Kapitel 32

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Ali sah ihr in die Augen, lächelte gezwugen und nickte.
"Eigentlich sollte ich sie hassen, aber ich kann nicht."

"Warum nicht?"

Er seufzte und warf seinen Kopf auf die Kopflehne des Sofas. "Sie hat mir meine Familie genommen, mich von ihr befreit, dabei sich selbst zerstört und sich von mir entfernt."

"Mein Bruder und ich waren wie verloren. Weit weg von der Außenwelt. Niemand reichte uns die Hand. Die Hand die uns aus dem Gefängnis raus holen konnte. Ich war jung, schwach und wehrlos, doch dann als ich dachte nichts macht mehr einen Sinn, kam Melek."

Als Ali ihren Namen erwähnte, bildete sich ein lächeln in seinem Gesicht. Es war als ob, Lâvin seine liebe spüren konnte und musste selber lächeln. Sie dachte an Sefa.

"Melek war wie eine Erlösung für mich, mein Licht. Sie ließ mich all meine Sorgen vergessen, meine Wunden heilen. Wie ihr Name schon sagt, ein Engel, ohne Flügel."

Es herrschte einige Sekunden Stille und Ali fuhr  fort.

"Meine Familie war besessen von Folter. Sie haben mich und meinen Bruder mit Heroin voll gespritzt, geschlagen und uns gerne mit dem Messer Schnittwunden verpasst. Ich war 17 und mein Bruder 14."

Lavin konnte sich in ihm erkennen. Gefoltert von der eigenen Familie. Das war ihr nicht Fremd.

"Melek war die eine, die meine Wunden heilen konnte, die mich vergessen ließ wer ich war, zu wem ich gehörte. Eines Tages, da hatten meine Eltern wieder einmal getrunken. Ich schloss meinen Bruder vorsichtshalber  in meinem Zimmer ein und versteckte den Schlüssel, damit sie nicht rein gehen konnten.
Sie schlugen mich bis ich das Bewusstsein verlor und fand mich am Ende im Krankenhaus neben Melek. Ich werde  diesen Moment  nicht vergessen."
Ali lächelte erneut. "Sie sah mich so liebevoll an, gab mir das Gefühl der Hoffnung und der Sicherheit, dass ich in diesem Moment einfach alles vergessen hatte. Meine Eltern, meine Sorgen. Einfach alles, doch hätte ich gewusst, dass ich dieses Gefühl das letzte mal erlebe, würde ich alles tun um dies zu verlängern."

Lâvin  verstand nicht  richtig. " Was meinst du mit 'das letzte mal'? Was ist denn passiert? Hast du sie danach nicht mehr gesehen?"

Er schüttelte mit  dem Kopf  und nippte an seinem Kaffee. "Doch, nur konnte ich sie danach  nicht mehr erkennen."
"Was meinst du mit 'nicht mehr erkennen'?", fragte Lâvin mit gerunzelter Stirn.
"Nach dem Krankenhausbesuch, hat sie sich auf den Weg zu meinen Eltern gemacht um mit ihnen zu reden, jedoch ging ihr Versuch schief und endete mit einem großen Blutbad."

Lâvin machte  große Augen. Sie konnte ihren Ohren nicht trauen. "Wie bitte? was?", brachte sie geschockt  von sich.
"Meine Eltern waren durch die Drogen nicht  fähig ein junges zierliches Mädchen, mit einem  großen und mächtigen Löwen zu unterscheiden. Ich weiß,  es klingt lächerlich, aber es waren die Drogen. Sie haben sie angegriffen und versucht zu töten, doch nicht sie starb am ende des Tages, sondern meine Eltern."
Ali stoppte  und presste seine Lippen aufeinander und lächelte. Er wollte keine Tränen  verlieren.
Lâvin war außer sich und konnte gerade nicht realisieren was Ali gerade von sich gab.
"Melek war gezwungen sich zu wehren und hat mit einem Küchenmesser auf meine Eltern eingestochen, bis sie sich nicht mehr bewegten. Es war einfach zwei Menschen zu überwältigen die unter Drogen standen. Genau in diesem Moment  kam die Polizei, sie waren  schon auf dem Weg dorthin, bevor  es zu diesem Blutbad kam. Sie sollten verhaftet werden, da unsere Nachbarn sie endlich- aber viel zu spät- anzeigten. Hätte ich sie im Krankenhaus noch bei mir behalten, käme es gar nicht dazu und sie wäre jetzt  meine Frau, die Mutter meiner Kinder."

Ali verschlug Lâvin  die Sprache.
"Sie muss dich sehr geliebt haben", flüsterte sie und  legte ihre Hand auf seine Schulter.
"Sie ist bis heute in einer Nervenheilanstalt. Sie war doch nicht  so stark wie sie immer von sich selbst behauptete. Sie konnte das Ereignis nicht verkraften, hat versucht sich umzubringen und am Ende brachten ihre Eltern sie zur Psychiatrie." Ali's Mundwinkel zuckte.
"Das Licht  in ihren Augen erlosch, die liebe darin erlosch, das Leben darin-"
Er schloss seine Augen.
"-erlosch."

Die Augen reden mächtiger als die Lippen.

Gerhart Hauptmann

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 15, 2017 ⏰

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