Der schwache Schein, der von nur wenigen Kerzen ausging, machte es Kahil schwer etwas zu sehen. Er wusste natürlich, dass er sich in einem Kellergewölbe befand und, dass es sich um ein altmodisch ausgestattetes Wohnzimmer handelte. Schließlich hielt er sich fast den gesamten Tag hier auf. So wusste er auch, dass er von der Tür aus exakt sechs Schritte in die Mitte des Raumes gehen musste, damit er genau vor dem satinroten Sessel seines Herrn stand, dessen Konturen im Kerzenlicht nur schwer zu erkennen waren. Kahil bemerkte jedoch, dass der Sessel herumgedreht worden war, sodass er seinen Herrn nicht sehen konnte. Kahil wollte gerade auf sich aufmerksam machen, als sein Herr schon anfing zu reden.
»Du musst sie zu mir bringen!«, ertönte eine kehlige Stimme.
Kahil starrte überrascht ins Dunkle. Die Frau hatte also tatsächlich ihren Weg in die abgelegene Gegend gefunden. Sein Herr hatte ihm vor vielen Wochen mitgeteilt, dass jemand auf dem Weg wäre. Jemand besonderes, den der Herr gut gebrauchen könnte. Sie würde ihren Weg in das Dorf finden, hatte er gesagt und es war Kahils Aufgabe sie herzubringen.
»Kahil. Ich finde es wahrlich bewundernswert, dass du dich von einer hässlichen, buckligen Kreatur in einen anständigen Mann verwandelt hast. Als du deine ersten Worte, anstatt diesem unverständlichen Gebrumme sprachst, war ich überrascht.« Der Herr atmete kurz durch, obwohl er das nicht musste und redete dann mit erhobener Stimme weiter. »Aber dann wende deine neu gewonnenen Fähigkeiten auch an. Sprich mit mir!«
»Eure Exzellenz. Seid Ihr Euch sicher, dass sie es ist? Habt Ihr sie überhaupt schon gesehen?«
»Nein«, zischte Kahils Herr. »Das tut nichts zur Sache. Ich spüre die Verbindung zu ihr. Das reicht. Zweifelst du etwa an meinen Entscheidungen?«
»Mit Sicherheit nicht, Eure Exzellenz. Ihr habt es nur schon eine längere Zeit ohne eine Auserwählte ausgehalten und plötzlich ist sie da? Was ist mit der Gräfin?«
Eine Zeit lang geschah nichts. Dann wurde der Sessel kraftvoll zurückgeschoben. Ein unangenehmes Geräusch ertönte, als sich seine verzierten Holzbeine über den Steinboden bewegten. Kahils Herr war aufgestanden. Er griff nach einer pechschwarzen Kerze, die neben ihm auf einem runden Holztisch stand, drehte sich schwungvoll um und schritt zu Kahil, bis er ganz dicht vor ihm stand. Kahil musste den Kopf in den Nacken legen, um seinem Herrn in die Augen sehen zu können, so groß war er. Das Gesicht seines Herrn wirkte noch blasser im Schein der Kerze, als es sowieso schon war.
»Du nennst sie gefälligst nicht die Gräfin. Den Titel muss sie sich erst verdienen. Der einzige, der hier einen Adelstitel trägt, bin ich.« Der Herr richtete sich noch mehr auf, als er schon aufgerichtet war. »Graf Kronberg ist mein Name und ich bin hier der Herrscher.«
Das war nicht sein richtiger Name, das wusste Kahil. Er hatte ihn vor einer langen Zeit geändert.
»Außerdem ist die Dame, die ich hier beherberge, nur ein Zeitvertreib, damit ich nicht an die Vergangenheit zurückdenken muss«, fuhr der Herr fort. »Du verstehst, was ich meine?«
Kahil nickte eifrig.
»Na dann.« Der Herr bewegte die Kerze nach vorne und deutete mit ihr zum Ausgang. »Geh und bring mir meine Auserwählte! Sie müsste mittlerweile im Dorf eingetroffen sein.«
Kahil zögerte. Irgendetwas störte ihn an der Tatsache, dass der Graf sich so sicher war. Er hatte sie noch nicht einmal beobachtet. Das hatte er doch sonst immer getan. Alle vorherigen hatte er mit seiner eigenen Stimme gerufen und sie waren von selbst gekommen und jetzt sollte Kahil sie herbringen? Ob mit oder ohne Gewalt hatte sein Herr gesagt. Dem Herrn war die Freiwilligkeit, die ihm doch sonst so wichtig gewesen war, auf einmal vollkommen egal.
»Eure Exzellenz. Es tut mir furchtbar leid, aber was ist, wenn Ihr sie wieder verliert?«
Kahil wusste, dass er einen verletzlichen Punkt seines Herrn ansprach und kurz sah er seinen Gesichtsausdruck brechen, doch dann fasste sich sein Herr wieder. Er stellte die Kerze in seiner Hand auf einem weiteren Tisch ab. Dabei wendete er sich von Kahil ab.
»Dazu wird es nicht kommen. Dafür werde ich sorgen, wenn sie hier ist.«
Nachdem eine so lange Zeit vergangen war, litt sein Herr immer noch unter seinem letzten Verlust. Kahil hörte es in seiner Stimme.
»Es war nicht Eure Schuld, das S...«
»Nenne nicht ihren Namen!«, rief Kahils Herr.
Etwas ängstlich fuhr Kahil fort. »Es ist nicht Eure Schuld, dass sie geflohen ist. Da waren doch dieser Jüngling und der Wissenschaftler. Sie wussten scheinbar, was zu tun war und wie man mit unserer Art umgeht.«
»Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist«, sagte der Herr leise. »Sie wollte doch bei mir bleiben. Ich war mir so sicher, aber dieser Junge hat alles vernichtet. Alles!«, schrie der Herr nun. Er drehte sich schnell zurück zu Kahil, der merklich zusammenzuckte. »Würdest du dich jetzt auf den Weg ins Dorf machen?«
»Aber die Sonne«, stotterte Kahil.
»Ach, die Sonne«, imitierte der Herr. »Die Sonne kann dir nichts anhaben. Wozu hast du schließlich das Serum? Jetzt ist die Zeit gekommen es zu benutzen. Du mischst dich am Tag unter die Leute und gewinnst ihr Vertrauen.«
»Verstehe, Eure Exzellenz. Ich kann das Serum jedoch nur einmal benutzen. Wie komme ich zurück?«
»Natürlich kommst du in der Nacht mit ihr zurück, du Dummkopf«, sagte Kahils Herr wütend.
»Das ergibt Sinn.«
»Kann ich mich auf dich verlassen?«, fragte der Herr.
Kahil nickte artig. »Sicher. Ich diene Euch schließlich schon seit vielen Jahren. Da müsstet Ihr wissen, dass ich zuverlässig bin.«
»Dann geh nun!«
Als sein Herr sich erneut bedrohlich über ihm aufbaute, wich Kahil zurück und verließ eilig das Kellergewölbe.
Seit ein paar Jahren bin ich ein begeisterter Musicalfan. 2016 habe ich mir „Tanz der Vampire" zum ersten Mal angesehen. Das Musical hat mich zu dieser Geschichte hier inspiriert. Das Ende hat mich ziemlich überrascht und ich finde, dass man daraus noch viel machen kann.
PS: Wer Tanz der Vampire schon einmal gesehen hat, kann ja mal raten, wer hier gemeint ist.
LG CCs-storyworld
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Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNG
Fanfiction"Vampire?", fragte Melody. "Das ich nicht lache. Die sind doch bloß eine Erfindung meines Ururgroßvaters in seinen Geschichten. Er war Wissenschaftler. Von seiner letzten Mission kam er völlig verstört zurück und verbrachte den Rest seines Lebens in...