Der goldene Schuss

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"Von was redest du?", frage ich scheinheilig.

Er meint sicher etwas anderes, er kann es nicht wissen. Vielleicht denkt er, dass ich ihn betrügen würde oder so. Aber nein, dass ich drogenabhängig bin kann er einfach nicht wissen.

"Du nimmst wieder Drogen.", spricht er die ernüchternde Wahrheit aus. Er sieht mehr als enttäuscht aus, was vollkommen nachvollziehbar ist.

Aber woher weiß er das? Man hat es mir nicht sonderlich angesehen, sonst hätte Matty auch etwas mitbekommen. Schließlich war Matty letztes Mal derjenige, der es herausgefunden hat. Aber es bringt nun nichts mehr ihn anzulügen. Also senke ich einfach den Blick und schweige. Ich kann ihn weder angucken noch was sagen. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, dass ich alles kaputt gemacht habe.

Am meisten habe ich mich selbst kaputt gemacht, erneut. Immer und immer wieder.

"Es ist nicht mal, dass du wieder abhängig bist. Das passiert sehr oft wenn man schonmal abhängig war. Es ist einfach, dass du nicht mal daran gedacht hast mir etwas zu erzählen. Das wäre dir nicht einmal in den Sinn gekommen. Stattdessen hast du einfach ununterbrochen gehofft, dass ich es nicht herausfinde und du so normal wie möglich weiterleben kannst. Hälst du mich wirklich für so bescheuert?"

Ich höre die aufkochende Wut in seiner Stimme. Trotzdem versucht er ruhig zu bleiben. Dass ich nichts sage, macht es aber keinesfalls besser.

"Und nichtmal jetzt, wo sowieso alles vorbei ist, kannst du etwas dazu sagen?"

Was?

"Vorbei?", frage ich leise. Meine Stimme ist weg, sie wurde meinem Körper entzogen.

Ich war mir wirklich nicht sicher, was er mit vorbei meinte. Unsere Beziehung?

"Ja, natürlich vorbei. Was erwartest du denn? Dass ich dich weiterhin Drogen nehmen lasse? Dass ich dich dabei unterstütze?"

Nein, natürlich denk ich das nicht. Und ehrlich gesagt regt es mich wirklich auf, dass er mich behandelt, als wäre ich verblödet. Ich hab mir weder meine Gehirnzellen weggespritzt noch meinen Verstand weggeraucht.

"Nein."

"Gut. Dann ist das jetzt wohl klar. Gehen wir?"

Okay, für mich ist gar nichts klar und ich habe keine Ahnung von was er genau redet. Und wohin sollen wir bitte gehen?

"Wohin hast du vor zu gehen?", frage ich ihn vorsichtig, da ich Angst habe ihn noch mehr zu verärgern.

"Jetzt stell dich doch nicht so dumm, Ava. Natürlich in die Entzugsklinik."

Nein.

Auf keinen Fall.

Das lasse ich nicht zu.

"Vergiss es, Steven. Ich verrotte da!"

Er sieht etwas traurig aus und es sieht so aus, als würde er nachgeben wollen, aber das tut er nicht. Er bleibt stur und er wird mich dazu zwingen. Und er kann mich dazu zwingen.

"Spinn nicht rum, Ava. Auch wenn du es nicht einsiehst, aber du wirst sterben, wenn du nicht entziehst. Das ist deine letzte Chance. Ich sehe dir nicht beim Sterben zu und das kannst du auch nicht von mir erwarten. Und im Stich lasse ich dich erst recht nicht. Dafür liebe ich dich zu sehr. Auch wenn du's mir jetzt nicht glaubst, aber ich will nur das Beste für dich."

Seine Augen werden glasig und er ist kurz davor das zu tun, was ich schon lange tue. Tränen laufen in Strömen mein Gesicht hinunter und trocknen auf meiner blassen, kalten Haut. Sie verflüssigen das getrocknete Blut an meiner Nase und vermischen es zu einem ekligen Gemisch, das mein Gesicht hinunter läuft.

"Ich schaff das nicht Stev-. Ich- ich werd doch sowieso wieder abhängig. Warum, warum sollte ich es diesmal schaffen?", schluchze ich komplett aufgelöst.

Sehen wir der Realität ins Auge, ich werde dort nicht clean rauskommen. Ich bleibe eine Abhängige, für den Rest meines, wahrscheinlich sehr kurzen, Lebens.

"Weil ich bei dir bin. Ich werde dich nicht gehen lassen. Nenn mich egoistisch, aber ich kann und will nicht ohne dich leben. Mag sein, dass du damit klar kommst zu sterben, aber das sollte nicht so sein. Und das will und werde ich ändern."

Tränen rollen nun auch ihm das Gesicht hinunter, was noch mehr schmerzt. Schließlich weint er wegen mir, es ist meine Schuld. Und ich sehe ein, dass ich wirklich entziehen muss, es ist meine einzige Chance.

Ich kann mein Leben nicht wegschmeißen, ich bin erst 17. Meine Mutter hat mir mein Leben geschenkt, sich meistens liebevoll um mich gekümmert, mich großgezogen. Das kann und wird nicht der Dank an sie sein.

"Okay. Darf ich davor noch schnell auf die Toilette? Ich muss wirklich dringend."

Er nickt, reibt mir über den Rücken und lässt mich dann gehen. Langsam trotte ich ins Bad und versuche möglichst viel in Erinnerung zu behalten. Alles hier werde ich für längere Zeit nicht mehr sehen.

Auf dem Klo wird mir bewusst, dass ich, falls ich clean werden sollte, nie wieder Drogen nehmen werde. Außer vielleicht jetzt. Zum Abschied kann ich noch einmal etwas nehmen. Seufzend schiebe ich die Fliese weg und hole mein Zeug.

Mit zitternden Händen bereite ich alles vor und atme tief durch. Warum tue ich mir das alles an? Nichtmal jetzt, kurz vor meinem Entzug, will ich von den Drogen weg.

Ich säubere die Spritze, binde meinen Arm ab und verflüssige mein Zeug. Ein letztes Mal spritzen. Langsam drücke ich die Spitze an meinen zerstochenen, pochenden Arm. Habe ich abgesperrt? Naja, egal.
Es piekst kurz und dann drücke ich ab. Ich drücke bis zum Anschlag und merke, wie mir komisch wird. Es fühlt sich nicht wie auf Drogen an. Stattdessen verschwimmt meine Sicht, mir wird unsagbar schwindlig und mein Blickfeld wird schwarz.

Das sollte also der Dank an meine Mutter werden.

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