ZWEIUNDZWANZIG

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Cassiopeia
Noch 3.780 Minuten

Schwer atmend erreichte ich die Ausgangstür, schnappte mir noch von der Garderobe Adams beigen Trenchcoat und zog ihn über. Dann riss ich die Tür auf und musste eine Hand schützend über meine Lider legen, als mich die grellen Sonnenstrahlen trafen.

Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, verließ ich schnell die Villa. Ich getraute mich nicht, einen Blick hinter mich zu riskieren. Zu groß war die Angst, in Adams wutentbranntes Gesicht blicken zu müssen. Der tiefe Schnitt mit der scharfen Scherbe der Glühbirne, dürfte ihn zwar für einige Zeit außer Gefecht gesetzt haben, sicher war ich mir bei dem Mann aber bei gar nichts mehr.

Also verdoppelte ich die Geschwindigkeit meiner Schritte und zog den Mantel enger um meinen zitternden, nackten Körper. Ich rannte in den Wald, in der Hoffnung, im Schutz der hohen Bäume weiter flüchten zu können. Wieso musste mein Peiniger auch so weit weg von der Stadt wohnen? Weil er ein Psychopath war und nicht riskieren konnte, dass ein Nachbar die Schreie seiner Opfer vernahm. Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, als ich an die vielen Leichen im Kühlraum zurückdachte. Ekel überkam mich und ich musste kräftig schlucken, um mein Würgen zu unterdrücken.

Endlich. Dort vorn erkannte ich eine Straße. Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Nun war ich endlich frei. Nun würde alles wieder gut werden. Vom vielen Rennen war ich außer Atem und meine Rippe hatte wieder begonnen zu schmerzen. Aber das war mir egal. Alles was ich sah, war die Tankstelle vor mir. Bei ihr angekommen lief ich mit letzter Kraft in den kleinen Supermarkt, welcher den Namen „Gas'n Sip" trug und sah in das geschockte Gesicht des Kassierers. »Hilfe! Ich brauche Hilfe!« Dann brach ich auf dem Fußboden zwischen Regalen voller Pie und Magazinen zusammen.

Tränen der Erleichterung überkamen mich, als mein Kopf realisierte, dass ich nun endlich frei war. Dass der Albtraum wirklich ein Ende hatte. Die schwarzen Stiefel des Mannes traten in mein Blickfeld und ich sah auf in sein besorgtes Gesicht. Laut dem Namensschild, dass er sich an die azurblaue Weste gepinnt hatte, war sein Name Steve. »Miss, was ist los? Was ist mit ihnen geschehen?« Der Trenchcoat bedeckte meine Wunden, also waren seine Fragen eine Anspielung auf meine nackten Beine und Füße, welche nur so vor Dreck strotzten. »Bitte, Sie müssen mir helfen. Können... Können Sie mich nach Hause fahren? Bitte... Bitte, fahren Sie mich nach Hause.« Der etwas stämmige Mann, wessen Kopf nur noch von vereinzelten, grauen Haaren bedeckt wurde, griff nach meinem Arm und half mir beim Aufstehen. Ich musste mir auf die Unterlippe beißen, um den Schmerz in meiner Rippe zu unterdrücken. »Natürlich. Ich schließe schnell den Laden. Warten Sie draußen bei meinem Wagen auf mich.«

Etwas humpelnd verließ ich die Tankstelle und stellte mich draußen neben das einzige Auto, dass dort parkte. Ein beiger 78'er Continental Mark V. Erster Rost zierte die Griffe und durch das Fenster konnte ich abgewetzte Ledersitze erkennen. Dem nach zu urteilen, war mein Retter entweder ein Fan von Oldtimern, oder konnte sich einfach kein neues Auto leisten. Der Angestellte eilte herbei, entriegelte den Wagen und ließ sich schwer atmend hinter das Steuer fallen. Ich setzte mich shotgun und wartete bis er den Motor gestartet hatte. »Vielen Dank, dass Sie mir helfen. Ich glaube, dass nicht viele das getan hätten.« »Aber das ist doch selbstverständig.« »Haben sie ein Navi?« Der Fremde sah mich verwirrt an. »Für was ein Navi? Ich weiß wo sie wohnen.« Verwundert sah ich aus dem Fenster, entschied mich aber dazu, nicht weiter zu fragen. Bestimmt hatte der Mann meine Adresse auf einem der Flugblätter gesehen, die meine Familie wahrscheinlich verteilt hatte. Erleichtert atmete ich tief durch und beobachtete, wie die Bäume an der Autoscheibe vorbei brausten. Der Mann stellte mir keine Fragen mehr darüber, was mit mir passiert war und ich war ihm sehr dankbar dafür. Ich konnte jetzt noch nicht darüber sprechen und es würde garantiert auch noch einige Zeit dauern, bis ich das ganze verarbeitet hatte. Aber die Hauptsache war, dass ich nun endlich wieder zu meiner Familie konnte.

Doch plötzlich irritierte mich etwas. Ich kannte das Gebiet, durch welches wir fuhren. Und dann lief es mir eiskalt den Rücken hinunter, als im nächsten Moment Adams Villa in mein Blickfeld trat. Panisch begann ich am Türgriff zu rütteln, aber der Wagen war verschlossen. Mit Tränen in den Augen drehte ich mich zu dem Kassierer um. »Ich wohne hier nicht. Wo bringen Sie mich hin? Warum bringen Sie mich zu ihm zurück?« Meine Stimme wurde zum Ende hin lauter. Triefte nur so vor Verzweiflung. Der Mann sah stur aus der Frontscheibe. »Es wird alles gut. Ihr Freund hat mich kontaktiert. Ich weiß, dass Sie psychisch labil sind und deshalb oft weglaufen. Aber jetzt wird alles wieder gut, hören Sie?« Doch ich wollte das alles gar nicht wahrhaben. Wollte seine Worte nicht hören. Sperrte sie aus meinem Kopf aus. Nein! Nein, das konnte einfach nicht wahr sein. Ich hatte es fast geschafft gehabt. Wieso? Wieso ich?

Adam erwartete uns schon vor seiner Eingangstür. Der Mann parkte undAdam rannte direkt zu mir. Besorgt zog er mich aus dem Wagen. »Cassiebabe, ichhabe mir solche Sorgen gemacht. Du kannst doch nicht einfach abhauen. Was, wenndir etwas passiert wäre?« Dann drückte er seine Lippen auf meine. Hart,fordernd. »Vielen Dank, dass Sie sie zurückgebracht haben. Ich weiß gar nicht,wie ich das wieder gut machen kann.« »Schon gut, ich bin froh, wenn ich helfenkonnte.« Dann setzte sich meine letzte Hoffnung wieder in den Wagen und fuhrdavon. Ich machte ihm keine Vorwürfe. Im Grunde waren wir beide von Adamhinters Licht geführt worden. Als die Rücklichter des Autos verschwundenwaren, packte Adam mich an meinem geschundenen Arm mit der Markierung und rissmich zu sich. »Das wirst du noch bereuen.« Ich schluckte schwer, während michmein Peiniger ins Haus zerrte. Was hatte ich nur getan?

In Liebe, Dein ErlöserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt