"Komm zu mir, meine kleine Wölfin! Komm! Ich brauche dich hier."
Sie öffnete die Augen und sah sich um, doch sie konnte in dem Zelt keinen Körper zu dieser Stimme finden.
"Nun komm endlich! Ich warte schon zu lange."
"Wer bist du?"
"Ein alter Freund. Genaueres musst du gar nicht wissen."
"Was willst du?"
"Ich will, dass du zum See kommst, an dem du neulich mit deinem Freund geschlafen hast. Jetzt. Als Wolf."
"Aber wieso?"
"Ich erkläre dir alles, wenn du hier bist."
Selina stand auf und ging aus dem Zelt. Ihre Freunde waren nicht hier, also musste sie sich keine Ausrede einfallen lassen. Sie lief in den Wald, verwandelte sich und rannte zum See.
Der Regen peitschte in ihr Gesicht, doch das störte sie nicht. Kleine Wellen brachen am Ufer des großen Sees und um spühlten ihre Pfoten. "Und was nun?", fragte sie die körperlose Stimme.
"Nun können wir reden", und damit manifestierte sich vor ihr eine große Gestalt. Sie stand im See und starrte sie mit leuchtend gelben Augen an. Sie brauchte ein wenig, bis sie die Gestalt eines Wolfes ausmachen konnte. Er war riesig. Ungefähr so groß, wie das Schloss, wenn nicht noch größer.
Verdammt. Und das war nur der Teil der aus dem Wasser ragte. Das Wasser stand ihm bis zu den Knien, also kamen da noch gute sieben Meter Bein dazu.
Sein Fell war dunkelgrau, fast schon schwarz, was seine Augen nur noch mehr zum Glühen brachte.
Diese Augen fixierten sie und sie legte sich flach auf dem Boden, klammte den Schwanz zwischen die Beine und zeigte ihm ihre Kehle. Das war eine klassische Unterwerfung und der Riesenwolf nickte zufrieden.
"Gut, du weißt wenigstens, was sich gehört. Du darfst aufstehen."
Sie stand vorsichtig auf und schüttelte sich. Diese Haltung war nicht gerade die bequemste.
"So. Nun zurück zum Thema. Ich habe eine Aufgabe für dich und deine Freunde."Will beobachtete Selina durch das Geäst hindurch. Sie war vorhin einfach aufgestanden und aus dem Zelt gegangen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Avina hatte in der Zeit schon Schlaf gefunden und er wollte sie nicht wecken, da sie sowieso schon zu wenig Schlaf abbekommen hatte, nur weil ihre Freundin ein wenig laufen musste.
Er war ihr gefolgt. Nur um sicher zu gehen, dass ihr nichts passiert. Doch als sie sich verwandelt hatte und davon gerannt war, kam ihm das etwas merkwürdig vor.
Sie stand nun vor dem See und starrte zu irgendwas hinauf, das er nicht einmal sehen konnte. Dann hatte sie eine Unterwerfungshaltung angenommen und diese erst wieder nach einigen Sekunden abgelegt.
Er wurde stutzig. Sie unterwarf sich nie jemandem. Nicht einmal Nathaniels Vater.
Scheinbar war das, was sie sah, nicht so ungefährlich."Ich will, dass du nach Manuk gehst."
"Und wieso?"
"Dort wirst du die einzige Schriftrolle finden, die dein Freund nutzen kann, um sein Problem zu lösen."
"Welcher Freund? Und warum interessiert es dich, welche Probleme meine Freunde haben?"
"Dein Freund mit dem Phönix wird im Kampf gegen Daron unentbehrlich sein und dafür muss er erst sein Problem lösen um vollends bei Kräften zu sein.
In Manuk werdet ihr in der großen Bibliothek fündig werden."
"Was bist du?", fragte sie schließlich.
"Einer der letzten Gestaltwandlergötter." Er wurde wieder durchsichtig und verschwand schließlich ganz.Will riss die Augen auf, als er sah, wie Selina zusammenklappte und ins Wasser fiel. Er rannte aus seinem Versteck und zu Selina, die bewusstlos im Wasser lag. Er packte sie, zog sie aus dem See heraus und legte sie am Ufer ab. In dem Moment verwandelte sie sich in ihre Menschengestalt und er wickelte rasch seinen Umhang um sie. Es hatte endlich aufgehört zu regnen und die Sonne kam hinter den dunklen Wolken hervor und tauchte alles in ein goldenes Licht.
Er setzte sich dicht hinter Selina und bettete ihren Kopf auf seinen Schoß.
Nach einigen Minuten öffnete sie flatternd die Augen. Licht blendete sie und sie hielt die Hand schützend vor ihre Augen. Plötzlich bemerkte sie, wie sich etwas unter ihr bewegte.
"Na, du kleines Monster.", hörte sie ihre Lieblingsstimme sagen und sah nach oben. Wills Gesicht schwebte verkehrt herum über ihr.
"Wieso bin ich denn jetzt ein Monster?"
"Weil du aus dem Zelt gegangen bist, ohne ein Wort zu sagen. Und dann bist du ins Wasser gefallen und wärst ertrunken, wenn ich nicht hier gewesen wäre. Du bist ein Monster, weil du mich ständig erschrecken musst."
Sie schaute ihn erschrocken an und murmelte dann leise:
"Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich von Visionen und Göttern heimgesucht werde."
"Götter? Sagtest du gerade, dass du von Göttern heimgesucht wirst?"
"Jup. So wie es aussieht, werde ich von einem schlosshohen Wolf beobachtet und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was genau er von mir will. Er hat zwar gesagt, dass wir nach Manuk gehen sollen, um Nathaniels Problem lösen zu können, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er nur einen Teil von dem verrät, was er wirklich plant."
Sie sah an sich hinunter und bemerkte den Umhang, der um sie gewickelt war.
Oh nein, das durfte nicht wahr sein. Nicht schon wieder.
Sie setzte sich auf und achtete darauf, dass der Umhang nicht herunter rutschte. Das war so schon peinlich genug.
Er stellte sich hin und hielt ihr eine Hand hin.
Sie nahm sie und er zog sie hoch.
"Dreh dich bitte kurz um", bat sie Will, der versuchte ein Grinsen zu unterdrücken, aber kläglich daran scheiterte. Er drehte sich um und sie wickelte sich den Umhang fest um den Körper und vergewisserte sich, dass er nicht rutschen konnte.
Als das getan war, drehte sie sich wieder zu ihm um.
Er stand einige Meter entfernt und war nicht allein.
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Larwenia - Die Komplette Reihe
FantasyKurzbeschreibung: Avina wollte lediglich auf eine Schule für Magie doch dann wird ihre beste Freundin entführt und nicht nur das. Der Feindliche König des Nachtbarlandes Xadrien übernimmt die Herrschaft in Larwenia. Wie sollen die zwei Mädchen gege...