein. Es war stock dunkel. Nicht einmal den Mond und die Sterne konnte sie aus dem Fenster sehen, da er die Rollläden  unten hatte. Gänsehaut breitet sich auf ihrer Haut. Sie stellte sich vor wie irgendein Fremder vor ihr steht und sie anstarrt. Sie schütellte sich den Gedanken belustigt ab und tastete sich langsam an den Schreibtisch, an dem sich eine Tischlampe befand.

Sie war stolz, nicht ein einziges lautes Geräusch von sich gegben zu haben und schaltete die Lampe an. Leise atmete sie auf, sah sich in seinem Zimmer um und legte ihre Stirn anschließend in falten. Er war nicht in seinem Bett oder saß nicht auf seinem Sessel. "Aber ich hätte es doch gehört, wenn er das Haus verlassen hätte. "
Sprach sie mit sich selbst und wollte gerade gehen, als sie plötzlich Ali hinter sich sah und sie vor schreck ihre kurz kreischte.
Ali verzog nicht eine Miene und stand mit verschränkten Armen vor ihr.
" Du hast mich erschreckt", sagte sie auseratem und setzte sich auf die Bettkante.
"Hat dir mein  Brief gefallen?"
Lâvin blickte verwirrt in seine Augen. Sie konnte ihre Gedanken nicht sammeln.
"Wie bitte?"
"Mein Brief, den du gerade gelesen  hast", antwortete er mit gedämpfter Stimme und lehnte sich an die Wand hinter ihm.

"Ich-"

"Was ich?!", brüllte er und schlug  mit seiner Faust gegen die Wand neben sich, sodas sie anfing zu Bluten.

Lâvin zuckte zusammen und sah ihm Stirnrunzelnd in die Augen. Sie hatte keine angst. Sie spürte seine Trauer und seine Enttäuschung.
Aufgebracht sah er ihr ebenfalls in die Augen und wollte gerade aus dem Zimmer laufen, da hielt Lâvin  ihn auf und umarmte ihn.
"Es tut mir Leid. Das wird nie wieder vorkommen", flüsterte  sie und spürte wie schnell sein Herz schlug.
"Es tut mir auch Leid", flüsterte er und erwiderte zögernd Lâvins Umarmung.

"Lass mich deine Hand mal ansehen."
Sie löste  sich und nahm sich seine Hand.
"Du hast es gesehen oder?"

Lâvin blickte verwirrt hoch.
"Was gesehen?"

"Ach nichts, schon okey."

"Wenn du die Trauer in deinen Augen meinst, dann ja."
Sie lächelte leicht.

"Ich denke das müsste sich ein Artzt ansehen. Sieht echt etwas- wie soll ich sagen- demoliert aus?"

Ali lachte. "Der Arzt  steht vor dir und stellt fest, dass nichts ist. Nur ein paar Kratzer."

.

"Du liebst sie sehr oder?",fragte Lâvin  als beide mit einer Kaffeetasse in der Hand, im Wohnzimmer saßen.

Ali sah ihr in die Augen, lächelte gezwugen und nickte.
"Eigentlich sollte ich sie hassen, aber ich kann nicht."

"Warum nicht?"

Er seufzte und warf seinen Kopf auf die Kopflehne des Sofas. "Sie hat mir meine Familie genommen, mich von ihr befreit, dabei sich selbst zerstört und sich von mir entfernt."

Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz.

Friedrich Hebbel

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