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Matty schließt die Tür auf und mir kommt ein bekannter, aber schon längst vergessener Duft entgegen. Ich atme tief durch und folge Matty dann.
Es ist fast schon dämlich, wie schwer es mir fällt.
"Ich hab eine Überraschung für dich.", meint mein Bruder und stellt meine Tasche auf den Boden.
Kritisch gucke ich ihn an und verfolge seine Hand, die zu seiner Hosentasche wandert. Er zieht mein Handy aus dieser und wirft es mir zu. Ungeschickt fange ich es auf und betrachte es ungläubig.
"Du hast ziemlich viele Nachrichten.", gibt er amüsiert von sich.
"Witzig."
Ich lege das Ding von der einen in die andere Hand und weiß nicht so Recht, was ich tun soll. Es sind mit Sicherheit auch Nachrichten von Tony und meinen Drogenfreunden drauf. Ich habe, auch wenn ich es nicht zugebe, Angst, wieder in diese Szene reinzurutschen.
"Du musst es nicht anmachen, Ava."
Dieser Satz von Matty hat mir geholfen. Ich mache das Handy nicht an und lege es einfach nur auf den Küchentisch. Da ich sowieso nur mit Abhängigen oder Dealern verkehrt habe, dürfte ich jetzt sowieso keine Freunde mehr haben. Nur meinen Bruder halt, aber das reicht mir vollkommen.
"Ich mach uns Essen.", schlägt er vor und ich fange zu lachen an.
"Als ich noch da war, hast du den Ofen geschrottet, als du nur 'ne Tiefkühlpizza gemacht hast."
"Ein Jahr ist vergangen, Schwesterherz. Nun bin ich ein Profi."
Ich sehe, wie er sich ein Lachen verkneift. Wow, ich habe ihn wirklich vermisst. Er durfte mich nicht oft besuchen, da es mir Anfangs ziemlich schlecht ging. Der Entzug war so krass, dass sie dachten ich würde abkratzen. Das erste Mal besucht wurde ich von meiner Mutter. Nach etwa zwei Monaten in der Klinik, davor haben sie keinen zu mir gelassen.
Sie hat geweint und sich dafür entschuldigt, was für eine schlechte Mutter sie doch war. Das hat sie sowieso nur gesagt, damit sie die Bestätigung bekam, dass sie eine wunderbare Mutter war und immer bleiben wird.
Ich habe ihr leider das Gegenteil gesagt und ihr bestätigt, dass sie eine schlechte Mutter war. Sie hat mich erst wieder drei Monate später besucht und war immer noch pissig auf mich. Aber diesmal war Matty dabei, was die Stimmung ein bisschen hob.
Danach besuchte er mich alleine noch einmal und dann kamen sie beide nicht mehr. Ich wusste nicht, ob sie mich nicht besuchen durften oder einfach nicht wollten, aber hinterfragen wollte ich es auch nicht.
Ich beobachte Matty dabei, wie er uns Essen macht. Sein Drei- Sterne- Profikoch- Menü besteht am Ende aus Rühreiern mit Speck. Aber selbst das reicht mir, denn sowas haben wir in der Klinik nie bekommen.
Mein Höhepunkt war ein Vanilleeis gewesen. Dieses hatte ich aber nur ein einziges Mal bekommen, zu meinem siebzehnten Geburtstag. Da hatten mich Matty und Mum nicht besucht.
"Sir Matthew von Bacon, sie sind ein wahrer Meisterkoch.", witzel ich, während er und ich sein Essen hinunterschlingen.
"Von Bacon?", schmatzt er amüsiert und ich nicke grinsend.
Diese Situation ist so gewöhnlich, dass sie mir fast schon Angst macht.
Normalerweise habe ich immer mit der kleinen Fetten oder alleine gegessen. Und oft habe ich nicht einmal gegessen, da ich entweder keinen Hunger oder einfach keine Lust auf diese Kacke hatte.
"Später kommen zwei meiner Freunde.", meint Matty, während er einen Schluck Cola trinkt. Wow Cola, ich weiß nicht einmal mehr, wie das schmeckt.
"Kenn ich die?"
Er schüttelt den Kopf und reicht mir danach die Flasche, weil er meinen gierigen Blick bemerkt.
"Nö, aber du lernst sie kennen."
Oh Gott, meine ersten sozialen Kontakte außerhalb der Klinik. Von Säufern, Drogenjunkies und Irren zu ganz gewöhnlichen Jugendlichen. Das konnte etwas werden.
Sie kamen gegen halb acht, als Mum auch schon zuhause war. Sie war nett zu mir, aber etwas vorsichtig, da sie Angst hatte etwas falsches zu sage. Allgemein war alles was aus ihrem Mund kam, für mich falsch, aber das behielt ich für mich.
Mattys Freunde heißen Ian und Steven, sie kannten sich vom Fußball. Das hat Matty noch nicht gemacht, als ich abhängig gewesen war.
Sie sehen sehr gut aus, was mir Angst macht. In der Klinik war ein gutaussehender Junge gewesen. Er hieß Paul und hat immer nach Kokosnüssen gerochen. Wir hatten uns geküsst, es war mein erster Kuss nach meinem Exfreund, dem Vollidiot, gewesen. Einen Tag später hat man Paul tot in seinem Zimmer gefunden. Er hat sich mit seinem Bettlaken erhängt, keine Ahnung, wie er das geschafft hat.
Zu dem Zeitpunkt ging es mir wieder schlechter. Ich kam irgendwie wieder an Koks und war wieder abhängig. Der zweite Entzug folgte, das zweite Mal kratzte ich fast ab. Aber eben doch nicht.
"Hey, ich bin Ian.", stellt sich der größere von beiden vor und reicht mir seine große, muskulöse Hand.
"Ava.", quietsche ich schon fast und räusper mich daraufhin.
Ich war so schöne Menschen nicht mehr gewohnt. In der Klinik sah jeder fertig aus, sogar Paul. In der normalen Welt sahen Menschen aber gut aus und das erschreckte mich. Die Klinik war meine Welt gewesen, dort passte ich hinein. Das normale Leben war abstoßend und furchteinflößend für mich.
"Schön dich kennenzulernen, Ava. Ich bin Steven.", stellt sich der andere vor und reicht mir ebenfalls seine Hand.
Verlegen lächle ich und erkenne mich kaum noch wieder. Ich bin nicht verlegen, bin ich nie.
Währen die Jungs zocken, analysiere ich sie immer wieder verstohlen. Ian hat braune, schöne Haare. Seine Augen sind leuchtend grün und erinnern mich ein wenig an Marihuana. Nicht cool.
Steven ist ein ganz anderer Typ. Seine Haare sind rot- blond, seine Augen kackbraun. Er ist schön, aber nicht mein Typ.
Paul war mein Typ gewesen, mein Ex, der Vollidiot, war es gewesen. Ian ist es auch, aber das würde ich nie zugeben. Denn es würde mir nichts bringen. Wer würde schon mit so einem Wrack wie mir eine Beziehung eingehen? Wer würde freiwillig ständig in Angst vor einem Rückfall leben? Ganz genau, niemand.
"Willst du auch mal spielen, Ava?", reißt mich Steven aus meinen Gedanken und ich nicke.
Ich spiele gegen Matty und gewinne. Selbst nach einem Jahr ist er immer noch grottenschlecht.
"Du hattest ein Jahr Übungszeit und verkackst trotzdem.", murmle ich und bringe Ian und Steven zum Lachen.
Stevens Lachen ist niedlich, noch so jugendlich, fast schon kindlich. Ian klingt da schon viel männlicher, aber trotzdem ist es angenehm zum Anhören.
Irgendwie gruselig, wie ich alles analysiere. Irgendwann weiß ich noch, wer von ihnen einen fahren lassen hat.
"Ich hab dich echt vermisst, Ava. Aber dass du mich in allem besiegst, geht mir verdammt auf die Eier.", schmollt Matty und wirft den Controller aufs Bett.
"Ich dich auch."
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Clean
Ficção Adolescente"Du bist clean, Ava." "Ich hab' schon bessere Witze gehört." Diese Geschichte widme ich meinem Lieblingsbuch meiner Lieblingsautorin: Schnauze Alien.