38. Kapitel

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Die kommenden Tage vergehen wie im Flug.Wir erkunden gemeinsam die Umgebung, kochen zusammen und gehen jeden Tag an den Strand. Es ist einfach toll, so viel Zeit mit meinen besten Freunden zu verbringen, aber irgendwie habe ich dadurch weniger Zeit alleine mit Kenneth.
Zumindest kann ich ja in seinen Armen einschlafen und aufwachen. Ich glaube, an das Gefühl werde ich mich nie gewöhnen. Es ist so wunderschön. Ich fühle mich dort sicher und geborgen.
Ich drücke sanft einen Kuss auf Kenneths halb geöffnete Lippen. Seine Augenlider flattern ein wenig und er bewegt sich unter der dünnen Decke. Dann gähnt er verschlafen und öffnet langsam seine leuchtend blauen Augen.
„Na“, hauche ich gegen seine Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen. 
Gerade in dem Moment, als mein Freund sich aufsetzt und mich in seinen Schoß zieht, wird die Tür mit einem Knall aufgeschlagen und Anders ruft fröhlich auf Deutsch: „Morgenstund hat Gold im Ohr!“ Dann fügt er wieder auf seiner Muttersprache noch hinzu: „Oder so. Hat Lucas gesagt. Jedenfalls meint Lars, dass ihr aufstehen sollt.“
Lucas taucht lachend hinter dem Norweger im Türrahmen auf und wuschelt diesem durch die ohnehin schon unordentlichen, blonden Haare, während mein Elf seufzend sein Gesicht in meinen Haaren vergräbt.
Aber es nützt ja nichts, wir müssen aufstehen. Schließlich haben wir heute viel vor und wollen eigentlich noch vor Sonnenaufgang aufbrechen. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie sich der Himmel am Horizont schon ganz leicht erhellt.
Unten in der Küche steht Lars, nur in Boxershorts und Küchenschürze bekleidet, und bereitet das Picknick vor.
„Ein Anblick für die Götter“, murmelt Anders und Lucas sieht ihn fragend an, da er kein Wort verstanden hat. Daraufhin wird das Küken rot und meint: „War nicht so wichtig.“ 
Lucas ist davon jedoch nicht so ganz überzeugt, gerade weil Lars sich umdreht und Anders zuzwinkert und Danny versucht, sein Lachen zu verstecken.
Mein bester Freund dreht sich daraufhin mit gerunzelter Stirn zu mir, aber ich zucke nur mit den Schultern und stelle mich zu Lars, um ihm beim Obst schneiden zu helfen. 
Der Physiotherapeut wirft mir einen kurzen Blick zu und gibt mir dann einen kleinen Schubs mit der Hüfte, was ich erwidere. Ich sehe kurz über die Schulter, um sicherzugehen, dass Lucas wieder lächelt.
Und tatsächlich scheint er schon alles vergessen zu haben und bietet auch seine Hilfe an, aber Lars ist schon dabei, das Essen in die Rucksäcke zu packen. 
Dann verschwindet er in sein Zimmer und kommt einen winzigen Augenblick fertig angezogen zurück, sodass wir uns auf den Weg machen können.
Wir haben uns für eine Route entschieden, die erst ein Stück an der Küste entlang verläuft und dann durch die Hügel zurück zu unserem Haus führt.
Da Kenneth sich leise und angeregt mit Danny unterhält sobald wir loslaufen, schnappe ich mir den kleinen Weltrekordhalter und sorge dafür, dass wir außer Hörweite der anderen sind. 
Er scheint das mitzukriegen und spielt immer unruhiger mit den Ärmeln seiner dünnen Jacke, während sich auf seinen Wangen immer stärker die rötlichen Flecken formen, wie immer, wenn er aufgeregt ist.
„Was läuft da mit Lars?“, frage ich zuerst und grinse ihn neckend an. Der Norweger neben mir bleibt abrupt stehen und schaut mich total entgeistert an. „Was…ich…Lars?“, stottert er, „Aber…gar nicht wahr!“
Ich lache leise, streiche über seine geröteten Wangen und zwinkere ihm zu. Daraufhin schmollt Anders und schaut mich irritiert an. „Aber es stimmt wirklich nicht“, sagt er dann ehrlich und ich nicke: „Ich weiß.“
Der Blick des Norwegers ist daraufhin noch verwirrter. „Naja, wenn ich gleich mit Lucas angefangen hätte…“ 
Anders unterbricht mich mit einem Seufzer: „Mit Lucas läuft auch nichts.“ Er wirkt fast niedergeschlagen und die Röte, die bei Lucas‘ Namen seine Wangen zum Glühen gebracht hat, verschwindet.
„Aber du hättest es gerne“, führe ich seinen Satz fort und zu meiner Überraschung nickt das Küken ehrlich. 
„Du…hast das also akzeptiert?“, frage ich vorsichtig nach und Anders schaut auf.
„Nein. Doch. Keine Ahnung! Er ist so…ich weiß auch nicht, ich kenn ihn ja nicht mal wirklich. Aber er ist so anders als alle aus dem Team und sonst so. Wir verstehen uns gut und er ist ein echt guter Freund. Was anderes hätte ich von dir auch nicht erwartet. Aber er ist nicht so wie Kenny oder Danny, und auch nicht so wie Lars. Ich mag es, neben ihm im Bett zu liegen und ich…verdammt, ich weiß es doch selbst nicht, wieso stellst du mir so eine bescheuerte Frage?“
Er schluchzt kurz auf, beißt sich dann auf die Lippe und fährt sich mit der Hand durch die Haare. Ich nehme ihn schnell in die Arme und bin erleichtert, als er mich nicht wegstößt.
Zunächst streiche ich ihm nur sanft über den Rücken, der sich mit seinem hektischen Atem bewegt, doch dann frage ich: „Und jetzt hast du Angst, mit ihm darüber zu reden, gerade weil du selbst nicht weißt, was du willst?“
Ich spüre Anders‘ Nicken an meiner Schulter und drücke ihn fester an mich, als er sagt: „Er würde das sowieso nie erwidern.“
„Lucas würde niemals schlecht über dich denken, okay? Er ist die offenste Person, die ich kenne, was sowas angeht“, flüstere ich, als ich sehe, wie die anderen gerade um eine Kurve kommen, „Ich bin mir nicht sicher, was er fühlt, aber wenn du deine Entscheidung getroffen hast, dann sag es ihm einfach, ja?“
Anders zögert, aber dann nickt er erneut. „Versprochen.“
Mittlerweile haben die anderen zu uns aufgeschlossen und während Kenneth mir zulächelt und das Küken in meinen Armen ignoriert, zieht Lars die Augenbrauen suggestiv hoch, als er uns erblickt, und Lucas wirft mir einen bösen Blick zu. Finger weg von seinem Anders oder was?
Ich grinse in mich hinein, lasse Anders los und sofort ist Lucas an seiner Seite und die beiden setzen sich auf einen Felsen, um die gerade aufgehende Sonne anzuschauen. Ich kann es mir einfach nicht verkneifen, ein Bild von den beiden zu machen, die durch das Gegenlicht zu Silhouetten werden.
Dann gehe ich endlich hinüber zu meinem Freund und lege meine Hände auf seinen Bauch. Ohne dass ich etwas sagen müsste, weiß er sofort, was ich will, und lehnt sich zu mir. Seine weichen Lippen streichen über meine und alles um uns herum verschwindet für den Augenblick.
Ich lehne meine Stirn gegen Kenneths Schulter und lasse zu, dass er mich enger an seinen Körper zieht. Dann drehe ich den Kopf und sehe, wie die zartrosafarbenen Streifen über den Hügeln langsam verblassen, während die Sonne aufgeht. Ihr Licht spiegelt sich in den Augen meines Lieblingsnorwegers, was sie nur noch mehr zum Leuchten bringt.
Er drückt einen leichten Kuss gegen meine Schläfe und flüstert dann: „Ich liebe dich.“
„Nicht so sehr, wie ich dich liebe“, erwidere ich leise und hindere meinen Freund mit einem Kuss daran, mir zu widersprechen.
Sobald die Sonne wirklich aufgegangen ist, gehen wir weiter. Danny stiehlt mir Kenneth schon wieder, weshalb ich still neben Lars dem Weg durch die Hügel folge.
Nach einer Weile bricht er die Stille und fragt: „Hast du über Alex‘ Vorschlag nachgedacht?“
Seine Frage trifft mich total unvorbereitet. Natürlich sind mir die Worte des Cheftrainers immer wieder durch den Kopf gegangen. Sein Angebot ist mehr als verlockend. Ich könnte das Team einen Großteil der Saison begleiten und gleichzeitig studieren, wobei mich der Verband unterstützen würde, wenn ich ein Studienfach wähle, das einen Bezug zu meinem Job hat.
Aber genau da liegt das Problem. Raumfahrttechnik ist nun mal so gar nichts, was ein Trainer brauchen könnte, auch wenn es viele Parallelen zwischen unserem Sport und der Wissenschaft gibt. Und Raumfahrttechnik ist bisher so ziemlich der einzige Studiengang gewesen, für den ich mich wirklich interessiert habe.
„Woran zweifelst du?“, fragt Lars und legt seine Hand auf meine Hüfte, was mich dazu zwingt, stehenzubleiben.Ich schüttele langsam den Kopf und erwidere: „Es ist ein tolles Angebot. Ich würde nichts lieber tun, als mit dem Team reisen zu können und bei Kenneth zu sein und gleichzeitig zu studieren…“
„Und du weißt nicht, was du studieren willst“, vervollständigt der Physiotherapeut meinen Satz. 
Er überlegt einen Augenblick und wir gehen weiter, als er sagt: „Wenn man davon mal absieht…du tust dem Team unglaublich gut. Jeder hat ein lockeres, freundschaftliches Verhältnis zu dir, was das Training so erfolgreich macht. Du passt perfekt in die Mannschaft. Ich sag das nicht zu jedem, das weißt du. Und Anders hätte auch nichts dagegen, wenn du Lucas öfter mal mitbringen würdest.“
Ich grinse ihn an. War ja klar, dass Lars mit seiner unglaublichen Menschenkenntnis sofort mitkriegen würde, wie es Anders geht.
Dann denke ich über seine vorhergegangenen Worte nach. Wenn Lars sagt, dass jemand gut ist, dann ist das praktisch schon ein Ritterschlag. Und ich glaube gern daran, dass ich dem Team wirklich so sehr helfe.
Lars wartet ab, bis ich zu ihm schaue, und fährt dann fort: „Die Bedingung für das Studium ist, dass es dem Verband weiterhilft. Da kommt jetzt nicht so viel in Frage und du scheinst mir nicht der Typ für Wirtschaft oder sowas.“
Lachend stimme ich ihm zu. Ein Schreibtischjob ist so ziemlich das schlimmste, was ich mir vorstellen könnte. Und als Trainerin habe ich da erstmal auch nicht so viel davon, wie Clas beispielsweise.
„Hast du mal darüber nachgedacht, Medizin zu studieren?“
Ich sehe den Norweger erstaunt an. „Du meinst jetzt nicht, dass ich meine Neurochirurgie an Danny austesten soll, oder?“
„Wenn es gegen die Slippers hilft, ist mir jeder Weg recht“, lacht Lars, wird dann aber gleich wieder ernst, „Nein, das meinte ich nicht. Aber Sportmedizin erfüllt die Anforderungen und deine Praxissemester kannst du bei mir machen, dann bist du immer noch beim Team.“
Ich brauche keine zwei Sekunden, um mir das alles durch den Kopf gehen zu lassen. Ich könnte Kenneth mit den Nachwirkungen seiner Verletzungen helfen. Ich würde die Bedingungen einhalten. Ich könnte meinen Traum leben.
„Ist das dein Ernst?“, frage ich vorsichtig nach und als Lars nickt, falle ich ihm stürmisch um den Hals.
„Danke, danke, danke“, murmele ich, „Du hast gerade das größte Problem in meinem Leben gelöst. Danke. Du bist der beste.“
Lars grinst nur und meint, dass ich das lieber nicht in der Anwesenheit meines Freundes sagen sollte, aber ich merke, dass er irgendwie auch gerührt ist.
Endlich weiß ich, wie meine Zukunft aussehen soll. Ich verspreche Lars, dass ich Alex anrufen werde, sobald wir aus Italien zurück sind.
Wir holen schnell die anderen ein und machen unser Picknick. Während Kenneth mich mit Trauben füttert, die er Danny weggenommen hat, damit dieser nicht damit nach Anders wirft, bin ich hin und hergerissen, ob ich ihm von meinem Gespräch mit Lars erzählen soll.
Dann überlege ich aber, dass es keinen Sinn macht, ihm jetzt Hoffnungen zu machen, die je nach Alex‘ und Clas‘ Meinung enttäuscht werden könnte. Und wir fliegen ja sowieso in ein paar Tagen zurück, wo ich es klären werde.
Bis dahin genieße ich einfach die Zeit mit meinem Elfen und meinen besten Freunden, egal welche Hindernisse die Zukunft auch bringen mag.

Mein fliegender Held Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt