VIER

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Cassiopeia
Noch 9.480 Minuten

Ich rannte und rannte und wurde immer schneller, bis ich den Boden unter meinen Sneakers kaum noch spüren konnte. Wo war ich? Um mich herum sah ich nichts als Bäume, dessen Kronen so hoch waren, dass sie mir die Sicht auf den Nachthimmel versperrten.

Meine Rippen schmerzten an der Stelle, an welcher er mir das Messer reingerammt hatte. Aus der Wunde quoll frisches Blut, welches den hellen Stoff des Shirts dunkelrot färbte. Das Shirt, das ich mir kurz vor meiner Flucht übergeworfen hatte, um wenigstens etwas vor der kalten Nacht geschützt zu sein. Das frische Laub unter meinen Füßen, ließ mich darauf schließen, dass wir Herbst hatten. Genau konnte ich das allerdings nicht sagen. Welchen Tag hatten wir? Mittwoch, Sonntag, ...? Ich hatte keine Ahnung. Im Keller hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Meine Beine gaben nach und fast wäre ich auf den harten, von Moos bedeckten Boden gefallen, konnte mich aber noch rechtzeitig an einer großen Eiche festhalten. Sein lautes Stöhnen ließ mich aufschrecken. Wirkte wie ein Weckruf, der an meinen Ohren zerrte. Er brachte mich dazu, mich von der Eiche abzustoßen und hinkend weiterzulaufen. Endlich! Dort vorne, keine 800 Meter entfernt, sah ich grelle Lichter vorbeihuschen. Das Geräusch von Reifen auf Asphalt drang an meinen Gehörgang. Brachten mich dazu, meine Schritte zu beschleunigen. Ich fokussierte die Lichter vor mir. Ließ sie meinem Blick nicht entkommen. Nur noch ein paar Schritte. Ich dachte, dass ich es geschafft hätte, dass ich endlich frei wäre. Doch da riss mich etwas Schweres zu Boden und vergrub meine Hoffnung, wie auch meinen geschundenen Körper unter sich. Ich schrie und kämpfte, in der Hoffnung, dass mich irgendjemand hören würde. Doch es war mitten in der Nacht. Irgendwo im Wald. Weit weg von der Stadt...

***

Mit einem Schrei erwachte ich aus meinem Albtraum und sah mich hektisch um. Meine Stirn war schweißnass und mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte, es würde mir aus der Brust springen. Alles nur geträumt. Alles nur ein Traum. Aber Moment. Wieso lag ich vor der offenen Tür auf dem Boden? Und wieso schmerzten meine Rippen sosehr?

Ein ohrenbetäubendes Riiing ließ mich zusammenzucken. Wimmernd hielt ich mir die Ohren zu, während meine Nerven begannen einen Krieg, gegen mein Gehirn zu führen. Nein, das kann doch alles nicht wahr sein.

Ich war kurz davor durchzudrehen, als plötzlich eine Tür knallte und zwei Füße, welche in lila Pantoffeln steckten, in mein Sichtfeld traten. »Junges Fräulein, seit wann schlafen wir auf dem Fußboden? Du erkältest dich noch.«

Noch nie in meinem Leben war ich so glücklich, meine Mutter zu sehen. Ruckartig stand ich auf und nahm sie stürmisch in den Arm. Lachend erwiderte sie die Herzlichkeit und drückte mich eng an sich. Mit etwas sanfterer Stimme sagte sie: "Und mach endlich deinen Wecker aus. Da bekommt man ja Ohrenschmerzen.«

Auch während dem Duschen wollte mir mein seltsamer Traum einfach nicht aus dem Kopf gehen. Es war nicht so, dass ich nie Alpträume hatte und ich mir nun deshalb den Kopf zerbrach. Ganz im Gegenteil. Während Prüfungsphasen konnte ich kaum schlafen vor Angst. Auch letzte Nacht war mir das Einschlafen schwergefallen. Nicht wegen den Prüfungen. Diese waren nun Gott sei Dank abgeschlossen. Sondern weil heute Sonntag war. Das bedeutete, dass heute Abend die Gala stattfand. Was wiederum bedeutet, dass du den Abend mit Gläser spülen und billigen Anmachsprüchen teilen wirst. An den Wochenenden ging ich Kellnern, um mir die Uni leisten zu können. Mir wurde schlecht, bei der Vorstellung, wie viele Menschen heute Abend anwesend sein würden. Versteht mich nicht falsch. Ich war kein Nerd, der seine Freizeit am liebsten alleine verbrachte. Ich mochte Menschen. Allerdings fühlte ich mich bei der Elite-Klasse der Gesellschaft nicht gerade wohl. Und die heutige Gästeliste war voll damit. Nichts als reiche Schnösel.

Ein kalter Windstoß wehte fast das kurze Badetuch von meinem nackten Körper und ließ mich erzittern. Seltsam. Ich hätte schwören können, gestern Abend das Fenster geschlossen zu haben. Schnell sperrte ich es

wieder ab und zog mich dann für den Tag an, ehe ich mich nach unten zu meinen Eltern an den Frühstückstisch setzte. 

In Liebe, Dein ErlöserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt