Doch unbemerkt nach draußen zu kommen war gar nicht so leicht. An der Rezeption saß immer noch ein Mitarbeiter, wahrscheinlich war er die ganze Nacht dort.
»Wir hätten einfach durch das Fenster klettern sollen. Das wäre viel einfacher gewesen«, flüsterte ich.
Vicky, die neben mir im Schatten des Ganges stand, der zu meinem Zimmer führte, zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon. Wir können doch einfach an ihm vorbeigehen. Keiner verbietet uns mitten in der Nacht das Hotel zu verlassen.«
»Da hast du auch wieder recht.«
Kurzerhand traten Vicky und ich in die Eingangshalle. Der Rezeptionist nickte uns tatsächlich nur zu und wir beeilten uns aus dem Hotel zu kommen. Doch gerade als wir die Türe öffnen wollten, ertönte eine mir sehr bekannte Stimme.
»Melody! Ich möchte noch mit dir reden. Über das, was du mir vor ein paar Stunden erzählt hast.« Herr Mayer trat aus der versteckten Türe hinter der Rezeption und versuchte uns einzuholen.
»Ich habe leider gerade keine Zeit«, rief ich nach hinten. »Nichts wie weg«, sagte ich dann leiser zu meiner Begleiterin und sprintete hektisch aus dem Hotel. Zum Glück folgte Herr Mayer nicht. Dort warteten auch schon Aedan und Sophie. Ich stürmte auf sie zu und umarmte beide reflexartig. »Da seid ihr ja endlich. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Zum Glück ist dir nichts passiert«, sagte Aedan lächelnd. »Danke, Vicky.«
»Zum Glück ist euch nichts passiert«, konterte ich aufgeregt. »Wie habt ihr es so lange in den Katakomben aushalten können ohne, dass der Graf euch etwas angetan hat?«
»Was hätte er uns denn antun können?«, fragte Sophie. »Uns nochmal beißen? Das geht schlecht. Wir sind ja schon Vampire.«
»Wir haben uns erfolgreich verstecken können, bis es komplett dunkel draußen war«, ergänzte Aedan.
Ich beobachtete den sympathischen Vampir und konnte immer noch nicht glauben, dass er mir verheimlicht hatte, dass genau er es war, der vor so vielen Jahren mit meinem Urgroßvater in genau dieser Stadt unterwegs gewesen war, um Vampire unschädlich zu machen. Wie schief dieser Plan doch gelaufen ist.
»Warum bist du damals nicht zu meinem Urgroßvater zurückgekehrt und hast ihm erzählt, was passiert ist? Er war all die Jahre im Ungewissen.«
Aedan weitete seine Augen, dann sah er ertappt zu Sophie, die einen Arm um ihn legte.
»Irgendwann hätte sie es sowieso herausbekommen. Ich habe von Anfang an nicht verstanden, warum du sie belogen hast.«
Der Blick des Vampirs wanderte wieder zu mir. Entschuldigend zog er seine Schultern zusammen. »Ich wollte nur dein Bestes. Nachdem du erfahren hast, dass es Vampire doch gibt, wollte ich deine Nerven nicht noch mehr strapazieren.«
»Und das ist auch gut so, oder Melody?«, fragte Sophie.
Ich nickte. »Ja, das stimmt. Aber Aedan, du bist eine Art Berühmtheit in meinem Heimatort. Irgendwohin muss der Assistent meines Urgroßvaters ja verschwunden sein. Endlich weiß ich es.«
»Schade, dass der Professor nicht mehr lebt«, sagte Aedan. »Wir hätten ihn auch verwandeln sollen, dann hätte er alles mit uns erleben können und seine Studien an sich selbst ausführen können.« Aedan lachte leicht.
»Damit macht man keine Späße«, sagte Vicky streng. »Möchtet ihr jetzt euer Immunitätsmittel oder nicht?«
»Ja, bitte.« Sophie streckte fordernd eine Hand aus.
»Moment. So schnell geht das auch wieder nicht«, erklärte Vicky. »Ich muss das Mittel noch in ihre Behälter füllen. Die müsst ihr euch aber zuerst aussuchen.« Die Frau griff in eine, unter den vielen Stoffschichten ihrer Klamotten, versteckte Tasche und zog verschiedene Schmuckstücke heraus.
Aedan entschied sich sofort wieder für eine Anstecknadel in der Form einer winzigen Schatztruhe. Sophies Auswahl dauerte ein wenig länger. Jedoch entschied sie sich letztendlich für ein Armband, dessen Perlen in verschiedenen Grüntönen schimmerten. Dann füllte Vicky jeweils ein paar Tropfen in die Schmuckstücke.
»Endlich sind wir wieder vor der Sonne geschützt. Es ist eine Qual sich nur in der Nacht draußen aufhalten zu können, wo eh alles dunkel ist.«
»Jetzt weißt du, wie es dem Grafen geht«, sagte Sophie leise zu dem Vampir.
»Der ist mir doch vollkommen egal.« Aedan drehte sich zu mir. »Wir sollten wirklich aufbrechen. Der Bahnhof ist nicht weit von hier. Pack deine Sachen und melde dich ab.«
Ich nickte und machte mich eilig wieder auf den Weg in mein Zimmer. Zum Glück begegnete mir Herr Mayer nicht und ich konnte ungestört zu meinem Zimmer. Ich hatte nicht viel ausgeräumt und musste so lediglich ein paar Sachen zurück in meinen Rucksack stopfen. Noch ein letztes Mal glitt mein Blick durch das Zimmer, ob ich auch nichts vergessen hatte, dann griff ich nach dem Schlüssel und schloss den Raum ab, in dem in den letzten Tagen so viel passiert war.
Ich hatte nicht nur erfahren, dass mein Urgroßvater die komplette Wahrheit in sein Tagebuch eingetragen hatte, sondern auch reale Vampire kennengelernt und mich mit ihnen angefreundet. Diese Details durfte ich Zuhause nicht erzählen. Womöglich würde ich dann auch in ein Irrenhaus eingesperrt werden, genauso wie mein Urgroßvater.
An der Rezeption gab ich den Schlüssel ab und erklärte auch hier dem Rezeptionisten, dass ich früher abreisen müsste. Eine kleine Summe meines gezahlten Geldes bekam ich sogar zurück. Ich würde dieses Hotel vermissen. Besonders Herr Mayer. Aber es war vernünftig nun abzureisen. Ich wollte schließlich nicht nochmal in die Fänge des Grafens geraten. Unwillkürlich musste ich darüber nachdenken wer nun die Blutgier des Vampires stillen würde. Ich fuhr mir mit meinen Händen über mein müdes Gesicht. Nein, die Bewohner Brans konnten gut auf sich selbst aufpassen.
Also ging ich zum letzten Mal den Gang entlang, den ich gekommen war und schaute mir noch einmal die gesamten Bilder an. Kaum zu glauben, dass die verschwommene Gestalt des Assistenten meines Urgroßvaters nun draußen vor dem Hotel stand und auf mich wartete.
Mit etwas Kraft stieß ich die zweigeteilte Eingangstüre auf und sah in Vickys Gesicht, das mit aufgerissenen Augen auf etwas zu meiner linken starrte.
Mir war gar nicht bewusst, wie lange ich doch noch in meinem Hotelzimmer gewesen war, denn die Sonne ging gerade auf. Ich hatte kein bisschen Schlaf diese Nacht bekommen. Vickys Gesichtsausdruck hatte sich noch immer nicht verändert.
»Was ist los?«, fragte ich die Frau, die wie versteinert vor mir stand.
»Das Mittel hat nicht gewirkt. Sie hätten längst schon wieder ein normales Aussehen haben müssen«, flüsterte Vicky.
»Was?« Entsetzt trat ich auf den Platz heraus und sah um die Ecke, wo auch Vicky hinschaute.
Dort kauerten Aedan und Sophie in einer Nische. Sie zitterten am ganzen Leibe. Ihre gesamten Arme waren von Brandblasen bedeckt.
»Ach, du Scheiße«, rief ich. »Wir müssen sie schnell in das Hotel bringen. Die Eingangshalle hat nur ein Fenster.«
»Hast du was dabei, womit man sie vor der Sonne schützen kann?«
»Nur Klamotten in meinem Rucksack.«
»Die werden nicht reichen«, wimmerte Vicky.
Da ging plötzlich die Eingangstüre auf und Herr Mayer trat mit einem großen schwarzen Tuch zu uns heraus. »Das Tuch wird euch vor weiteren Schäden zum größten Teil schützen. Beeilt euch. Gleich wird in der Nische kein Schatten mehr sein.«
Vicky und ich halfen dem Hotelbesitzer das Tuch über Aedan und Sophie zu legen und führten die beiden dann wieder zurück ins Hotel.
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Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNG
Fanfiction"Vampire?", fragte Melody. "Das ich nicht lache. Die sind doch bloß eine Erfindung meines Ururgroßvaters in seinen Geschichten. Er war Wissenschaftler. Von seiner letzten Mission kam er völlig verstört zurück und verbrachte den Rest seines Lebens in...