1.Kapitel. Avina

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Das Licht der Sonne blendete in Avinas Augen, als sie den Schlosshof überquerte. Es kam ihr vor als wäre ihr das Tageslicht seit langer Zeit hinter den dicken Mauern des Schlosses verborgen geblieben. Es war nicht so das sie nie nach drausen durfte doch immer nur mit Wachen und nie außerhalb der Sichtweite des Schlosses. Ihre Eltern waren einfach zu überfürsorglich, doch das würde sich heute ändern und deshalb kam ihr die Welt schlagartig heller vor.
Sie schlich sich in den Stall. Sofort schoss ihr der Geruch von Pferden in die Nase und das Wiehern war sicher sogar von draußen zu hören. Deshalb musste sie sich beeilen, eh der Stallbursche auf sie aufmerksam wurde und ihre Pläne zunichte machte. Wenn sie erwischt wurde würde es Wochen dauern eh sie einen neuen Versuch wagen konnte. Sie lief eilig nach hinten und öffnete die Box von Kassiopeia. Das schwarze Pferd ihres Bruders streckte ihr sofort seinen Kopf entgegen und blies ihr den warmen Atem aus seinen Nüstern entgegen. Avina legte ihm eine Hand auf die Nüstern und streichelte es. Ihre Eltern würden sicher ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wenn sie mit Williams Pferd aus dem Schloss ritt. Sie hatte sich bereits vor Sonnenaufgang von ihrem großen Bruder verabschiedet und er hatte ihr erlaubt, sein Pferd zu nehmen. Um genau zu sein, hatte er sogar darauf bestanden, dass sie es nimmt. Er meinte, auf dieses kann sie sich hundertprozentig verlassen und er wollte ja das seine Kleine heil an der Kristallakademy ankommt. Er war der Einzige, der verstand, warum sie dort hingehen wollte.
Avina legte Kassiopeia den Sattel und das Zaumzeug an und befestigte das wenige Gepäck, das sie hatte an den Satteltaschen. Dann stellte sie ihren linken Fuß in den Steigbügel und zog sich auf das Pferd. Es war ein wenig anstrengend, denn ihr Bruder war viel größer, als sie und Kassiopeia hatte eine dementsprechende Höhe, aber schließlich saß sie im Sattel und ritt aus dem Stall. Am Stalltor musste sie sich ducken, um nicht am Türbalken hängen zu bleiben, doch dann trieb sie das Pferd zum Galopp an und hielt direkt auf das Schlosstor zu. Nun wurden einige Wachen auf sie aufmerksam und zwei rannten ihr auch hinterher, als sie das Tor durchquerte. Doch alles was sie noch tun konnten, war ihr "Prinzessin! Halt! Ihr dürft nicht alleine aus dem Palast!" hinterher zu rufen. Avina ließ sich davon, jedoch nicht aufhalten. Zum ersten Mal fühlte sie sich frei. Schon ihr ganzes Leben wurde sie von ihren Eltern dazu angehalten, die perfekte Prinzessin zu werden. Aber sie war anders. Schon seit sie alt genug war um ein Schwert zu halten, konnte sie an nichts anderes denken, als an den Wunsch eine Kriegerin zu werden. Eine Heldin, wie aus den Büchern, die ihr ihr Bruder früher vorgelesen hatte. Aber ihre Eltern waren gar nicht davon begeistert. Natürlich nicht. Welche Prinzessin ritt schon in Hosen auf einem Pferd davon? Ihre Eltern würden sie suchen, aber William würde sie nicht verraten und dort wo sie hin wollte, würde sie sich nicht als Prinzessin Avina Armondia von Larwenien vorstellen, sondern als das, was sie immer sein wollte, ein ganz normales Mädchen. Sie würde eine tolle Schulzeit haben und dann vielleicht Ritter werden. Vielleicht würde sie irgendwann wieder zuhause vorbei schauen, sobald ihr Bruder König war. Aber das alles lag noch in weiter Ferne. Nun musste sie erstmal zur Akademie gelangen. Dazu musste sie die Schlucht bei Sidian überqueren oder den Fluss, der auch durch die Schlucht lief etwas weiter südlich. Doch genau zu diesem Fluss führte der Weg, der direkt vom Schloss zur Akademie führte. Dort würden sie sie vielleicht suchen. Also ritt sie quer durch den Wald. Zuerst zu ihrem Lieblingssee. Sie und Ihr Bruder waren früher oft darin schwimmen gewesen. Und dann weiter zur Obsidian Schlucht. Das Land ging hier bald in die Berge über und war früher wohl vulkanisch. In der Schlucht gab es nicht nur Obsidian, sondern unzählige Edelsteine und in Edelsteinen steckte bekanntlich Magie. Auf der Akademie würde sie noch lernen, wie sie ihnen diese entlockt, aber jetzt müsste sie erstmal auf die andere Seite. Es gab viele Wege. Ein paar Seile an denen man zu den unteren Terrassen rutschen konnte, die weit in die Schlucht hinein ragten und Hängebrücken für die die nicht ganz so mutig waren. Zuletzt gab es noch eine Gondel. Die wohl langsamste Möglichkeit war. Doch auch die Einzige die sie mit einem Pferd nutzen konnte. Avina ritt aus dem Wald hinaus und konnte die Stadt nun sehen. Wie sie sich vor ihr aus den Felsen streckte. Dort wo sie stand war früher ein Berg. Unzählige Generation hatten an ihm geschlagen und gemeiselt bis immer mehr Häuser aus dem Stein wuchsen. Große prachtvoll Gebäude mit unzähligen Säulen, aber auch kleine, einfache, zum Wohnen für die Allgemeinheit. Durch die ganze Stadt wand sich ein runder Pfad der langsam in ihre Mitte führte. Den höchsten Punkt der Stadt. An diesem stand eine Statue. Sie war riesig. So groß, dass Avina sie von der anderen Seite aus sehen konnte. Zumindest den Teil der über die Häuser hinaus ragte. Es war ein Mann mit langem Haar. Es lag locker zusammengebunden über seiner linken Schulter. Vor ihm steckte sein Schwert und sein Kopf war leicht geneigt. Dennoch hatte er auf dem Rücken zwei dicht angelegte Flügel. Sie wirkten auf den ersten blick fast wie ein Umhang. Und Avina wusste, in seiner linken Hand war ein Hammer und vor seinem rechten Fuß, knapp neben seinen Schwert lag ein Meißel.
Die Statue zeigte den Schutzgott dieser Stadt. Edel und stark, aber dennoch kniete er in Richtung der Berge. Verneigte sich vor ihrer Größe und den Wesen die darin lebten. Den letzten wirklich magischen Wesen Larwenias. Es gab hier und da im Land mal Nymphen und Dryaden aber die waren sehr menschlich. Die Drachen in den Berge waren etwas ganz anderes. Avina hatte noch nie einen gesehen. Doch sie kannte die Geschichten, so wie jedes Kind in Larwenia. Es gab auch welche von Gestaltwandlern. Sie stammten hauptsächlich von Jägern, die sich tief ins Gebirge gewagt hatten, um große Tiere zu erlegen. Aber es gab keine Beweise für die Existenz und deshalb glaubte Avina auch nicht an ihre Existenz. Jäger hatten, genau wie Seemänner ab und an mal einen zu viel getrunken und erzählten wilde Abenteuergeschichten. Es war dabei natürlich viel spannender, wenn sich der Bär plötzlich in einen Menschen verwandelte. Naja es waren Legenden, die gehörten zum Leben in einen Land mit so viel Wildland einfach dazu. Ob nun Wald, Steppe oder Gebirge, alle Orte hatten ihre eigenen Geschichten. Aber man musste sich eigentlich keine Sorgen machen, dass eine dieser Legenden gefährlich werden. Die größte Bedrohung in diesen Land waren die Dämonen die aus dem Nachbarland Xadrien einfielen. Doch die gab es nur im Südwesten, wo sich die Küsten gefährlich nahe kamen. Selten verirrte sich einer weiter ins Landesinnere. Zumal es dort genug Krieger gab, die extra dafür ausgebildet waren, sie zur Strecke zu bringen und das Land zu schützen. Dazu gab es die Akademie überhaupt. Um sie zu solchen Kriegern auszubilden. Avina konnte nicht verstehen, dass in ihrem Nachbarland schwarze Magie gestattet war. Sie brachte immer wieder solche unheimlichen Wesen hervor. Aber alle friedlichen Einigungsversuche waren fehlgeschlagen.
Endlich hatte sie die Gondel erreicht. Die Schlange war ihr endlos vorgekommen. Händler mit kleinen Karren und verschiedene Reiter warteten gleichermaßen darauf hinüber zu gelangen. Darunter auch einige Söldner. Weshalb Avina darauf achtete, niemanden direkt ins Gesicht zu sehen und die Kapuze ihres Umgangs tiefer zog.
Als sie endlich auf der anderen Seite ankam, ritt sie weiter durch die Stadt bis sie ein Gasthaus fand, in dem sie die Nacht verbringen konnte. Sie band ihr Pferd draußen an und fischte ein paar von den Silbermünzen aus ihrem Beutel noch eh sie hinein ging. Den großen Beutel wollte sie lieber nicht zeigen. Zumal sich nur Gold und Silber darin befanden. Im Palast hatte sie einfach keine Kupfermünze auftreiben können.
Sie war einfach froh, als sie endlich im Bett lag und sie niemand wegen ihren Münzen skeptisch angesehen hatte. Morgen würde sie noch vor Sonnenaufgang losreiten, damit sie die Akademie rechtzeitig erreichte.

Na wie hat euch das erste Kapitel gefallen?

Larwenia - Die Komplette ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt