18. Kapitel

934 50 5
                                    

Die junge Frau lag in seinen Armen, als er an der ehemaligen Ruine seines Schlosses ankam. Seelenruhig und mit einem leichten Lächeln auf den vollen Lippen, schien die Auserwählte zu schlafen. Vorsichtig öffnete der Graf eine fast übersehbare Luke vor ihm auf dem Boden, hinter der sich die unendlich lange Wendeltreppe zu den Gemäuern befand. Sachte, fast schon schwebend, eilte der Graf die Treppen herunter. Licht benötigte er nicht. Es war schon spät. Der Morgen würde bald anbrechen. Aus diesem Grund begegnete der Graf niemandem mehr. Auch für ihn hieß es bald in den Sarg zu gehen und bis zur nächsten Nacht zu schlafen. Doch zunächst musste er die Auserwählte in eins seiner Gästezimmer bringen. Der Graf sah hinunter zu der jungen Frau in seinen Armen. Ihr Gesicht war makellos schön, ihr Körper schlank und jugendlich. Trotzdem fehlte ihr etwas. Etwas stach in seinem kalten Herzen, als der Graf an die Konfrontation mit Aedan und Sophie dachte. So viele Jahre war es nun schon her, dass die beiden seinem Schloss entkommen waren und es zu Trümmern zerlegt hatten und doch hatte er sich fast nicht beherrschen können, als er Sophie vor dem Hotel gesehen hatte, das für den Grafen immer noch die alte Herberge war. Warum hatte Kahil ihm nichts davon erzählt, dass beide in der Stadt waren? Sie stellten eine große Bedrohung für seine Pläne dar. Nun wusste nicht nur der Graf selbst, dass Sophie und Aedan sich in der Stadt aufhielten, sondern auch die beiden waren sich nun bewusst, dass der Graf sich die gesamte Zeit über an demselben Ort aufgehalten hatte, um die Vergangenheit vielleicht doch ein bisschen festzuhalten zu können. Dem Grafen war damals schon klar gewesen, dass es nicht lange dauern würde, bis Sophie auch den Jüngling und den Professor verwandeln würde. Blutdurst war nicht aufhaltbar, das wusste er nur zu gut. Doch bis jetzt hatte er nur Aedan gesehen, vom Professor keine Spur. Das war ihm auch lieber. Schon damals war der Professor ein irrender Mensch gewesen. Immer nur auf Fortschritt und den Erfolg der Wissenschaft bedacht. Der Graf schnaufte wütend, beruhigte sich jedoch sofort wieder, da er die junge Frau, die er trug, nicht aufwecken wollte. Sie sollte noch einige Zeit ruhen, bis es soweit war und sie ihre Bestimmung erfüllte. Sie mochte eine harte Schale haben, doch tief in ihr steckte ein weicher Kern, der sich leicht manipulieren ließ und schon immer davon geträumt hatte einen Blick in die Dunkelheit zu erhaschen. Strahlend weiße Zähne kamen zum Vorschein, als der Graf zu lächeln begann. Alles würde gut werden. Er würde wieder glücklich sein und könnte die Vergangenheit endlich hinter sich lassen.

Als er das am nächsten liegende Gästezimmer erreichte, legte der Graf die junge Frau auf ein großes Bett, das in einen satinroten Bettbezug gekleidet war. Sie wirkte so friedlich, wie sie auf dem Bett lag. Seine Wahl war perfekt gewesen. Nicht mehr lange, dann gehörte Melody ganz dem Grafen. Ihr Herz würde dahinschmelzen und sich in etwas anderes verwandeln. Etwas wildes, das niemand mehr aufhalten könnte.

Der Graf vergaß die Zeit. Er sehnte sich nach dem Moment, der alles verändern würde. Er wusste nicht, wie lange er sich die junge Frau angesehen hatte, aber plötzlich überkam ihn eine schwere Müdigkeit. Doch bevor er schlafen gehen konnte, musste er noch etwas erledigen. Er löste seinen Blick ungern von der jungen Frau. Trotzdem hatte er noch ein ernstes Wort mit jemandem zu besprechen. Der Graf verließ das Zimmer und schloss leise die Türe hinter sich. Langsam und grazil schritt er den langen Gang entlang, den er gekommen war. Er wusste, wo sich Kahil aufhielt. Das war der Vorteil eines Clans. Jeder Vampir war über Empfindungen miteinander verbunden. Der Graf hatte vor langer Zeit gelernt seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, sodass seine Anhänger sich schwer taten auch nur ein bisschen zu erahnen, was in ihm vorging. Dagegen konnte der Graf Kahils Stimmung momentan sehr gut spüren. Sein treuer Diener empfand Reue und eine sehr große Angst. Kein Wunder, denn Kahil hatte Graf Kronberg die wichtigsten Neuigkeiten verschwiegen. Scheinbar wusste sein Diener, dass sich der Graf näherte, denn Kahil versteckte sich in der hintersten Ecke des großen Saales, als der Graf ihn betrat. Große, alte Gemälde zierten die Steinwände. Tausende Kerzenständer, die Licht spendeten, standen herum. Sie waren dafür verantwortlich, dass sich hier und da kleine Pfützen aus getrocknetem Kerzenwachs auf dem Boden gebildet hatten. Auch im großen Saal befanden sich tiefrote Möbelstücke. Die rote Farbe beruhigten die Vampire ungemein. Mit ihr verbanden sie Glück, Zufriedenheit und Befriedigung. Nicht mehr lange, dann würde in diesem Raum endlich wieder ein Ball stattfinden.

»Komm raus, Kahil«, erhob Graf Kronberg seine Stimme nun. »Ich weiß, dass du hier bist. Ich kann deinen kalten Angstschweiß wittern.«

Zitternd und mit eingezogenen Schultern trat Kahil aus dem Schatten seiner Ecke und blieb immer noch weit entfernt stehen.

»Komm her.« Der Graf bedeutete seinem Diener mit einer Handbewegung näher zu kommen.

Es dauerte eine lange Zeit, bis Kahil vor seinem Herrn stand und als der Graf ihm eine Hand auf die Schulter legte, zuckte er erschrocken zusammen.

»Warum hast du mir nichts von Sophie und Aedan erzählt?«, fragte der Graf mit einem falschen Lächeln. Im Inneren kochte er vor Wut und dieses Mal versteckte er seine Gefühle nicht. Kahil sollte ruhig wissen, dass er einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte, dem Grafen nichts von den beiden Vampiren zu erzählen.

»Ich wollte Euch berichten, dass sich die beiden in der Stadt aufhalten, mein Herr, aber als ich Sophie nicht zu Euch gebracht habe, habt Ihr mich aus den Katakomben gejagt und ich hatte keine Chance mehr. Erinnert Ihr Euch noch?«

Der Graf überlegte einen Moment. Er hatte Kahil tatsächlich in seinem Bericht unterbrochen. Der Grund dafür war seine Wut gewesen, die ihn unerwartet überkommen hatte. Er war nicht mehr in der Lage dazu gewesen, rationale Schlüsse zu ziehen. Das passierte ihm nur sehr selten. Doch die Auserwählte hatte in ihm etwas Schlummerndes geweckt. Der Graf wollte sie nur für sich. Er wollte sie beschützen vor allem Übel der Welt. Die Sterblichkeit konnte einem Vampir nicht mehr in die Quere kommen. Vor allem aber wollte der Graf sichergehen, dass etwas ganz bestimmtes nicht eintreffen würde. Kurz sah er sich verstohlen um, ob Kahil irgendetwas mitbekommen hatte, was er gedacht und gefühlt hatte, doch der schwache Vampir war so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass er noch nicht einmal mitbekam, wie der Graf den Saal verließ. Für heute ließ es Graf Kronberg erst einmal gut sein. Er war unendlich müde. Es war mittlerweile wirklich Zeit schlafen zu gehen. Morgen war eine neue Nacht. Dann würde sich die Auserwählte wohler fühlen, da war er sich sicher. Mit strammen Schritten begab sich der Graf zu seiner Kammer. Vor ihm erhob sich sein großer Sarg. Es ging doch nichts über einen gemütlichen Sarg, in dem er den Tag verbringen und von einer rosigen Zukunft träumen könnte. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit, fühlte sich der Graf zuversichtlich.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt