25. Kapitel

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Ich saß unruhig auf der Couch meines Hotelzimmers und sah aus dem Fenster Richtung Gebirgskette. Die Sonne verschwand langsam hinter dem großen Berg, der einst das Fundament für das gigantische Schloss des Grafen gewesen war. Nun befand sich in seinem Inneren, verborgen vor menschlichen Augen, ein noch viel größeres Labyrinth aus majestätischen Sälen.

Ich seufzte und sah zu dem Bett zurück, auf dem es sich Vicky gemütlich gemacht hatte. »Bist du sicher, dass Aedan und Sophie zurückkommen? Was ist, wenn sie vom Grafen überredet worden sind, zu bleiben oder noch viel schlimmer ... was ist, wenn sie gefangen genommen worden sind?«

»Sie werden kommen. Ganz sicher. Sie müssen nur warten, bis die Sonne untergegangen ist. Ihr Immunitätsmittel habe nämlich ich.« Vicky zog ein kleines Fläschchen mit einer bräunlichen Flüssigkeit hervor.

Das erklärte einiges. Trotzdem machte ich mir Sorgen um die beiden. Ich wusste, wozu der Graf im Stande war. Ich hatte es schließlich selbst erlebt.

»Ich hasse es zu warten. Besonders, wenn es wichtig ist, dass wir schnell hier wegkommen«, beschwerte ich mich.

»Wenn du willst, können wir uns draußen noch etwas umsehen. Vielleicht wird ja irgendwo unsere Hilfe gebraucht.«

Auf dem großen Platz vor dem Hotel wurden diverse Scheinwerfer installiert, sowie verschiedene Stände aufgebaut, die für die Versorgung der Gäste dienen sollten. An einer der Lichtanlagen befand sich Herr Mayer. Er stand auf einer Leiter und schraubte an einem Scheinwerfer herum. Zögerlich trat ich auf ihn zu.

»Herr Mayer!«, begrüßte ich den Besitzer des Hotels.

Dieser wirbelte prompt herum und wäre fast von der Leiter gefallen, wäre Vicky nicht dazugekommen und hätte die wankende Leiter festgehalten. Herr Mayer stieg die Leiter hinab und blieb vor mir stehen.

»Melody, hallo! Wie ich sehe geht es dir besser.«

Ich lachte. »Ja. Das tut es.« Wenn er nur wüsste, was mir in so kurzer Zeit alles widerfahren war. »Leider muss ich diese Nacht schon abreisen.«

Herr Mayer sah mich irritiert an. »So? Warum, wenn ich fragen darf?«

»Ich ... ich muss dringend nach Hause. Ein Notfall in der Familie«, log ich knapp.

Der Hotelbesitzer legte seinen Kopf schief und sah mich eindringlich an. »Das ist sehr schade.« Dann wandte er seinen Blick von mir ab und schielte zu Vicky, bevor er sich wieder umdrehte und erneut auf die Leiter kletterte. Oben angekommen machte er sich wieder an die Arbeit, Schrauben festzudrehen. »Und ich kann dich wirklich nicht überreden noch bis zum Fest zu bleiben?«, fragte er mich.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«

Vicky stupste mich mit ihrem Ellbogen an. »Da vorne werden gerade Kisten ausgeladen. Ich glaube ich mache mich mal nützlich. Kommst du mit?«

Tatsächlich war gerade ein Lastwagen auf den Platz vor dem Hotel gefahren und Helfer eilten dabei, um Kisten voller Souvenirs, hauptsächlich Knoblauch, auszuladen. »Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach«, informierte ich Vicky. Dann sah ich wieder zu Herr Mayer hoch und kletterte ebenfalls ein paar Stufen der Leiter hoch.

»Melody? Was hast du vor?«, fragte mich der ältere Mann.

»Ich habe die Ruine gefunden«, wisperte ich. »Es gibt sie wirklich. Alles gibt es wirklich. Die Legenden sind echt.« Schnell kletterte ich die Leiter wieder runter.

»Du hast was?«, rief Herr Mayer mir hinterher.

Schnell machte ich mich aus dem Staub. Es war riskant anderen Menschen die Wahrheit zu erzählen, aber irgendwem musste ich mein Geheimnis anvertrauen und der Hotelbesitzer schien mir der Vertrauenswürdigste zu sein.

Als ich am Lastwagen ankam, half ich ebenfalls ein paar Kisten auszuladen und in das Hotel zu bringen, wo sie bis zum morgigen Abend gelagert werden würden. Herr Mayer versuchte einige Male mit mir zu reden, jedoch ging ich ihm aus dem Weg. Ein bisschen Mysterium wollte ich ihm nicht enthalten.

Wenige Zeit später ging die Sonne komplett unter und Vicky beschloss, dass es in meinem Hotelzimmer sicherer war, als auf dem offenen Platz, der eine größere Angriffsfläche für nächtliche Vampirangriffe bot. Ich wurde immer nervöser, je weiter die Nacht voranschritt. Aedan und Sophie waren immer noch nicht aufgetaucht und ich lief Furchen in den schönen Hotelteppich.

»Was ist, wenn sie nicht kommen?«

»Sie werden kommen«, beruhigte mich Vicky, die sich schon wieder auf mein Bett gelegt hatte und ruhig irgendeine Melodie vor sich hin summte.

»Was singst du da eigentlich?«, wollte ich wissen.

»Ein altes Lied. Aedan und Sophie kennen es auch.«

»Magst du es mir vorsingen?«

Vicky schüttelte leicht den Kopf. »Ich singe es dir vor, wenn wir aus diesem Höllendorf raus sind. Mit Aedan und Sophie«, betonte die Frau. »Dann hast du wenigstens etwas, worauf du gespannt sein kannst und läufst nicht mehr so wie eine Verrückte durch das Zimmer.«

Die Freundin der beiden Vampire hatte recht. Ich war stehen geblieben und hatte ihr aufmerksam zugehört. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass Aedan und Sophie noch in den unterirdischen Katakomben des Schlosses waren. Lange konnte es jedoch nicht mehr dauern, bis die beiden Vampire auftauchen würden. Die Nacht hatte Einzug gehalten und die bleiche Mondsichel war klar am Himmel zu erkennen, wenn sich nicht gerade eine Wolke davorschob. Diese Nacht war es deutlich abgekühlt. Ich hatte mir schon heute Nachmittag eine Jacke anziehen müssen, als Vicky und ich das Hotel verlassen hatten.

Plötzlich klopfte jemand gegen das Fenster über der Couch. Abrupt drehte ich mich um und Vicky sprang auf. Zusammen näherten wir uns dem Fenster. Die Vorhänge waren bereits zugezogen worden.

»Lass mich nachsehen, wer vor dem Fenster steht. Falls es der Graf ist, wird er mich nicht erkennen.«

Ich nickte. Jedoch bezweifelte ich, dass der Graf am Fenster klopfen würde. Viel eher würde er wieder seine wunderschöne, männliche Stimme einsetzen und mich rufen. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich musste den Grafen aus meinem Gedächtnis verbannen. Er war weder ein guter Einfluss für mich, noch für alle anderen.

Vicky zog den Vorhang schnell beiseite und lachte erleichtert. Ich merkte erst, dass ich meinen Atem angehalten hatte, als ich ebenfalls froh die eingeatmete Luft wieder ausstieß. Wir vereinbarten mit Aedan und Sophie uns vor dem Hotel zu treffen.

16. Januar 1854:

Auf dem Weg zum großen Ball begegneten wir dem Grafen höchstpersönlich wieder. Mir lief ein Schauer über den Rücken, wie er da so bleich im Licht stand. Ich habe ihm noch einmal deutlich gemacht, dass er sein Unwesen bald nur noch in Gruselromanen treibt. Wenn ich erstmal mit ihm fertig bin, dann wünscht er sich doch lieber von Anfang an ein Mensch geblieben zu sein. Ich irre nicht! Ich, Professor Alois Alpenstein werden in die Geschichtsbücher eingehen! Nun bin ich schon so weit gekommen, jetzt kann ich die Vampire auch noch ein für alle Male beseitigen.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt