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Seufzend zucke ich mit den Schultern. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie es mir besser gehen sollte. Naja, einen Gedanken habe ich schon, aber das kommt keineswegs in Frage. Steven und Matty sitzen auf dem Boden und starren mich an. Dass das nicht hilft wissen sogar die zwei Holzköpfe.
Irgendwann beschließen sie, dass wir Musik hören sollten. Ich liege also mit geschlossenen Augen auf der Couch und lausche jedem noch so leisen Ton aus der Box. Ich analysiere jedes Wort, jedes Zupfen einer Gitarrensaite, jeden Atemzug. Unglaublicherweise bringt mich das wirklich ein wenig runter. Ich frage mich, wie es dem Sänger im Moment geht und was er gerade so tut. Über was ich mir so Gedanken mache.
Während nun eine Frau singt, klingelt es an der Tür. Ich erschrecke mich so sehr, dass ich auf Matty falle und mit dem Knie nur knapp seine Weichteile verfehle. Normalerweise hätte ich ihn jetzt ausgelacht, aber mir ist nicht nach Lachen zu Mute.
Steven steht auf und läuft zur Tür. Ich beobachte ihn und gucke gespannt, wer an der Tür ist. Ich denke an Conor oder Dylan oder Ian, aber es ist keiner von ihnen. Die Polizei steht vor Steven und begutachtet ihn.
Die Polizisten fragen nach Matty und mir und werden daraufhin von Steven nach innen gebeten.
Ich kann das nicht, ich kann nicht über die Vergewaltigung reden. Ich will dieses Thema für immer totschweigen. Und das werde ich auch. Egal was die mich fragen, ich ignoriere es.
Der Polizist mustert mich kritisch.
"Haben Sie irgendetwas eingenommen?", fragt er mich dann direkt und ich schüttele nüchtern den Kopf. Die Frau neben ihm mustert mich nun ebenfalls.
Ey sorry, dass ich nach so 'ner Nacht nicht mehr ganz so fresh aussehe.
"Was führt Sie zu uns?", fragt mein Bruder die Beamten.
Na was wohl, du Schlaukopf.
Aber als sie dann anfangen von meiner Mutter zu reden, bin ich wirklich verwirrt. Und ich kann kaum begreifen was dieser Mann uns gerade erzählt. Der Polizist ist sehr ruhig und tut so, als würde er gerade von seinem Morgenschiss erzählen.
Ich fange erst zu lachen an, dann zu weinen und dann schreie ich so rum, dass mir Handschellen angelegt werden. Diese lösen sie nach kurzer Zeit wieder.
"Ich habe mich gerade verdammt noch mal wieder eingekriegt! Ich bin über den Tod, Misshandlungen und eine Vergewaltigung hinweg gekommen und jetzt stirbt wirklich meine verfickte Mutter?", brülle ich den Beamten an, der völlig überfordert scheint.
"Beruhigen Sie sich, ihre Mutter ist doch noch gar nicht tot."
Ich gucke den Typen verwirrt an.
"Alter du Spast, sie liegt im Koma. Die ist sowas von tot."
Der Satz bringt mich auf die Polizeiwache. Eigentlich nur das Wort Spast. So ein Kleinkind, kann nicht einmal die Wahrheit verkraften. Matty und Steven sind zuhause geblieben und warten, bis ich vom Revier wieder komme.
Dort wird mir noch einmal genau erklärt, was mit meiner Mutter passiert ist. Anscheinend hat sie sich mit einem Mann getroffen. Dieser hat sie geschlagen unzwar so doll, dass sie nun eine lebende Leiche ist. Ich frage mich, wie es nun weiter geht. Und warum ich nichts davon wusste. Und warum mein Leben eigentlich so verdammt beschissen sein muss.
Okay, einmal kann etwas dummes passieren. Vielleicht auch zwei Mal, aber doch nicht so oft hintereinander. Das ist einfach unmöglich.
Während ich die Straße hinunter laufe, weine ich wie ein kleines Mädchen. Ich werde dumm angeguckt, aber darauf scheiß ich mal so richtig. Und zu allem Überfluss läuft mir nun auch noch Conor über den Weg.
Er nimmt mich in den Arm und fragt, was los ist. Ich erzähle ihm lediglich von meiner Mutter, denn das mit der Vergewaltigung wird nie über meine Lippen kommen. Dann beschließt er mich nachhause zu bringen. Seine Berührungen brennen auf meiner Haut, sie schmerzen, aber ich lasse mir nichts anmerken.
Matty nimmt mich in die Arme, als ich wieder komme.
"Was haben sie dich gefragt? Wie geht es weiter?", flüstert er dann.
"Sie haben mir alles noch einmal erklärt und gemeint, dass in den nächsten Tagen jemand vom Jugendamt hier aufkreuzen wird.", flüstere ich zurück.
Dann gehen Conor und ich hoch in mein Zimmer. Er tröstet mich und küsst mich ab und zu. Obwohl er mein Freund ist, wird mir schlecht. Es erinnert mich alles an letzte Nacht. Vorallem war das auch in diesem Bett hier. Ich bin froh, dass die Jungs alles sauber gemacht haben. Trotzdem kann man meine Erinnerungen nicht einfach so wegwischen.
Zum Glück ist Conor sehr taktvoll und versucht jetzt natürlich nicht mit mir zu schlafen. Er lenkt mich lediglich ab, was sogar einigermaßen gut klappt. Irgendwann kommt dann Matty nach oben und teilt mir mit, dass wir Mum besuchen können. Also verschwinden Steven und Conor und Matty und ich machen uns auf den Weg zu ihr.
Obwohl sie mich hasst und ich sie auch, hab ich verdammt nochmal Angst um sie. Ich habe keinen Vater, ich kann meine Mutter nicht auch noch verlieren. Sie liegt regungslos in ihrem Zimmer, an ihrem Körper hängen tausende Geräte. Sie hat viele Verletzungen und ich frage mich, warum er ihr das angetan hat. Und vorallem, wie dann jemand davon mitbekommen hat. Hat der Typ die Polizei gerufen und sich selbst angezeigt? Wohl kaum.
Ich setzte mich auf den Stuhl und starre sie an. Es sieht aus, als würde sie schlafen. Warum muss sie dort liegen? Klar, sie ist eine scheiß Mutter und ein scheiß Mensch, aber deswegen hat der Typ sie sicher nicht geschlagen. Und egal welchen Grund er hatte, das hat sie nicht verdient.
"Es tut mir leid, Mum.", murmle ich und fahre ihr über die kalte Hand.
Matty umarmt mich von hinten und gibt mir einen Kuss auf den Hinterkopf. Ich verzweifle so sehr. Lieber Gott, an den ich nicht glaube, was habe ich dir getan? Ich habe doch nur mich selbst zerstört, warum musst du nun alle um mich herum zerstören? Ist das deine Art mir Buße zu tun? Gibt es danach eine Versöhnung und alles wird wieder gut? Von mir aus konvertiere ich auch zum Christentum, Buddhismus, Hinduismus, hauptsache es wird alles wieder gut.
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Clean
Novela Juvenil"Du bist clean, Ava." "Ich hab' schon bessere Witze gehört." Diese Geschichte widme ich meinem Lieblingsbuch meiner Lieblingsautorin: Schnauze Alien.