Das Geld scheißende Einhorn

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Das ist alles so surreal, ich komme mir so falsch vor. Die Welt kommt mir falsch vor.

Warum müssen mir immer die schlimmsten Sachen passieren? Das ist doch ein Witz. Zuerst rutsche ich in die Drogenszene ab, komme in eine Entzugsklinik, meine beste Freundin stirbt, meine Mutter schlägt und hasst mich und jetzt werde ich auch noch vergewaltigt. Kann es denn noch schlimmer kommen?

Matty hat alle Gäste nachhause geschickt, selbst Ian. Nur Steven ist geblieben, was mich froh macht. Er gibt mir genauso wie Matty Kraft. Er ist wie ein zweiter großer Bruder für mich.

Wir haben weder Mutter noch Conor Bescheid gesagt. Mutter würde es nicht interessieren und wie Conor reagiert, will ich erst gar nicht wissen. Vielleicht kann er damit gar nicht umgehen, vielleicht entfernt er sich von mir.

"Ich mach dir einen Kakao, okay?", meint Matty und steht auf.

Ich nicke lächelnd und verschränke meine Beine. Wir sitzen mittlerweile auf der Couch und haben den Fernseher an. Trotzdem guckt keiner auch nur ansatzweise hin. Keiner gibt es zu, aber er ist nur an damit wir uns nicht totschweigen. Denn ehrlich gesagt sagt kaum einer von uns etwas. Ich bin einfach zu kaputt dafür und Matty und Steven haben Angst etwas falsches zu sagen.

Es ist mittlerweile morgens und wir sind alle mehr als müde, aber trotzdem hellwach. Wir wollten zuerst die Polizei wegen diesem Typen rufen, bis uns aufgefallen ist, dass Matty ihn fast tot geprügelt hat. Deshalb haben ihm die Jungs seine kompletten Sachen ausgezogen, Vergewaltigerschwein auf seine Brust geschrieben und ihn auf den Gehweg ein paar Straßen weiter gelegt. Die Jungs planen auch rumzuerzählen, was er getan hat. Ich habe mein Einverständnis nur gegeben, weil sie nicht sagen werden, dass er mich vergewaltigt hat. Sie werden von irgendeinem Mädchen auf der Party reden.

Matty bringt mir meinen Kakao und setzt sich dann wieder zu uns. Ich schlürfe ihn laut und verbrenne mich mehrmals, die Jungs sitzen schweigend neben mir. Es ist so unangenehm und mir ist schlecht und schwindlig und alles gleichzeitig. Ich bin einfach fertig mit allem.

"Man, ich könnte jetzt echt was rauchen.", kommt es plötzlich von Steven und Matty und ich gucken zu ihm.

"Dein Ernst?", kommt es von meinem Bruder.

Ich schüttle schmunzelnd den Kopf und höre den Jungs beim Diskutieren zu. Matty ist total sauer, dass Steven jetzt sowas erwähnt und vorallem vor mir.

"Ehrlich gesagt hab ich auch total Lust.", kommt es nun von mir, was die Jungs sichtlich verwundert.

Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass Steven und ich Ians Joint vernichten und mein Bruder uns dabei zuguckt. Das letzte Mal war viel zu lang her und ich frage mich schon nach dem ersten Zug, wie ich es ohne das Zeug ausgehalten habe. Leider weiß ich auch nach dem ersten Zug schon, dass ich in näherer Zukunft nicht mehr darauf verzichten werde.

Soviel dazu, dass ich das nie wieder tun werde.

Wenn es so mit mir weiter geht, kann ich mich jetzt schon auf den Weg in die Klinik machen. Oder am besten gleich zu Patricia. Das wäre mir momentan sowieso am liebsten. Nicht mal das Gras kann mich wirklich ruhig stellen. Aber was erwarte ich auch. Ich bin psychisch so ein Wrack, da hilft es wahrscheinlich nicht mal wenn mir ein pinkes Einhorn 100 Dollar Scheine scheißt. Wobei das echt ziemlich cool wäre.

"Worüber denkst du nach?", fragt mich Matty und rupft das Gras aus dem Boden.

"Geld scheißende Einhörner.", gebe ich zu und er beginnt mich auszulachen. Natürlich, das klingt so als wäre ich total high. Naja, bin ich auch.

Steven liegt auf dem Gras und starrt in den langsam dunkel werdenden Himmel. Ich geselle mich zu ihm und kurz darauf tut Matty uns es nach. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre einer von ihnen. Meiner Meinung nach haben es Jungen im Leben sehr viel einfacher. Sie werden weniger verurteilt, weniger unter die Lupe genommen und weniger dumm angemacht und begrabscht. Ich weiß, dass sie genauso Opfer vieler Taten werden können, aber ich meine trotzdem noch, dass sie es einfacher haben. Außerdem ist es echt verdammt cool im Stehen pinkeln zu können.

"Ava, du starrst Löcher in den Himmel. Obwohl das nicht einmal möglich ist.", meint Steven nach einer Weile.

Ich setze mich auf und bemerke, dass die Jungs vor mir stehen. Wie lange sie wohl schon stehen? Man, ich muss echt mal klar kommen. Es herrscht ein reges Chaos in mir, als würde ein Tornado in mir hausen. Als würde ich mich selbst immer wieder aufbauen und wie ein feuchter Karton wieder zusammen fallen. Es ist so unbegreiflich für mich, was alles in so einer kurzen Zeit passiert. Und irgendwie gebe ich mir für alles selbst die Schuld. Dass ich in die Drogenszene abgerutscht bin ist voll und ganz meine Schuld. Patricia würde mit meiner Unterstützung noch leben. Meine Mutter würde mich nicht hassen und schlagen, wenn ich mich wie eine richtige Tochter benehmen würde. Und der Typ hätte mich nicht vergewaltigt, wenn ich mich nicht so billig gegeben hätte. Ich war zu aufreizend.

"Antwortest du uns auch mal oder bist du in eine neue Welt gedriftet?", fragt nun Matty.

Die Jungs gehen mir auf die Nerven und ich will, dass sie beide ihre Klappe halten. Ich bin gerade dabei mich selbst zu bemitleiden, da brauch ich keinen Kommentator.

"Lass mich.", murre ich und versinke wieder in meinen Gedanken.

Es ist unglaublich wie viel Selbsthass und Frustration man in sich tragen kann. Und es ist noch unglaublicher, dass man jemand anders trotzdem über alles lieben kann. Wir Menschen sind schon eigenartig.

Mattys Hand ruht auf meinem Arm, er guckt mich an. Jetzt hab ich auch noch einen Zuschauer na toll. Willkommen bei der Avashow. In der heutigen Episode: Die selbstbemitleidende Ava.

"Ich kann mir das nicht länger angucken.", meint mein Bruder nur und zieht mich nach oben. Die Jungs stehen vor mir und begutachten mich. Mir wird schlecht und ich frage mich, was mit mir nicht stimmt. Ich mache mir viel zu viele Gedanken. Matty wirft mich kurzer Hand über seine Schulter und läuft mit mir nach drinnen. Dann setzt er mich auf die Couch und hockt sich vor mich.

"Was kann ich tun, dass es dir besser geht?", fragt er und streichelt sanft über meinen Oberarm.

Jede seiner Berührungen lässt mich zusammen zucken. Ich bin so ein Weichei geworden, das ist unglaublich. Und ich frage mich ernsthaft, wie ich in der wirklichen Welt auch nur eine Sekunde länger überleben werde.

Obwohl, ich lebe nicht einmal mehr wirklich. Viel mehr existiere ich.

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