33.Kapitel. Lebende Tote

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Nathaniel spürte den Schmerz in seinen Arm und wollte ihn weg ziehen, doch er bewegte sich nicht. Er war gefesselt und ein quälender Schmerz pulsierte immer wieder durch seinen Körper.
"Konzentrier dich endlich! Du musst abschalten!", hörte er seinen Vater sagen, doch er sah nur Jacks widerwärtiges Grinsen.
"Ich kann nicht. Jetzt hört auf!", presste er zwischen den Zähnen hervor, während Jack erneut in seinen Arm schnitt.
Mit einem erstickten Schrei wachte er auf. Verflucht, auf die Erinnerung hätte er verzichten können. Abhärtung gegen Folter war gar nicht lustig. Er schob seinen Ärmel hoch und entdeckte die fast verschwundenen Narben. Er hoffte so sehr, dass Avina diese Qualen gerade nicht erleiden musste.
Seufzend schob er seinen Ärmel zurück und stand auf. Er würde sich heimlich davon machen.
So war zumindest der Plan, doch leider hatte sein leiser Schrei Selina und Will geweckt. Er hatte es gar nicht bemerkt, bis er zum Ausgang gekrochen war und Selina rief: "Wo willst du hin?"
Diese verfluchte Gestaltwandlerin!
"Du wolltest dich alleine weg schleichen. Vergiss es, ich komme mit."
"Ich auch.", sagte Will und Nathaniel seufzte.  "Du kannst nicht. Ohne Chris haben sie keinen Anführer. Du bist der Prinz. Es wird von dir erwartet, dass du die Truppen anführst."
William hasste ihn dafür, dass er Recht hatte. "Dann nimm zumindest Selina mit!"
Nathaniel setze zu einer Antwort an, doch Selina kam ihm zuvor und grinste.
"Ich lasse ihm gar keine Wahl und Amber nehmen wir auch mit."
Nathaniel seufzte. So hatte er das nicht geplant. Allerdings wusste er auch, dass die beiden ihn so oder so verfolgen würden, da konnte er sie auch gleich mitnehmen.
"Na schön, aber beeilt euch.", knurrte er
Er kroch aus dem Zelt und Selina hinterher. Amber schlief in Wolfgestalt davor, sie war wirklich ein Naturmensch.
Selina weckte die jüngere Wölfin und nahm selbst Wolfgestalt an.
Auch Will streckte den Kopf aus dem Zelt und sagte zu Nathaniel: "Nimm Kassiopeia, er ist das schnellste Pferd hier."
Nathaniel nickte dankend und lief zu den Pferden, während Selina Amber alles erklärte.
Als er dann samt Pferd zurück kam, liefen sie zusammen los.

Sie hatte Will gebeten auf Raphael aufzupassen, damit dem Jungen nichts geschah. Er schlief in dieser Nacht bei Flo und dessen Schwester, so konnte er ihre überstürzte Abreise nicht bemerken. Es fiel Selina schwer ihn hierzulassen, doch sie hatten keine andere Möglichkeit. Er hätte sie nur behindert. Amber hatte schnell einen Teil ihres großen Rudels involviert, damit sie mit ihnen ziehen konnten, der Rest sollte das Lager beschützen.
Ungefähr zehn junge, gesunde, starke Wölfe folgten ihnen. Sie liefen neben Kassiopeia, der inzwischen von Nathaniel zum Galopp getrieben wurde. Sie wusste, welche Befürchtungen er hatte. Sie hatte sie auch, aber sie würden trotzdem erst in zwei oder drei Tagen ankommen, wenn sie dieses Tempo beibehielten und zwischendurch nur kleine Pausen machen würden. Aber der Hengst würden die Ausdauer dafür nicht haben, also würden sie erst in vier Tagen dort sein. Das größte Hindernis war dieser Nebel. Dämonen würden sich darin tummeln, wie Fliegen auf einem Kadaver. Diese Vorstellung jagte ihr ein wenig Angst ein. Aber es nützte nichts. Sie mussten Avina da rausholen.
Die Sonne war inzwischen aufgegangen und zog ihre Bahn. Am Abend mussten die beiden Wölfinnen Nathaniel dazu überreden, eine Schlafpause einzulegen. Irgendwann gab er sich geschlagen und holte eine Decke aus der Satteltasche. Er breitete sie auf dem Boden aus und legte sich darauf.
"Amber, du übernimmst die zweite Wache. Ich übernehme die erste und besorge uns noch schnell einen kleinen Mitternachtssnack.", bestimmte Selina und Amber nickte. Würden sie Nathaniel eine überlassen wäre er sicher am morgen verschwunden.
Er wusste das sie es wusste und hatte sich inzwischen in die Decke eingewickelt und schlief. Amber legte sich ein Stückchen von ihm entfernt nieder. Selina schlich in den Wald und überließ ihren Wölfen für kurze Zeit die Verantwortung.
Alles was sie fand, war ein junger Rehbock, der ziemlich fett aussah. Um diese Jahrestzeit standen sie noch gut im Futter, aber sobald die Brunft begann, konnte man beobachten, wie sie immer weniger wurden. Doch das war ihr egal. Fressen blieb Fressen. Egal zu welcher Jahreszeit. Sie tötete ihn rasch und zog ihn in ihr jetziges Lager. Es war schwierig und dauerte länger, als sie erwartet hatte.
Schließlich hatte sie es geschafft, fraß sich satt und ließ dann ihre Wölfe fressen. Selbst sie schafften es nicht, den Rehbock aufzufressen. Also blieb noch genug für Amber und ein Frühstück übrig. Sie hielt sich den Rest ihrer Schicht wach und weckte dann Amber auf, damit sie fressen und sie ablösen konnte. Sie rollte sich an Nathaniels Rücken zusammen und ließ ihre Augen zufallen. Nur Sekunden später war sie eingeschlafen.
Amber hatte sich gerade satt gefressen, als sie eine Bewegung im Gebüsch wahrnahm, auch die anderen Wölfe starrten auf den Punkt, wo sich das Gebüsch zuletzt bewegt hatte. Es war ein paar Meter vom Lager entfernt, und doch zu nah falls jemand mit bösen Absichten darin versteckt hielt. Langsam traten sie näher an das Gebüsch heran. Urplötzlich griffen sie an und zogen einen Mann aus dem Gebüsch. Er wehrte sich nicht. Er ließ sich einfach aus dem Gebüsch ziehen, denn solange er sich nicht wehrte, knurrten die Wölfe auch nicht und somit bestand keine Gefahr von Selina oder Nathaniel, die immernoch schliefen. Er lag auf der Seite und hielt das Gesicht, das von einer Kaputze bedeckt war, auf den Boden gerichtet. Die Wölfe standen im Kreis um ihn herum und hielten ihn somit in dieser Position fest. Amber trat näher. "Wer bist du?", fragte sie mit leiser aber fester Stimme.
"Ein Freund, der helfen möchte."
"Wenn du ein Freund wärst, würdest du mir deinen Namen sagen." Sie kannte ihn schon. Das war der Mann, dem sie im Wald kurz nach dem Tristans Tod begegnet war.
"Ich werde dir meinen Namen nicht geben."
"Du bist mutig, dass du das sagst, während du von Wölfen umgeben bist, die nur darauf warten, dass ich ihnen den Befehl zum Töten gebe."
"Sollte das ein Kompliment sein? Wenn ja, dann bist du nicht sehr gut darin, Leuten zu schmeicheln."
"Ich will dir nicht schmeicheln. Ich will deinen Namen wissen und zwar den Richtigen und keinen Erfundenen."
Er brummte etwas Unverständliches.
"Wie bitte?"
Er brummte wieder.
"Tut mir leid, könntest du das nochmal wiederholen? Ich habe es nicht verstanden."
Er knurrte."Kyle. Mein Name ist Kyle und wenn du den den beiden da hinten verrätst, bin ich sowas von dran. Ich will euch helfen eure Freundin zu befreien. Ich weiß wie man durch den Nebel kommt."
Etwas in ihr schrie, Selina und Nathaniel aufzuwecken und den Typen zu verraten, aber sie hielt inne. Die Sache mit dem Nebel klang einleuchtend. Selina hatte ihnen vorhin ihre Befürchtung erzählt, dass es da drin von Dämonen nur so wimmeln würde. Sie befahl den Wölfen von ihm zurück zu gehen und das taten sie auch. Er stand auf und streckte sich. Sie sah viele Waffen an seiner Kleidung und viele davon waren versteckt. Mehrere Dolche und Messer hingen an seinem Gürtel. An der Seite hing ein langes Schwert, welches mit einem Edelstein besetzt war. Interessiert starrte sie darauf, wandte aber schnell den Blick ab, als er ihren Blick bemerkte.
"Ich werde euch folgen und mich möglichst im Schatten halten, damit sie mich nicht bemerken." Damit verschwand er wieder im Gebüsch. Eine Weile starrte sie noch auf die Stelle an der er verschwunden war, aber dann drehte sie sich um und ging zurück zu den anderen. Die restliche Nacht verlief ereignislos. Als die Sonne dann aufging und die beiden aufwachten, aßen sie schnell etwas und zogen weiter.
Einige Wölfe liefen immer voraus, denn sie waren etwas schneller und ausdauernder, als Nathaniels Pferd. Sie hielten Ausschau nach Gefahren, doch kehrten bisher immer ohne Meldungen zurück.
"Wir erreichen bald Sidian.", sagte Selina plötzlich und Nathaniel nickte. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zum Schloss.
"Wir sollten einen Bogen um die Stadt machen, die Brücken werden sicher bewacht."
"Aber wie sollen wir dann auf die andere Seite kommen?", fragte Selina und Nathaniel meinte: "Das sollten wir mit einem kleinen Zauber hinkriegen."
"Okay na dann."
Nathaniel trieb Kassiopeia zum Galopp an.
Auch die Wölfe liefen schneller und so kamen sie gegen Sonnenuntergang etwa einen Kilometer südlich von Sidian an.
Nathaniel sah sich kurz um und stieg dann vom Pferd. "Wir sollten die Nacht hier verbringen. Ich habe keine Lust, mich bei Dunkelheit durch Nebel voller Dämonen zu kämpfen. Außerdem sollte ich Kassiopeia morgen in die Stadt bringen. Ab hier nützt er mir nicht mehr viel und Avina tötet mich wenn ihn was passiert "
Selina nickte.  "Da hast du recht."
Amber zog sich ihre Kleidung aus dem Rucksack und verwandelte sich hinter einen Busch. Dann kam sie zurück und meinte: "Ich gehe Feuerholz suchen." Eigentlich hoffte sie, Kyle wieder zu treffen und lief in den Wald.
Nathaniel zündete solange mit ein paar Ästen vom Busch ein kleines Feuer an, während sich ein Teil der Wölfe auf die Jagd machten. Selina saß eine Weile da und starrte ins Feuer.
Plötzlich bebte der Boden unter ihr, als würde ein Riese darauf entlang stapfen und ein Bär preschte aus dem Unterholz. Er war doppelt so groß wie ein normaler Bär und hatte dämonentypische rote Augen. Das Riesenvieh blieb stehen und brüllte.
Die restlichen Wölfe ergriffen instinktiv die Flucht, während Selina panisch schrie:  "Wie sollen wir das Ding töten?!?"
Nathaniel schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, dass das möglich war und schrie: "Lauf!"
Damit rannte er auch selbst los Richtung Klippe.
"Wenn wir da rüber kommen, dürften wir ihn los werden!"
"Dann zauber schon deine Brücke!", brüllte sie und Nathaniel duckte sich unter einen Prankenhieb weg.  "Jaja, lass mich nachdenken!"
Er konnte schließlich keine stabiele Brücke zaubern, sonst könnte dieser Dämon hinterher.
Doch zum Nachdenken blieb ihm keine Zeit, denn sie waren nurnoch wenige Meter von der Schlucht entfernt.
Das Einzige, was ihm einfiel war, ein paar große Steine aus dem Fluss zu heben. Sie mussten darüber springen und das war eine ziemlich wacklige und glitschige Angelegenheit.
Erleichtert landeten die beiden auf der anderen Seite und Selina keuchte: "Verdammt, was besseres ist dir nicht eingefallen?"
Nathaniel wollte antworten, doch jemand kam ihm zuvor. "Er war nie ein großer Denker."
Die beiden drehten sich erschrocken um und dort stand Rose.
"Dir haben wir also diesen Dämonen zu verdanken."
"Klar, ihr habt ein paar getötet, da hab ich mir einen Neuen besorgt." Nathaniel fluchte innerlich. Das konnte doch nicht war sein.
Schnell rappelten Selina sich auf, doch Nathaniel wurde von dem Phanter zu Boden gerissen, während Rose auf Selina los ging. Rose hielt einen ziemlich langen Dolch in der Hand, welcher auch Selina einschüchterte. Sie wich ein wenig zurück und plötzlich preschte Rose vor. Selina, die nun zu nah an der Kante stand, verlor das Gleichgewicht. Sie rutschte mit den Hinterbeinen weg und versuchte noch, sich mit den Vorderbeinen irgendwo festzuhalten. Rose rammte ihr den Dolch in die Schulter, wodurch sie sich automatisch nach hinten bäumte und die Klippen hinunterfiel.
"Nein!"
Nathaniel schubste den Panther von sich herunter und hechtete zur Klippe. Er sah über den Rand, doch konnte Selinas Wolfsgestalt nirgendwo im Fluss entdecken. Rose nutzte den Moment in dem er abgelenkt war und schlug ihn den Knauf ihres Dolchs auf den Hinterkopf.
Er sackte bewusstlos zu Boden und Rose zog ihn auf den Rücken ihres Dämons und flog Richtung Schloß.

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