Ich wurde mitten in der Nacht geweckt. Durch eine leise, dennoch klare Melodie. Ich dachte zunächst, sie käme aus einem der Zimmer im Hotel. Doch als ich durch meinen Raum ging und horchte, stellte ich fest, dass nur eine Person diese Melodie hören konnte. Und das war ich. Die zärtlichen Töne schienen in meinem Kopf gespielt zu werden. Wie merkwürdig. Doch sie waren so wundervoll. Es war das schönste Lied, das ich jemals gehört hatte. Eine Träne lief mir über die Wange, so gerührt war ich von den Tönen. Sie machten mich schwach und verletzlich. Angestaute Gefühle, tief aus meinem Inneren, wandten sich hervor und brachen aus und das war etwas Seltsames. Aber ich war nicht traurig oder wütend. Ich fühlte mich vollkommen. Mit all meinen Stärken und all meinen Schwächen und es fühlte sich so an, als würde eine schwere Last von mir abfallen. Dann stoppte die Melodie abrupt und ich hörte wieder nur die Stille der rauen Nacht. Waren die zarten Töne, die mich so emotional berührt hatten, nur eins meiner vielen Hirngespinste? Hatte ich sie mir nur ausgedacht? War überhaupt alles real, was mir in der letzten Zeit passiert war? Ich schüttelte den Kopf und lies mich kraftlos auf mein Bett fallen. Oder war alles nur ein Traum und ich würde jeden Moment aufwachen und mich möglicherweise noch nicht einmal an den Inhalt erinnern? Ich schloss meine Augen. Bereit für alles, was als nächstes kommen sollte. Doch mit dem, was tatsächlich geschah, hatte ich dann doch nicht gerechnet.
»Melody.«
Ich schlug die Augen auf und sah mich um. Ich hätte schwören können, dass eine Person direkt neben mir stand und meinen Namen flüsterte. Doch in meinem Zimmer war niemand. Jetzt wurde ich endgültig verrückt. Genau wie mein Großvater. Aber Vampire gab es wirklich. Warum sollte es dann keine Stimme geben, die mich rief? Vielleicht waren die Ereignisse der letzten Stunden aber auch einfach zu viel für mich gewesen. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, vielleicht stand ich einfach noch unter Schock und hatte alles doch nicht so gut weggesteckt, wie gedacht. Ich schloss meine Augen wieder und entspannte mich.
»Sei bereit, Melody.«
Da war sie schon wieder. Diese Stimme. Diesmal lauter, tiefer und voller Kraft. Es war ein Mann, der sprach. Irgendwie zog mich diese Stimme in einen Bann. Ich fühlte mich wie in einer Trance. Diesmal ließ ich die Augen geschlossen.
»Hörst du mir zu, Melody?«
Ich nickte automatisch und bemerkte, dass ich nicht mehr Herr meiner Sinne war.
»Ich sehen etwas in dir, Sternkind.«
Ich fragte mich, was ein Sternkind war. Aber nach wenigen Sekunden war es mir egal. Das einzige, was zählte, war diese wundervolle Stimme. Vergleichbar mit der Melodie, die ich vorher gehört hatte.
»In dir ist eine Leere und du verlangst nach etwas, dass diese Leere füllt. Das spüre ich.«
Ich stimmte vollkommen zu und nickte wieder.
»Ich habe gute Neuigkeiten für dich. Du kannst dich freuen. Ich bin derjenige, der dir dabei helfen kann. Dich trennt nur noch ein winziges Stück von der Vollkommenheit. Mit mir zusammen«, sagte die Stimme. »Weißt du, Melody. Ich bin zu einem ewigen Leben verflucht.«
Etwas breitete sich in mir aus. Ich konnte es nicht benennen. Ich wusste nur, dass es sich nicht gut anfühlte.
»Ich bin ein Schatten und wandele in der Nacht. Komm mit mir in meinen Abgrund. Dort kannst du alle deine Sorgen vergessen. Dort kannst du dich verlieren und bis in die Ewigkeit an meiner Seite sein. Komm mit mir, Sternenkind.«
Unruhe. Das war es, was ich fühlte. Sie warnte mich vor irgendwas. Nein. Irgendwer hatte mich vor etwas gewarnt. Ich konnte mich nur nicht mehr erinnern, wovor ich gewarnt worden war.
»Komm mit mir, Melody«, wiederholte der Mann.
Ich schüttelte angestrengt den Kopf. »Nein.«
»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin nicht der Teufel. Im Gegenteil. Ich bin dein ganz persönlicher Engel. Ich werde dich zu einem ganz neuen ... Menschen machen.«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und wollte meine Augen öffnen. Doch mein Körper gehorchte mir nicht mehr.
»Ich weiß, dass du mehr willst. Dein jetziges Leben ist dir nicht genug. Du strebst nach mehr. Man warnte dich vor Gefahr. Man versprach dir Sicherheit, aber das war alles nur gelogen.«
Er hatte Recht. Ich wusste nicht wieso, aber er hatte Recht. Mit diesen Gedanken entspannte ich mich wieder.
»Das, was dir fehlt, kann ich dir geben. Vertrau mir. Ich nehme dich mit in eine Welt, die dich insgeheim schon immer fasziniert hat. Du kannst deinem Alltag entfliehen und deine Fantasie beflügeln. Also, komm mit mir.«
Ich nickte und richtete mich auf. »Ja, ja. Ich komme mit.«
Ich brauchte meine Augen nicht zu öffnen. Die Stimme leitete mich. Meine Beine und Füße bewegten sich von ganz allein. Irgendwann umspielte mich frische Luft.
»Lass dich fallen, Melody«, sagte die Stimme.
Ich vertraute ihr und tat, was mir gesagt wurde. Ich ließ mich fallen und wurde von starken Armen aufgefangen. Dann wurde ich hochgehoben. Ich spürte weichen Stoff und unglaubliche Sicherheit, wie ich sie noch nie verspürt hatte. Dann setzte sich die Person, die mich trug, in Bewegung. Der Wind wehte mir um die Ohren.
Und dann, plötzlich, wurde ich sanft abgelegt. Auf ein Bett, wie es mir schien, aber das war mir egal, denn es fühlte sich alles perfekt an.»Noch eine Sache«, flüsterte die Stimme in mein Ohr. Ein wohliger Schauer lief mir den Rücken herunter. »Ich sage es ungern, aber du sollst es wissen und ich weiß, dass es dir trotz allem gut gehen wird, denn was ich rette geht zu Grund, was ich segne muss verderben. Nur mein Gift macht dich gesund. Um zu leben musst du nun einmal sterben.«
15. Januar 1854:
Brilliante Neuigkeiten. Charles führte uns geradewegs zum Schloss des Grafen. Was für ein Erfolg! Nun, ja. Zunächst einmal war mir und vor allem meinem jungen Assistenten mulmig zumute, denn vor dem Schloss trafen wir auf den Grafen höchstpersönlich. Er erzählte uns von sich und stellte uns seinen Sohn Henry vor. Doch eine Sache überraschte mich zutiefst. Der Alphavampir kannte meinen Namen. Er erzählte, er habe mein Buch gelesen. Eine Ehre ist das für mich. Der Höhepunkt meiner Karriere. Der Vampir liest ein Buch über Vampire. Wie charmant. Doch eigentlich ist es witzlos. Der Graf nannte sich zudem einen Nachtvogel, bei Tag nicht zu gebrauchen. Dann werde ich mal schleunigst zusehen, dass ich ihn sobald wie möglich erledige und nur noch Staub von ihm und seiner Schar von Biestern übrig bleibt. Der wirklich überaus liebenswürdige Bucklige führte uns auf unser Zimmer und hier liege ich nun in meinem Bett und warte auf den richtigen Augenblick.
DU LIEST GERADE
Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNG
Fanfiction"Vampire?", fragte Melody. "Das ich nicht lache. Die sind doch bloß eine Erfindung meines Ururgroßvaters in seinen Geschichten. Er war Wissenschaftler. Von seiner letzten Mission kam er völlig verstört zurück und verbrachte den Rest seines Lebens in...