29

826 78 3
                                    

„Bitte lass es mich erklären!" Ginny atmete schnaubend aus und schaute sie abwertend an. „Hör zu, es war eine dumme Idee es dir nicht zu erzählen. Aber ich wollte doch bloß, dass du dieses Buch endlich vergisst!" „Damit dir mehr Zeit bleibt, um mit Tom zu schreiben?" Lily biss sich auf die Unterlippe. Tom besaß nicht nur einen erstaunlich festen Würgegriff, sondern war auch sehr begabt darin, die Realität zu seinem Zweck zu verformen. „Nein, natürlich nicht."

„Dann warte ich immer noch auf eine Erklärung." „Ich habe selbst keine Erklärung dafür. Wir beide haben doch gesehen, wie es verbrannt ist! Am nächsten Morgen hab ich es wieder gefunden, es lag vor dem Kamin. Einfach so!" Sie zuckte hilflos mit den Schultern. Ginny kam einen Schritt auf sie zu. „Und du glaubst auch noch wirklich, dass ich dir glaube." Sie lachte ein unechtes, überhebliches Lachen, bei dem Lilys Kehle ganz trocken wurde. „Süß."

„Es ist die verdammte Wahrheit.", krächzte sie. „Tom hat mich gewarnt. Ich habe schon beim ersten Mal nicht auf ihn gehört, jetzt bin ich schlauer. Du warst die ganze Zeit neidisch. Der Kalender", sie hob ihn liebevoll vom Boden auf und bettete ihn in ihren Armen, „der Kalender ist das einzige, was ich habe. Was ich habe und was du nicht hast."

Ginny blickte sie herausfordernd an. „Souffliert dir dein Tom jetzt auch schon? Fang doch mal an, selber zu denken! Ich brauche keinen vorsintflutlichen Kalender, ich habe Geld, mit dem ich mir einen neuen kaufen kann." Lily merkte, wie bitter sich die Worte auf ihrer Zunge anfühlten und konnte trotzdem nicht verhindern, dass sie sie ihr geradezu vor die Füße spuckte.

„Du bist hinterhältig und gemein, das ist es, was ich denke. Ich habe dein Geheimnis bewahrt, bewahre es noch immer. Und zum Dank klaust du mir den Kalender mit einem hinterhältigen Trick, fragst Tom in meinem Namen aus, nur um ihn dann an den Nächstbesten zu verschenken! Ich wette, Harry hat dir auch noch ein paar Galleonen dafür gegeben." "Harry? Was in aller Welt hat denn jetzt auch noch Harry mit alledem zu tun?", rief Lily aus, aber sah schon in dem Moment in dem die Worte ihre Lippen verließen, dass Ginny ihr nicht antworten würde.

Hatten ihre Wangen sonst immer einen Hauch von rosa versprüht, sobald man seinen Namen erwähnte, hatte sich Ginnys Gesicht jetzt zu einer zynischen Maske verzerrt, die Lily zurückweichen ließen.

„Ich wünschte Snape würde anstatt deiner in meinem Schlafsaal schlafen.", sagte Ginny leise und kehrte ihr dann so schwungvoll den Rücken, dass ihre Haarspitzen Lilys Nase berührten. Sie schluckte, kratzte mit den Fingernägeln ihrer rechten Hand über den Rücken der anderen. Es war falsch gewesen, mit dem Kalender nicht zu Sev zu gehen, aber jetzt war es dafür zu spät. Sie hatte ihre Chance wohl endgültig vertan.

Um sich abzulenken, setzte Lily sich am nächsten Tag wieder in die Bibliothek. Aber es half nichts, sie war sauer. Wütend pfefferte sie ihre Feder auf den Boden, sodass sie brach und die Tinte an ihren Beinen hochspritzte. Das schlechte Gefühl eines Déjà-vus überkam sie.

Ich habe dein Geheimnis bewahrt. Was meinte Ginny damit? Dass sie verbotenerweise in einem Klassenzimmer Sprüche übte, oder hatte sie noch mehr herausgefunden? Ihre Gedanken kreisten, Lily klappte ihr Schulbuch zu. Heute würde sie nichts Vernünftiges mehr auf die Reihe bekommen. Leider brachte aber auch der nächste Tag keine Besserung.

„Miss Hollow, schreiben sie noch mit?" McGonnagalls scharfe Stimme riss sie aus ihren Was-wäre-wenn Fantasien. „Natürlich, Professor.", murmelte Lily und schob ihr Buch so vor ihr Pergament, dass McGonagall es nicht einsehen konnte. Lily schrieb nicht mit. Ihre Feder war zerbrochen und sie würde lieber Hagrids Zehennägel schneiden, als Ginny um eine Ersatzfeder zu bitten. „Miss Hollow, Sie schreiben nicht mit. Bitte melden Sie sich nach der Stunde bei mir.", sagte McGonagall bedauernd. Lily versuchte Ginnys provozierendes Lächeln neben ihr zu ignorieren.

1 - AschemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt