6. Kapitel

1K 64 5
                                    

»Kann ich Ihnen schon etwas bringen?«, fragte der Kellner, der an unseren Tisch getreten war. Er sprach mit einem französischen Akzent und ein kleiner Schnurrbart zierte sein Gesicht.

»Zwei Mal die blutige Fledermaus, bitte«, bestellte Aedan für uns.

Das Hotel nahm die Geschichten, die man sich erzählte wenigstens mit Humor.

Auf der Karte war uns das Gericht empfohlen worden. Ein blutiges Steak mit frischem Salat und einer Handvoll Bratkartoffeln. Kurzum hatten wir uns beide für das Gericht entschieden.

»Ahh«, sagte der Kellner begeistert. »Eine sehr gute Wahl.« Er schrieb die Bestellung auf einen kleinen Notizblock und verließ dann mit einem zufriedenen Lächeln unseren Tisch.

»Also«, begann Aedan. »Was verschlägt eine Frau wie Sie in diese abgelegene Gegend?«

Ich räusperte mich und holte tief Luft. Dann erklärte ich ihm, was mich dazu verleitet hatte nach Bran zu kommen. Ich erzählte ihm vom Tagebuch meines Großvaters und von seinen Aufzeichnungen, von meiner Neugierde und meiner Überzeugung der Sache auf den Grund zu gehen.
Während ich erzählte, brachte der Kellner unser Essen. Mir lief das Wasser im Munde zusammen, doch ich beendete zuerst meinen Redefluss. Nachdem ich zu Ende berichtet hatte, sah ich Aedan an. Er hatte sich, während ich redete sein Essen reingeschaufelt, so als wäre er auf der Flucht und mit der Zeit war er ganz still und blass geworden.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich ihn und er sah mich ertappt an. Wieso verhielt er sich so merkwürdig?

»Wie bitte?«, stammelte er. »Äh, nein. Alles gut. Wahrscheinlich habe ich zu schnell gegessen.«

»Das wundert mich nicht«, kicherte ich. »Jedenfalls kann man die Aufzeichnungen meines Großvaters nicht ernst nehmen. Er war irre. Das haben auch die Ärzte, die ihn in der Psychiatrie behandelt haben, gesagt. Ich meine Vampire...« Ich fing wieder an zu lachen. »Es mag ja das Schloss geben beziehungsweise die Ruine, die übrig geblieben ist, aber Vampire? Nein, die gibt es nicht. Unmöglich.«

»Ja, unmöglich«, murmelte Aedan.

»Und was verschlägt Sie in diese Gegend?«, fragte ich.

»Oh.« Der junge Mann sah auf. »Ich wohne hier. Ich ... ich muss mich um meine Mutter kümmern. Sie lebt hier und ist momentan krank. Ich helfe ihr im Haushalt.«

»Also bist du alleine hier?«

»Nein«, widersprach Aedan. »Ich bin mit meiner Freundin hier.«

Er hatte eine Freundin? Warum war ich ihr noch nie begegnet?

»Sophie konnte nicht kommen, weil sie sich bei meiner Mutter angesteckt hat. Sie liegt im Bett und darf nicht rausgehen.«

Das beantwortete meine Frage. Ich nickte. »Die Armen. Aber das ist bei dem Wetter verständlich.«

»Dabei ist dieses Jahr ist ein relativ mildes Jahr. Sonst liegt selbst im Frühling noch Schnee.«

»Dann habe ich ja wirklich ein gutes Jahr erwischt«, sagte ich fröhlich.

Mittlerweile hatte ich mein Essen ebenfalls aufgegessen und ich legte mein Besteck auf den Teller.

»Und?«, fragte Aedan. »Hat es Ihnen geschmeckt?«

»Sehr«, antwortete ich. »Sie haben mir nicht zu viel versprochen.«

»Wo ich dich jetzt schon zweimal vor Kahil gerettet habe, wollen wir nicht lieber zu du übergehen?«

»Gerne«, sagte ich. »Du hast nicht zu viel versprochen, als du gesagt hast das Restaurant sei phänomenal.«

Der Kellner mit dem französischen Akzent und dem kleinen Schnurrbart trat an unseren Tisch. Er fragte, ob es uns geschmeckt hätte und ob er abräumen dürfe. Wir bejahten, er nahm das Geschirr und verließ unseren Tisch.

»Hast du heute noch was vor?«, fragte Aedan mich.

»Ich glaube ich werde gleich erstmal auf mein Zimmer gehen und mich ausruhen, wenn nicht sogar direkt schlafen gehen. Es war ein ganz schön anstrengender Tag.«

Aedan nickte. »Und was machst du morgen?«

»Bist du mein persönlicher Stalker, oder was? Ich dachte du hättest eine Freundin.«

»Was? Nein ... äh doch hab ich. Ich wollte doch nur...«

Ich fing an zu lachen. »Das war doch nur ein Scherz, Aedan. Morgen wollte ich eigentlich den Berg hinter dem Waldstück erkundschaften. Auf ihm soll die Ruine zu finden sein.«

»Soll ich mitkommen? Du könntest jemanden gebrauchen, der sich hier auskennt.«

»Nein, danke«, lehnte ich ab. »Das schaffe ich schon alleine.«

Als der Kellner zurück kam bezahlte Aedan für uns beide. »Wenn Sophie wieder gesund ist, dann stell ich sie dir vor.«

»Eine gute Idee«, sagte ich.

Nachdem wir noch einige Worte wechselten, stand ich auf und verabschiedete mich auf mein Zimmer. Aedan blieb noch sitzen.

Zurück auf meinem Zimmer, zog ich meine Jacke aus und schmiss sie auf die Couch. Dann kramte ich in meinem Rucksack nach dem Tagebuch meines Urgroßvaters und legte mich damit auf das Bett. Ich überflog die geschriebenen Zeilen, doch sie verschwammen vor meinen Augen. Mit dem Tagebuch auf meinem Bauch schlief ich ein.

14. Januar 1854:
Der Junge scheint ziemlich begeistert von der Tochter des Wirtes zu sein. Im Badezimmer, das unser Zimmer und ihres verbindet, habe ich sie reden hören. Zu genau diesem Zeitpunkt begann die Katastrophe. Mein Assistent rief mich ganz aufgebracht und teilte mir mit, dass er den Vampir gesehen hätte. Tatsächlich war im Badezimmer Verwesungsgeruch zu riechen. Er war dort gewesen. Ganz sicher. Aber er hat die Wirtstochter noch nicht gebissen. Ich kenne seine Intention. Dieser widerliche Schuft von Graf will die Tochter des Wirtes entführen. In meinem Handbuch für Vampire "Wie geht man mit einem Lebendtoten um" steht geschrieben, dass das Blut von Freiwilligen diesen Viechern besser schmeckt. Das wissen wir zu verhindern! Der Wirt und seine Frau sind jedenfalls ziemlich aufgebracht. Im Zimmer der Tochter konnte man sie schreien hören. Verständlich bei all der Aufregung.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt