Am nächsten Morgen reihte sie sich in die Schlange der Schüler und Schülerinnen ein, die vor Madam Pomfreys Büro warteten um eine Kelle von Brodricks dampfenden Schleim und Hustenlöser zu bekommen. Etwas weiter vor ihr erblickte sie einen schwarzen Lockenschopf. Schadenfroh grinste sie. Vielleicht hatte Jasper sich noch länger als sie draußen aufgehalten. Langsam ging es voran. Madam Pomfrey erlaubte nur denjenigen denen sie eine echte Krankheit diagnostizierte, den restlichen Tag vom Unterricht wegzubleiben, damit der Dampf den Brodricks Wunderwaffe produzierte ungestört durch die Ohren entweichen konnte. Die anderen mussten einen Aufsatz über vorgetäuschte Krankheiten schreiben. Sie musste mit den Pergamentrollen schon ihr Büro tapezieren können. Als Lily an der Reihe war, sah sie ihr kritisch in die Augen. Ihr Hals begann zu Kratzen, ihre Nase juckte und ihre Wade pochte. Madam Pomfrey sagte nichts und gab ihr eine Kelle. „Ich will im Übrigen gar nicht wissen, was du gestern nach deiner Entlassung getan hast. Und jetzt ab, sonst behalte ich dich noch hier, bis es dir eindeutig wieder besser geht!" Sie nickte hastig und kehrte, fleißig weiße Dampfwölkchen fabrizierend, zum Gemeinschaftsraum zurück.
Lily kletterte durch das Portraitloch und wäre beinahe in einen der Weasleyzwillingen hineingestolpert. „Jetzt nimm doch wenigstens eine Kelle Ginny! Das Zeug wird dich schon nicht umbringen." „Eben. Und in letzter Zeit sieht es echt nicht so aus als würde es dir gut gehen!" „Das Zeug wirkt Wunder! Eine Kelle und schon hörst du auf zu kränkeln und bist wieder fit!" Ginny schüttelte verbissen ihren Kopf. „Wenn du nicht krank bist, dann gibt Poppy dir auch nichts. Glaub uns, die erkennt das!"
Ginnys Brüder standen mit dem Rücken zu Lily und drehten sich erst um, als sie merkten, wie die Mine ihrer jüngeren Schwester noch ausdrucksloser und sturer wurde. Eine gespannte Stille entstand. Lily schaute sie an, hoffte auf eine Antwort, eine Entschuldigung Ginnys. Oder wenigstens eine einfache Frage nach ihrem Wohlbefinden. Doch diese Sätze blieb Ginny ihr schuldig. „Schön.", sagte Lily und hatte Mühe, nicht vor ihr in Tränen auszubrechen. „Schön, dann geht es dir eben sonst wo vorbei wie es mir geht." Fred und George warfen sich einen undeutbaren Blick zu. „Lasst es bloß bleiben. Ich will euren Kommentar erst gar nicht hören." Wütend quetschte Lily sich an ihnen vorbei.
Obwohl sie es nicht einsah als erstes auf Ginny zuzugehen, musste sie sich dennoch eingestehen, dass sie das Mädchen, dass zumindest für diese ersten Wochen ihre Freundin geworden war, vermisste. Ihre spöttischen und sarkastischen Bemerkungen über sämtliche Lehrer und ihre panischen Ausrufe, wenn ihr in letzter Sekunde noch einfiel, dass sie ihren Zaubertrankaufsatz noch zu Ende bei Lily abschreiben musste.
Ihre gemeinsamen Abende in der Bibliothek und die Male, bei denen sie sich in der Kissenschlacht gegen Laureen, Hillary und Madison verbündet hatten. Doch jetzt lief sie immer nur ausdruckslos an ihr vorbei, hatte sich sogar in den meisten Stunden von ihr weggesetzt. Laureen saß jetzt in Zaubertränke neben ihr. Obwohl sie ebenso schlecht war wie Ginny, war es dennoch anders. Ginny hatte immer irgendwelche Verwünschungen gemurmelt, Laureen wollte sich ständig mit ihr unterhalten.
Sie begriff einfach nicht, dass Lily auch mal gerne arbeitete. Ginny und sie waren von Anfang an ohne solche Missverständnisse ausgekommen. Lily machte sich Sorgen um Ginny. Sie verhielt sich zu unauffällig, lief im Hintergrund herum ohne zu reden, mit zusammengekniffenen Lippen, als habe sie gar nicht das Recht dazu zu sprechen. Lily wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihnen allen etwas verheimlichte. Ihr Ärger war endgültig verpufft.
Abends kehrte Ginny immer erst sehr spät in den Schlafsaal zurück, wechselte nur die allernötigsten Worte mit anderen und schien sich, von der wirklichen Welt zu entfernen. Im Unterricht vergaß sie ihre Hausaufgaben zu machen, meldete sich kaum noch, sondern verbrachte Stunde für Stunde, indem sie Seiten in ihrem Notizbuch füllte. Lilys Vermutungen sollten bestärkt werden.
Als sie dachte, es könnte kaum schlimmer kommen, lief sie am schwarzen Brett entlang. Eine kleine Gruppe von Schülern hatte sich bereits um den neuen Aushang geschart. Interessiert blieb Lily stehen und stellte sich auf die Zehenspitzen. Professor Lockhart bietet an: Einen Duellierklub lautete die Überschrift. Einem grimmig schauenden Lockhartportrait folgte ein weiterer Text.
Angesichts der schrecklichen Vorkommnisse im Schloss, habe ich, Professor Lockhart, beschlossen einen Duellierklub für alle Schüler zu gründen, die lernen möchten, sich selbst zu verteidigen. Bei Interesse bitte ich darum, sich in die Liste einzutragen. Lily schüttelte ihren Kopf, als sie sah, wie viele sich schon eingetragen hatten. Sie las sich den Text noch einmal durch. Kaum zu glauben, wie sehr Lockhart darum bemüht war, seinen Namen so oft wie möglich abzudrucken. Wer wusste, vielleicht bekam er Galleonen für jede einzelne Namensnennung? Es versetze ihr einen kurzen Stich, als sie sich fragte, was Ginny wohl zu ihrer absurden Idee gesagt hätte. Sie verbannte den Gedanken in die hinterste Ecke ihres Gedächtnisses.
Und fand dabei etwas anderes. Hatte Sev nicht einmal einen Duellierkurs erwähnt? Sein Name war kein einziges Mal erwähnt worden. Lily konnte es kaum erwarten, ihn nach Unterrichtsschluss zu besuchen. „Lockhart bietet einen Duellierkurs an. Hast du etwas damit zu tun?", sagte sie, kaum hatte sie die Tür zu seinem Büro geschlossen. Erschrocken erstarrte sie, als sie Dumbledore auf dem unbequemen Stuhl sitzen saß, den sie sonst immer für sich selbst beanspruchte. „Hallo Aimée.", sagte er freundlich. „Lily, Sir.", berichtigte sie ihn und schaute Sev fragend an.
Er jedoch war mit seinen Gedanken woanders. Lily wendete sich wieder Dumbledore zu. „Bleiben sie noch lange, Professor? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber-" „aber mir trotzdem nahe legen möglichst schnell aus dem Büro deines Vaters zu verschwinden?" Dumbledores Augen blitzten amüsiert auf. „Keine Sorge, ich wollte mich bereits gerade auf den Weg machen. Severus, begleitest du mich kurz noch vor die Tür?" Sev nickte, dann ließen sie Lily alleine in Sevs Büro zurück. Sie ließ sich auf den noch leicht angewärmten Stuhl sinken.
„Worüber habt ihr geredet?", fragte sie Sev, als er den Raum betrat. „Über den Trank für die Versteinerten. Ich denke, wir können schon bald mit ihm beginnen.", antwortete er ihr, schaute Lily aber nicht in die Augen. „Dann hätte Dumbledore auch hier bleiben können." „Ich möchte nicht mit dir darüber diskutieren." Sev schaute auf einen Punkt links über ihrem Kopf. „Se, was ist los?" „Nichts, habe ich dir doch schon gesagt. Hattest du nicht eben noch eine andere Frage?"
Lily stöhnte über seinen erbärmlichen Versuch, das Thema zu wechseln. „ja, ich wollte wissen, was du mit Lockharts Duellierklub zu tun hast." Sevs Lippen kräuselten sich leicht. „An deiner Stelle würde ich mich in die Liste eintragen. Es könnte sogar ganz lustig werden." Lily schaute ihn skeptisch an. Wenn er in seinem Unterricht verlauten ließ, etwas könnte lustig werden, endete das normalerweise nie gut für seine Schüler. „Lustig?" „Er möchte, dass ich sein Duellier Partner werde. Damit wir den Schülern zeigen können, wie man sich richtig duelliert." Sein linker Mundwinkel zuckte verräterisch und Lily ahnte böses.
„Er hat mich gefragt, ob ich nicht Zeit für einen kleinen Probetermin habe." Lily vergrub ihren Kopf in ihren Händen. „Lass ihn da aber bitte lebend wieder raus." Sevs schwarze Augen blitzten verräterisch. „Ich habe eine noch viel bessere Idee. Es gibt ganz einfach keinen Probetermin." „Du machst Witze." Sev zog seine Augenbrauen hoch. „Ich bitte dich. Ich?" Lily stahl sich ein schwaches Lächeln auf die Lippen. „Ich habe ihn gefragt, ob er denn den Werwolf in der Telefonzelle auch zu einem Probetermin gebeten habe." „Du bist echt..." Lily fehlten die Worte. „Lockhart hat sich vor Schreck heißen Tee über seine Hand geschüttelt."
Als Lily wenige Minuten vor Ende der Sperrstunde in den Gemeinschaftsraum zurück huschte, blieb sie vor der Liste stehen. Im Laufe des Tages waren noch viel mehr Namen hinzugekommen. Sie kramte eine Feder aus ihrer Tasche hervor und setzte zum Schreiben an. Lily Snape, Aimée Hollow, Lily Hollow, Aimée Snape. Es war schon schwierig, wenn man so viele Namen hatte. Letztendlich entschied sie sich für Lily Hollow.
Das erste Treffen des Duellierklubs würde am Dienstagnachmittag in einer Woche stattfinden. Für das Wochenende davor, hatte sie, zusammen mit Hillary eine Großaktion in Sachen Ordnung geplant.
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1 - Aschemädchen
FanfictionHP Fan-Fiction • Nach Jahren zwischen dicken Schlossmauern, dutzenden Büchern und einem dicht gewobenen Kokon aus Geheimnissen beginnt Lilys erstes Jahr an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei. Unsicher, mit der stetigen Angst, ihre Verbindu...