8. Kapitel

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Kahil ging den steinernen Gang entlang zum Zimmer seines Herrn. Seine Haltung strahlte nicht die sonstige Selbstsicherheit aus. Er fühlte sich wieder genauso schlaff wie vor hunderten Jahren, als er noch nicht dem neuen Clan seines Herrn angehörte. Er verzweifelte definitiv an seiner gescheiterten Mission. Der Herr würde wütend sein, wenn nicht sogar rasend vor Wut und wenn Kahil ihm auch noch berichtete, dass Aedan und Sophie in der Stadt waren, dann ... Darüber wollte er lieber gar nicht nachdenken.

Es war bereits weit nach Mitternacht und in den Gängen, die Kahil schon hinter sich gelassen hatte, herrschte reges Treiben. Im Gegensatz zum heutigen Nachmittag, an dem die Gänge wie ausgestorben gewesen waren. Kahil fuhr sich aufgewühlt und nervös durch sein Haar. Er hatte das Serum, das nur einen Tag wirkte, verbraucht und er hatte es noch nicht einmal geschafft die Auserwählte zu seinem Herrn zu führen. Kahil rechnete mit einer schlimmen Bestrafung. Der Weg zum Zimmer seines Herrn kam ihm wie eine Ewigkeit vor, doch dann stand er vor der großen, steinernen Türe. Kahil wollte gerade klopfen, als sich die Türe von alleine mit einem unheimlichen Quietschen öffnete. Kahil zögerte. Normalerweise klopfte er an die Türe und trat dann ein. Jetzt war er sich nicht sicher, was er tun sollte.

»Tritt ein«, ertönte die dunkle Stimme seines Herrn.

Als Kahil das Zimmer betrat, schloss sich die Türe hinter ihm und fiel mit einem unangenehmen Geräusch ins Schloss. Nun war Kahil praktisch blind. Keine einzige Lichtquelle befand sich im Raum und er musste sich ganz auf seinen eigenen Orientierungssinn verlassen. Seine Augen waren noch nicht so ausgebildet, wie die seines Herrn.

»Du hast sie nicht hergebracht«, zischte der Graf. »Man hat dich ohne Begleitung den Berg heraufgehen sehen.«

»Ja, das ist wahr«, sagte Kahil eingeschüchtert. Er konnte seinen Herrn nicht sehen. Nur seine Stimme hörte er aus verschiedenen Richtungen durch den Raum hallen. Sein Herr bewegte sich flink und war im Gegensatz zu Kahil in der Lage, selbst bei schwärzester Nacht zu sehen.

»Du hattest nur eine einzige Aufgabe!«, schrie sein Herr.

Kahil zuckte zusammen.

»Ach, mein Spitzzähnchen. Musst du denn immer so streng mit ihm sein?«

Kahil sah sich erschrocken um. Die Gräfin war auch hier? Wenn sie sich im Zimmer aufhielt, wer dann noch? Kahil konnte vom ganzen Clan umzingelt sein, ohne, dass er davon wusste.

»Halte dich da raus«, sagte sein Herr. »Kahil ist mein Diener. Er ist seine Aufgabe meine Befehle entgegenzunehmen und sie zu erfüllen.«

Eine Weile herrschte gespenstige Stille und als der Graf das nächste Mal redete, war seine Stimme so nah an Kahil, dass er befürchtete sein Herr würde ihn ein zweites Mal umbringen.

»Du hast den einzigen Trank, den wir hatten, aufgebraucht.« Die Stimme seines Herrn war nur ein Flüstern, aber Kahil zitterte vor Angst. Seine perlweißen Zähne klapperten aufeinander.
»Das ist mir bewusst, Eure Exzellenz.«

»Wenn du selbst die einfachsten Befehle nicht ausführen kannst, was soll ich dann noch mit dir anfangen?«

Kahil gab keine Antwort.

»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als dich dahin zu schicken, wo du hergekommen bist.«

»Eure Exzellenz«, wehrte Kahil ab. »Es hatte von Anfang an keinen Sinn mich in die Stadt zu schicken. Erstens bin ich nicht so überzeugend, wie Ihr es seid, mein Herr und zweitens ist es überaus wichtig, dass Eure Auserwählte freiwillig her kommt. Euer Ruf wird sie locken. Außerdem gibt es da noch etwas, dass Ihr Wissen müsst ...«

Eine eiskalte Hand legte sich auf Kahils Schulter. Spitze Fingernägel bohrten sich in seine Haut.

»Geh mir aus den Augen«, befahl sein Herr. »Sonst passiert mit dir noch etwas viel Schlimmeres.«

»Aber, Eure Exzellenz«, widersprach Kahil. »Jemand ist in der Stadt, von dem Ihr nicht begeistert sein werdet.«

»Raus hier!«, rief der Herr.

Kahil wurde unsanft nach vorne gestoßen. Er nahm seine Beine in die Hand und floh blindlinks durch das Zimmer und aus der Türe heraus. Erst als er aus den Gewölben in die Nacht hinaustrat blieb er stehen und machte sich auf die Suche nach einem Unterschlupf für den sich nähernden Morgen.

»Was hast du jetzt vor, mein Blutspätzchen?«

Der Graf konnte diese schrille Stimme bald nicht mehr hören. Es war wichtig, dass seine Auserwählte sobald wie möglich in den Gewölben auftauchte. Dann gab es endlich wieder einen Grund zum Leben. Trotzdem musste er die Zeit bis dahin irgendwie totschlagen. Er hatte doch noch so viel davon übrig. Der Graf ging zurück zu der Frau auf seiner Couch, die ihm die Zeit vertrieb. Sobald er sich setzte, begann sie mit seinem dichten, schwarzen Haar zu spielen.

»Nun, ja. Auch wenn ich Kahil nur ungern Recht gebe, wäre es doch von Anfang an besser gewesen die Auserwählte auf eigene Faust hierhinzulocken. Immer muss man alles selbst machen«, beschwerte sich der Graf. »Morgen Nacht werde ich mich auf den Weg zu ihr machen und sie rufen.«

Die Frau neben ihm hauchte dem Grafen einen Kuss auf die Wange und strich noch einmal über sein Haar. Dann stand sie auf.

»Ich bin zuversichtlich, dass sie kommt, auch wenn ich dadurch meine Rolle in deinem Leben verliere. Aber deine Zufriedenheit geht natürlich vor«, sagte sie mit einem Lächeln auf den roten Lippen.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt