14. Kapitel

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»Warum hast du Melody angelogen?«, fragte Sophie Aedan, als sie das Hotel durch den Eingangsbereich verließen. »Warum hast du ihr nicht gesagt, wer du wirklich bist?«

Aedan sah angestrengt auf den Boden und schüttelte den Kopf. »Ich will sie nicht noch mehr überfordern. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich es ihr sagen. Bis dahin wird sie sich hoffentlich mit unseren Antworten zufrieden geben.«

Sophie blieb am Brunnen stehen. »Dir ist klar, dass die Wahrheit früher oder später ans Licht kommen wird. Die Fragen, die Melody uns gestellt hat, waren erst der Anfang. Es werden weitere folgen.«

Aedan senkte den Kopf. »Ich weiß. Aber jetzt konzentrieren wir uns am besten darauf, dass ihr bis morgen früh nichts passiert«, sagte er und lehnte sich an den Brunnen.

Sophie setzte sich auf eine Bank direkt neben ihm. Zusammen beobachteten beide das Hotel. Die Gardinen in Melodys Zimmer waren weiterhin zugezogen. Aedan und Sophie konnten nur vermuten, dass Melody schlief. Aber nach der ganzen Aufregung des Tages war das bestimmt der Fall. Außerdem war es weit nach Mitternacht. Der Mond stand hoch am Himmel und tauchte alles in ein silbriges Licht. So warteten die beiden Vampire, dass die Nacht vorüber ging und der Tag Einzug hielt. Stunde um Stunde verging und die beiden Personen am Brunnen wurden nicht müde. Als Vampir war man ein Nachtvogel und mit der entsprechenden Substanz für Immunität gegen das Sonnenlicht konnte man sich auch den ganzen Tag zu nutzen machen. Bis in die Ewigkeit hinein zu leben. Das war der Wunsch vieler Menschen. Nicht zu sterben, die Zeit auskosten zu können. Doch für Aedan und Sophie war selbst die Nacht schon zu lang. Wie viele hundert Jahre lebten sie nun schon? Und wie mochte das bei jemandem sein, der noch viel länger lebte als sie? Wie konnte der Graf diese Langeweile bloß überstehen? Das Verlangen endlich zu sterben, es aber nicht zu können? Ewiges Leben war zunächst betrachtet vielleicht ein Segen, aber mit der Zeit entwickelte es sich zu einem regelrechten Fluch.

Sophies Wunsch war es mit Aedan älter zu werden. Aber vor einer langen Zeit hatte sie den Fehler begangen sich vom Grafen verführen zu lassen und hatte damit zugleich Aedan in die tiefsten Schluchten der Dunkelheit gerissen. Plötzlich wurde Aedan unruhig.

»Was ist los?«, fragte Sophie und stand besorgt von der Bank auf. Ihre langen Haare wehten im Wind, der aufgekommen war. Menschen würden bei dieser Temperatur schleunigst sehen, dass sie ins Haus kamen und sich vor dem warmen Kamin aufwärmten. Aber für Aedan und Sophie war auch die Kälte kein Problem.

»Ich weiß nicht, was los ist.« Aedan schüttelte den Kopf. »Ich habe nur so ein merkwürdiges Gefühl.«

»Was meinst du?«, fragte Sophie.

Aedan sah sich mit gerunzelter Stirn um. »Hier ist etwas. Etwas ... Ich kann es nicht erklären.«

»Mach mir keine Angst, Aedan«, warnte Sophie ihren Freund.

Eine Weile sahen sich beide Vampire um, ob etwas geschah oder jemand auftauchte und Aedans Verdacht bestätigt wurde. Dann zuckte Aedan mit den Schultern und sah wieder zum Hotel. »Es war vermutlich nichts. Ich hab es mir bestimmt nur eingebildet.«

Das beruhigte Sophie und sie setzte sich wieder auf die Bank. Der Wind ließ nicht nach. Im Gegenteil, er wurde immer stärker.

Sophie räusperte sich. »Aedan?«, fragte sie.

Aedan sah sie an.

»Liebst du mich eigentlich noch?«

Aedan legte den Kopf schief. »Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte er.

»Ich weiß nicht«, sagte Sophie und sah auf den Boden. »Seit wir uns kennengelernt haben ist eine Menge Zeit vergangen.«

»Sophie, warum sagst du so etwas?«

»Wir verbringen nur noch wenig Zeit zusammen. Jeder geht seine eigenen Wege. Du lernst neue Leute kennen. Besonders Frauen.«

»Warte, warte, warte«, unterbrach Aedan seine Freundin. »Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Melody?«

Sophie schwieg.

»Ach, Sophie«, seufzte Aedan und setzte sich neben sie auf die Bank. »Als ich dich zum ersten Mal gesehen, beziehungsweise war es deine Stimme, die ich zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich sofort in dich verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick und niemand, noch nicht mal die schönste Frau auf der Welt könnte das ändern, weil du, Sophie, die schönste Frau auf der Welt bist.«

Sophie nickte. »Ich meine ja nur. Vielleicht sollten wir uns eine Auszeit nehmen.«

Aedan konnte seinen Ohren nicht trauen. »Was ist mit dir los?«

»Überhaupt nichts«, sagte Sophie und verschränkte ihre Arme.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und verdunkelte den Platz vor dem Hotel. Der Wind pfiff um die Ecken der Gebäude.

»Ich empfinde rein gar nicht für Melody. Das kannst du mir glauben und außerdem ...«, Aedan hielt inne, »da ist es schon wieder«, sagte er und stand auf.

»Was denn?«

»Na, dieses komische Gefühl.«

»Du lenkst nur vom Thema ab«, sagte Sophie wütend und stand ebenfalls auf.

»Nein. Es ist mein voller Ernst. Etwas ... nein, jemand ist hier.« Aedan wurde zunehmen nervöser. Dann wurde ihm mit Schrecken klar, was gerade vor sich ging. »Sophie«, flüsterte Aedan. »Er ist hier.«

Sophies Augen weiteten sich. »Nein! Nein, nicht jetzt.« Sophies Stimme wurde lauter.

»Psst«, zischte Aedan. »Nicht so laut. Er könnte dich hören.«

»Das kann nicht sein. Nicht jetzt, wo Melody noch da ist. Wieso? Morgen wollte sie doch nach Hause fahren.«

»Versteck dich hinter dem Brunnen«, sagte Aedan und schob seine Freundin nach vorne.

»Aber wir müssen den Grafen davon abhalten Melody etwas anzutun. Das haben wir ihr versprochen«, protestierte Sophie.

»Wir nutzen den Überraschungseffekt«, sagte Aedan und hockte sich neben Sophie auf den Boden. Dann spinksten beide hinter dem Brunnen hervor.

Der Wind ließ nach, doch der Mond war immer noch von Wolken verdeckt. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten und schritt über den Platz. Einige Meter vor dem Fenster von Melodys Zimmer blieb sie stehen. Dann näherte sie sich mit langsamen Schritten dem Fenster. Der Graf streckte seinen Arm dem kalten Glas entgegen.

»Wir müssen ihn aufhalten«, flüsterte Sophie.

»Noch nicht«, sagte Aedan.

Sophie starrte Aedan ärgerlich an. »Willst du, dass er Melody mitnimmt?«

»Nein«, sagte Aedan, lauter als beabsichtigt. Zu laut, denn der Graf drehte sich abrupt um und sah geradewegs ins Aedans Augen. Doch da war zunächst keine Wut im Blick des Grafens, sondern Überraschung. Dann lächelte der Graf.

»So, so. Wen haben wir denn hier?«, fragte er. Obwohl er leise sprach, hallte jedes einzelne Wort über den Platz und verpasste Aedan und Sophie einen ungewöhnlichen Kälteschauer.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt