5. Kapitel

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Die Stadt war sogar kleiner, als gedacht, denn nach guten zwanzig Minuten war ich an ihrem Ende angelangt. In der Ferne sah ich nichts weiter als Felder, ein paar vereinzelte Häuschen und natürlich die sich ewig langziehende Bergkette mit den vereinzelten Wäldern, die sie umgaben. In dem Jahr, in dem mein Ururgroßvater in dieser Stadt zu Besuch war, herrschte ein eisig kalter Winter. Ich konnte mir gut vorstellen, dass man von der Stelle aus, an der ich stand, nichts als eine weiß bedeckte Fläche gesehen hatte.
Neben mir ragte das Schild der Stadt in die Höhe.

Auf Wiedersehen. Sie verlassen Bran, stand darauf.

Da ich eigentlich die Stadt erkunden hatte wollen, lief ich wieder zurück. Diesmal aber weiter ins Zentrum.

Als ich aus einer kleinen Seitenstraße trat, tauchte vor mir ein Platz auf, auf dem ein Markt aufgebaut worden war. Scheinbar hielten die Bewohner dieser kleinen Stadt an ihren Bräuchen fest, denn die Stände und die Kleidung der Verkäufer sahen ziemlich mittelalterlich aus.

»Oh, Schatz. Schau dir doch mal die wundervollen Schmuckstücke hier an«, rief eine Frau begeistert zu ihrem Mann und ich war glücklich Gleichgesinnte zu sehen. Die beiden fielen auf wie ein schwarzes Schaf in einer sonst weißen Herde. Wahrscheinlich musste ich genauso aussehen. Touristen kamen hier wohl selten zu Besuch. Sie wurden bestimmt von den ganzen Horrorgeschichten abgeschreckt.

Ich schlenderte weiter über den Markt und behielt das Touristenehepaar dabei im Auge.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Etwas Allium Sativum vielleicht?«, fragte mich eine Verkäuferin eines Standes, bei dem ich einen Haufen Kreuze aus Holz und verschiedene Gegenstände aus Silber entdeckte.

»Bitte, was?«, fragte ich und blieb stehen.

»Ob Sie etwas Knoblauch möchten?« Die Frau hielt mir einen Korb voller Knoblauch hin. »Heute im Sonderangebot«, sagte sie.

Ich schüttelte den Kopf und lehnte ab. Wozu sollte ich denn Knoblauch brauchen?

»Ich an Ihrer Stelle würde dieses Angebot nicht ablehnen.« Die Touristin war mit ihrem Mann an den Stand getreten. »Wir haben uns selbst schon welchen gekauft«, sagte sie und hielt eine Plastiktüte hoch, in dem sich der Knoblauch befinden musste.

»Wozu denn?«, fragte ich. »Kochen tue ich nicht.«

Die Touristin und die Verkäuferin brachen in schallendes Gelächter aus.

»Nein, Kind«, sagte die Verkäuferin. »Der Knoblauch dient zur Sicherheit.«

Ich sah die Verkäuferin skeptisch an.

Die Touristin fasste mich am Arm. »Kennst du denn die Geschichten nicht, die man sich hier erzählt?«

»Achso«, sagte ich, »doch die kenne ich.«

»Na, dann wissen Sie doch auch von den Vampiren und vor Vampiren schützt man sich am besten mit Knoblauch.«

»Vampire?«, fragte ich. »Das ich nicht lache. Die sind doch bloß eine Erfindung meines Ururgroßvaters in seinen Geschichten. Er war Wissenschaftler. Von seiner letzten Mission kam er völlig verstört zurück und verbrachte den Rest seines Lebens in einer Psychiatrie. Der Ärmste.« Unsicher lachte ich.

»Haben Sie schon mal überlegt, ob er nicht die Wahrheit sagte? Er ist bei weitem nicht der Einzige, der solche Geschichten erzählt«, informierte mich die Verkäuferin und sah mich mit einem verschwörerischen Blick an. »Wenn Menschen Geschichten erzählen, dann muss ein Fünkchen Wahrheit dran sein. Die Wahrheit will immer Klarheit.«

Komisch. Schon wieder etwas, dass mit den Worten meines Ururgroßvaters übereinstimmte. Ich dachte an den Tagebucheintrag, in dem er genau diese Worte verwendet hatte.

14. Januar 1854:
Es ist der nächste Tag. In der gestrigen Nacht wurde ich geweckt. Jemand schlich durchs Haus. Ich bin der Sache auf den Grund gegangen, habe jedoch nur einen schmerzvollen Schlag auf den Hinterkopf erhalten. Heute Morgen kam ein seltsamer, buckliger Herr zu Besuch, den ich gerne kennengelernt hätte. Denn da, wo ein Buckliger ist, da gibt es auch einen Grafen. Ich werde der Sache auf die Spur gehen und die Wahrheit herausfinden, denn die Wahrheit will immer Klarheit.

Und genau aus diesen sinnlosen Schlüssen, die mein Ururgroßvater geschlossen hatte, glaubte ich ihm nicht ganz recht. Ein "Buckliger" hatte auch eine Berechtigung zu leben. Wenn einer in der Stadt war, hieß das noch lange nicht, dass es gleich einen Dracula geben würde und wenn Leute Geschichten erzählten, hieß das noch lange nicht, dass sie der Wahrheit entsprachen. Die Bewohner taten sich hier bestimmt nur zusammen, um den wenigen Touristen ein bisschen Entertainment zu bieten.

»Ach, Quatsch«, sagte ich mit einem Kopfschütteln.

»Wie du willst, Mädchen«, sagte die Touristin, »aber beschwer dich nicht bei uns, wenn du eine von den Untoten bist.« Die Touristin nahm ihren Mann bei der Hand. »Komm, Schatz. Wir gehen. Danke nochmal für den Knoblauch«, bedankte sie sich bei der Verkäuferin, sah mich dabei jedoch abschätzig an.

Ich sah den beiden wütend hinterher. Dann drehte ich mich um und lief ebenfalls davon. Was für eine schwachsinnige Idee hierherzukommen. Hier waren doch alle verrückt. Genauso wie mein Ururgroßvater. Wenn ich überlegte, dann hatte ich gar keine Lust morgen den Berg zu erklimmen und die Ruine zu suchen. Ich war so in meine Gedanken und meinen Ärger vertieft, dass ich nicht bemerkte, dass mir jemand folgte. Erst als mir dieser komische Kahil tatsächlich den Weg versperrte.

»Ich habe es mit Freundlichkeit versucht. Ich habe versucht dein Vertrauen zu gewinnen, so wie es mir aufgetragen wurde, aber es funktioniert nicht«, fing der blasse Mann an. »Also muss ich dich so mitnehmen. Du musst jetzt mit mir mitkommen.« Kahil packte mich an meinem Arm und zerrte mich mit sich.

»Verdammt noch mal«, rief ich und wehrte mich. »Was haben Sie für ein Problem?«

»Ich gehorche nur ihm. Du kommst jetzt mit mir mit.«

»Sie spinnen doch.« Ich sah mich hektisch um. Den Markt hatte ich hinter mir gelassen und ausgerechnet jetzt befand sich niemand auf der Straße, der mir helfen konnte. Gerade, als ich meinen Widerstand aufgeben wollte, sprintete Aedan um die Ecke und riss Kahil von mir.

»Hab ich dir nicht gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen?«, schrie er ihn an und schlug ihm hart ins Gesicht.

Kahil taumelte zurück, verzog jedoch keine Miene. Ich hätte Aedan seine Stärke gar nicht zugetraut. 

»Du gehst jetzt dahin zurück, wo du hergekommen bist«, drohte Aedan.

Kahil kam wieder näher und knurrte.

»Hast du mich verstanden?«, fragte Aedan. »Hau ab!« Sein Schrei hallte in der gesamten Straße nach. Ein paar Fenster wurden langsam aufgemacht. Die Bewohner waren also auch noch Spanner. Na super!

Kahil senkte den Kopf und nickte. Ihm gefiel es jedoch gar nicht, dass er gehen sollte, denn er hatte seine Augen wütend zusammengekniffen. Doch er gab nach und verschwand. Hoffentlich für immer.

Eine Weile sagten weder Aedan noch ich etwas. Dann sah ich ihn an. »Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass Sie mich vor diesem Typen retten. Ich schulde Ihnen was.«

»Ach was«, sagte der junge Mann mit dem kurzen, braunen Haar. »Kahil ist echt ein unmöglicher Typ. Ich durfte vorhin Ihren Rucksack nicht tragen, darf ich Sie dann wenigstens heute Abend zum Essen einladen?«

»Eigentlich müsste ich Sie zum Essen einladen, aber gerne.« Diesmal stimmte ich zu.

»Gut. Sie sind ein Gast des Hotels, richtig? Dann lassen Sie uns doch im Hotel essen gehen. Das Restaurant ist wirklich phänomenal.«

»Gerne«, sagte ich und zusammen machten wir uns auf den Weg zurück zum Hotel.

Wenn der Mond erwacht (Tanz der Vampire) IN ÜBERARBEITUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt