Kapitel 11

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Unser ganzes Leben verbringen wir damit, uns Sorgen über die Zukunft zu machen. Wir planen die Zukunft, als würde uns das vor der Wucht der Zukunft bewahren. Aber die Zukunft ändert sich dauernd. In der Zukunft wohnen unsere tiefsten Ängste und unsere größten Hoffnungen. Aber eins ist gewiss: Wenn sie sich am Ende offenbart ist die Zukunft nie so wie wir sie uns vorgestellt haben.

Ich stand still da und beobachtet wie meine Zukunft sich änderte. Es wurde auf einmal so warm um mich herum. Das ticken der Uhr, war das einzige was ich in diesem Moment hörte. Meine Luftröhre verengte sich. Ich wollte einfach nur weg hier. Ich sah über meine Schulter und blickte zu Gökhan. Er zog die Augenbrauen zusammen und schütellte den Kopf, als ob er wüsste was in meinem Kopf herum schwirrte. Ich sah zu meiner linken und sah Bahar, in ihrem weißen Kleid und ihren roten Rosen in den Händen. Ihre Augen bewegten sich von meinen Augen zu meiner Hand, wo sich mein Ring befand. Ihre Augen wurden glasig und biss sich unauffällig auf ihre Lippen. Alle warteten gespannt auf meine Antwort.

"Ja, ich will", kam es ungewollt aus meinem Mund. Plötzlich, fingen alle an zu klatschten, doch ich nahm sie nicht ganz wahr und blickte weiterhin in ihre meeresblauen Augen, bis ich von einem Blitzlicht unterbrochen wurde. Verwirrt sah ich nach hinten und sah den Fotografen, den wir für heute gebucht hatten.

"...Ihre Unterschriften bitte", sprach die Frau und gab mir den Stift. Ich unterschrieb, gab weiter an Bahar. Sie tat das gleiche und überreichte der Frau den Stift.

"...und hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau. Sei dürfen die Braut jetzt küssen."

Die Frau lächelte, verschränkte ihre Hände ineinander und wartete gespannt auf den Kuss. Innerlich seufzend, drehte ich mich zu Bahar, legte meine Hände jeweils auf ihre Wangen und küsste ihre Stirn.

~

Tief atmete ich ein und schaute zu meiner Seite. Bahar war durch den Schleier verhüllt, und ich konnte ihre Aufregung spüren. Vorsichtig nahm ich ihre Hand in meine, und sie zuckte leicht zusammen. Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung und flüsterte ein leises "Danke". Als das Zeichen zum Eintreten kam, begann die Musik zu spielen, und wir betraten Hand in Hand den Raum.

Als wir schließlich auf der Tanzfläche standen, verstummte die Musik, und ich hob langsam ihren Schleier, um einen Kuss auf ihre Stirn zu hauchen. Anschließend holte ich aus der Innentasche meines Jacketts eine kleine Schachtel, in der sich eine zarte Kette befand. Ich band sie ihr um und lächelte ihr zu.

Die Musik fing an zu laufen und wir begannen mit unserem ersten Hochzeitstanz.

Lavin

"Lavin?"

"Ja?"

"Ist alles in Ordnung mit dir?"

Ihr Gesicht verzog sich, und sie atmete leise ein, während sie die Tränen von ihren Wangen wischte. Tränen, von deren Existenz sie nicht einmal gewusst hatte. Sie wartete einen Moment, bis sie sicher war, dass sie ihre Stimme im Griff hatte. "Alles okay, Abla." (Schwester)

"Kann ich reinkommen?"

Lavin wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, stand auf und öffnete die Tür.

Ihre Schwester stand besorgt da, reichte Lavin ein Tablett mit Essen und einem Eisbeutel.

"Wir gehen jetzt. Iss bitte etwas und kümmere dich um deine Verletzung."

Lavin nickte. Das Lächeln, mit dem sie sich bedankte, war kaum als solches zu erkennen.

Dilan lächelte, verließ das Zimmer und schloss die Tür von außen ab. Das taten sie immer, wenn alle das Haus verließen.

Lavin stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich auf den Boden. Den Kopf zwischen den Händen vergraben, weinte sie leise und verzweifelt. Alles um sie herum drehte sich, und sie fühlte sich überwältigt. Aufstehend ging sie zur Tür und stellte fest, dass Dilan sie doch nicht abgeschlossen hatte. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. Schnell griff sie nach ihrem vorbereiteten Koffer, den sie bereits vor langer Zeit gepackt hatte, für den Fall, dass sie flüchten musste. Sie eilte die Treppe hinunter, zog ihre Schuhe an und ergriff die Freiheit.

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Jean- Jacques Rousseau

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