10. Kapitel

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Direkt hinter dem Hotel befand sich ein kleiner Trampelpfad zu dem mich Herr Mayer führte. Er schlängelte sich durch ein Feld direkt auf ein kleines Waldstück zu.

»Also«, begann ich, nachdem wir eine Weile gelaufen waren und der Wald immer näher kam. »Was darf ich mir denn jetzt genau unter dem Fest vorstellen?«

»Einen ganzen Tag lang wird es sich nur um die Stadt und ihre Historie drehen. Auf dem Marktplatz werden Attraktionen aufgebaut und es wird einige Führungen durch die Stadt geben. Außerdem werden Kutschfahrten angeboten werden und bis einschließlich vierundzwanzig Uhr wird gefeiert. Eine spezielle Beleuchtungsanlage, die nur für diesen Tag installiert wird, wird für Licht und eine harmonische Atmosphäre sorgen. Mein Hotel ist dafür zuständig viele der Gäste zu beherbergen und muss sie dementsprechend versorgen.«

»Das ist eine wirklich fantastische Idee. Ich bin schon sehr gespannt darauf«, sagte ich und lächelte. Dann sah ich wieder geradeaus. In weniger als zehn Minuten würden wir den Wald erreichen.

»Und?«, fragte ich. »Wie gefällt Ihnen der Job als Hotelbesitzer?«

»Ich übe den Beruf jetzt schon viele Jahre aus. Vielleicht hast du bemerkt, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Dennoch macht er mir immer noch sehr viel Spaß. Ich finde es spannend meine Gäste näher kennenlernen zu können. Besonders deine Geschichte interessiert mich sehr.«

»Apropos meine Geschichte. Sie haben doch erwähnt, dass Sie mir gerne noch mehr über die damalige Nacht verraten können.«

»Ja, in der Tat. Das habe ich. Leider weiß ich nicht viel mehr, als ich Ihnen bereits erzählt habe. Die Personen, die verschwunden sind wurden kurze Zeit später für tot erklärt. Es ist unmöglich, dass sie länger als einen Tag in der eisigen Kälte, die draußen herrschte, überlebt haben. Es sei denn...«

»Es sei denn was?«, fragte ich.

»Es sei denn man schenkt den Geschichten, die erzählt werden, Glauben. Es gab wirklich Vampire hier in der Gegend und Charles, die Madg, dein Urgroßvater und sein Assistent sind in ihre dunklen Fänge geraten.«

Ich begutachtete den Hotelbesitzer mit einem skeptischen Blick. Dann fingen wir beide an zu lachen.

»Das ist natürlich nur ein Hirngespinst«, sagte Herr Mayer zwischen zwei Lachern.

»Na, ja. Lassen wir die Leute einfach reden. Sie haben doch sonst nichts zu tun.«

Herr Mayer nickte in Einverständnis.

Der Wald war nur noch ein kleines Stück entfernt. Je näher wir ihm gekommen waren, desto größer schien er. Aus der Ferne wirkte er wie ein kleines Waldstück, das man in wenigen Minuten durchforschen konnte. Doch jetzt wirkte er doppelt, wenn nicht sogar dreifach so groß. Nach weiteren zwei Minuten laufen hatten wir ihn endlich erreicht.

Herr Mayer drehte sich zu mir. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann würde ich jetzt gerne wieder zum Hotel zurückkehren. Für den Rückweg werde ich noch einige Zeit brauchen und länger kann ich meine Angestellten nicht alleine lassen. Den Weg finden Sie mit Sicherheit alleine zurück.«

»Natürlich«, sagte ich und verabschiedete mich vom Hotelbesitzer.

Nachdem er gegangen war, zog ich die Riemen meines Rucksackes fester und erkundschaftete den Wald. Ich malte extra mit einem roten Stift kleine Punkte auf die Bäume, damit ich mich bloß nicht verlief. Zunächst empfand ich den Wald als noch ziemlich übersichtlich, doch je weiter ich vordrang, desto dichter und dunkler wurde der Wald. Die Baumkronen schlossen sich über mir zusammen, sodass ich den Himmel nur noch an vereinzelten Stellen sah. Die Bäume um mich herum waren größtenteils Tannen, die selbst die eisigsten Winter überstanden. Ich war froh mich tagsüber im Wald aufzuhalten, denn abends oder nachts wäre mir der Wald wahrscheinlich viel zu unheimlich gewesen. Ich wäre sofort umgekehrt und hätte das Weite gesucht. Schon am Tag war es in dem Stück Wald, in dem ich mich momentan befand, so dunkel wie ein später Nachmittag eines von Wolken verhangenen Himmels und regengetränkten Tages. Ich roch den starken Geruch, der von den Nadeln der Tannen ausging und den von Moos bedeckten Boden. Mit jedem Schritt, den ich tat, knackte es, weil ich auf einen Ast oder etwas Anderes trat. Die unheimliche Stille führte dazu, dass ich mich immer unwohler fühlte. Ich hätte zu mindestens mit ein paar Geräuschen, abgesehen von meinen, gerechnet. Irgendwann nach einer Weile wollte ich wieder umkehren und den letzten roten Punkt, den ich auf einen Baum gemalt hatte, suchen, als ich vor mir einen hellen Fleck entdeckte. Als ich mich ihm näherte bemerkte ich, dass es eine Lichtung war. Neugierig betrat ich sie und hielt für einen Moment den Atem an, da ich von dem, was ich sah ziemlich überrascht war. Eher gesagt war ich fassungslos. Die Lichtung stimmte in jedem einzelnen Detail mit dem Bild auf der Uhr in meinem Hotelzimmer überein. Es war die gleiche Aneinanderreihung der Bäume. Sie sahen genau gleich aus. Es fehlte nur noch der Mond, der die Szenerie perfekt gemacht hätte. Plötzlich nahm ich ein Geräusch wahr, das definitiv nicht von mir stammte. Es war ein dumpfer Aufprall gewesen, so als wäre jemand über etwas gestolpert und der Länge nach hingefallen.

»Hallo?«, fragte ich unsicher und wandte mich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. »Ist da jemand? Herr Mayer, sind Sie das? Haben Sie den Weg zurück doch nicht mehr gefunden?«, rief ich. Doch ich erhielt keine Antwort. Ängstlich huschte mein Blick umher. Dann nahm ich eine Bewegung rechts von mir im Wald wahr. »Hallo? Wer ist da? Das ist nicht lustig.« Als ich immer noch keine Antwort erhielt, ergriff mich Panik. Ich wollte einfach nur aus dem Wald raus und zurück zum Hotel, in dem ich sicher war. Dann löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit. Eine zierliche Frau in einem schwarzen, langen Mantel kam zögerlich auf mich zu. Es war genau die Frau, die mir erklärt hatte, wo ich das Hotel zum ersten Platz finden konnte. Die Frau, die der Tochter des damaligen Wirtes so ähnelte.

»Wer sind Sie?«, fragte ich.

Doch sie war nicht die Einzige, die sich aus dem Schatten löste. Vor mir tauchte nun ebenfalls Aedan auf.

»Melody, darf ich dir meine Freundin vorstellen. Das ist Sophie«, sagte er.

»Was zum Teufel geht hier vor!?«, war meine einzige Reaktion darauf.

15. Januar 1854:
Dieses Gesindel! Ich hätte Charles töten sollen, jedoch war ich mal wieder zu naiv. Als ich mit meinem Assistenten in die Wirtsstube zurückging, lag Charles immer noch unter dem weißen Tuch, mit dem er vor neugierigen Blicken geschützt wurde. Jedenfalls dachten wir das. In Wirklichkeit jedoch lag unter dem Tuch nicht Charles, sondern diese Magd, die ich bisher nur am Rande wahrgenommen habe. Der Wirt ist auf die dunkle Seite übergegangen. Er hat sich verwandelt und hat schon sein erstes Opfer gefunden. Ich wollte diesen Fluch ein für alle Mal beenden und diesen Untoten pfählen. Doch das widerliche Monster bettelte um Gnade. Ein ausschlaggebendes Argument änderte meine Meinung. Der Vampir bot an uns zum Schloss zu führen. Was wäre das für ein Erfolg für mich. Gleich alle Vampire auf einen Streich! Natürlich willigte ich ein und mein Assistent ebenfalls. So konnten wir wenigstens nach der schönen Tochter suchen, die das Opfer des Alphavampirs geworden ist.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt