12. Kapitel

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Vor dem Beginn des Wettkampfes habe ich keine Zeit, nochmal mit Kenneth zu reden. Er muss einige Trockenübungen machen, während ich mir mit Alex die Windbedingungen anschaue und dann auf den Trainerturm gehe.
Da Norwegen in der Gesamtwertung führt, kommen unsere Springer in jeder Runde als letzte dran. Anders springt als erstes und legt einen perfekten Sprung hin. Alex und ich freuen uns total, denn jetzt liegen wir schonmal vorne.
Danny ist unser nächster Springer und er segelt noch weiter nach unten. Auch Johann gelingt ein ähnlich weiter Sprung, dann kommt auch schon Kenneth. Bis jetzt hat Danny den weitesten Sprung gezeigt, aber kann Kenneth die Weite übertreffen, oder verkorkst er den Sprung so, wie gestern im Training? Ich winke ihm zu und drücke ihm die Daumen.
Es stellt sich heraus, dass meine Sorgen völlig unbegründet waren. Kenneth gleitet den Hang hinab, hat eine gute Höhe und landet schließlich kurz vor der momentanen Bestweite von Peter. Ich hüpfe fröhlich auf und ab und Alex hält mir die Hand zum High Five hin. Besser könnte es ja gar nicht laufen!
Nach einer winzigen Pause beginnt der zweite Durchgang. Unser Team führt und kann den Vorsprung stetig ausbauen. Als Kenneth auf dem Balken sitzt, muss er den Sprung eigentlich nur noch sicher herunterbringen. Er lächelt uns zu, ist aber natürlich voll konzentriert und stößt sich ab, sobald Alex das Zeichen gibt.
Kenneth wäre nicht Kenneth, wenn er nicht zu jedem Zeitpunkt wirklich alles aus sich herausholen würde und genau das tut er auch jetzt. Er überfliegt seine bisherige Bestweite und landet sauber. Unten im Auslauf warten schon die anderen und umarmen ihn stürmisch.
Alex sieht mir wohl an, dass ich am liebsten dort unten bei den Jungs wäre, denn er stupst mich an und meint: "Na los jetzt, geh schon!"
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und sause den Berg hinunter. Anders steht mit dem Rücken zu mir, also kann ich ihn prima erschrecken. Der kleine Norweger zuckt zusammen, umarmt mich dann aber stürmisch, lacht und quietscht: "Wir haben gewonnen! Gewonnen, gewonnen!"
Tom, der plötzlich irgendwoher aufgetaucht ist, ruft begeistert 'Gruppenkuscheln!' und stürzt sich auf uns.
Die anderen machen mit, nur mein Lieblingsnorweger legt nur ganz schüchtern und zaghaft seine Arme um meine Taille. Der Gedanke, dass Kenneth sich immer noch riesige Vorwürfe macht, dämpft meine Freude etwas, aber er lächelt mir zu und ich kann gar nicht anders, als ihm auch zuzulächeln.
"Ich bin so stolz, ihr seid meine Helden!", sage ich und umarme jeden nochmal einzeln.
Kurz darauf müssen die vier aber schon los zur Siegerehrung. Tom hüpft aufgeregt neben mir her und fotografiert immer wieder Joachim und Andreas für Snapchat. Die beiden stehen ihm dabei aber in nichts nach, während ich mich darauf beschränke, die Siegerehrung zu filmen.
Der einzige, der sich vielleicht noch ein wenig mehr über den Sieg freut als ich, ist Tom, denn er ist gar nicht mehr zu halten. Er fällt jedem um den Hals, jubelt, hüpft herum und schwärmt total von den Sprüngen. Also noch mehr, als er das sowieso schon immer tut.
Danny springt als erster wieder vom Podium herunter und läuft auf uns zu, dann kommt Kenneth. "Schau mal, Sonnenblumen", sagt er und zeigt mir den Blumenstrauß, "Das sind meine Lieblingsblumen, sie erinnern mich an dich."
Wir beide werden rot und er schaut schnell weg. Danny grinst und meint: "Aww, Turteltäubchen."
Im Gegensatz zu sonst, wo Kenneth immer darübe rgelacht hat, schaut er Danny jetzt nur ausdruckslos an. Was ist denn jetzt los? Ich muss ihn unbedingt darauf ansprechen. Hoffentlich finden wir bald einen ruhigen Augenblick zum Reden, ich bin schon ganz nervös!
Zurück am Hotel will ich Kenneth zu unserem Zimmer ziehen, aber Alex ruft: "Kenneth, kommst du bitte noch zu mir? Ich möchte die Analyse machen." Na toll, das kann eine ganze Weile dauern.
"Prinzessin", spricht Danny mich an, "Morgen ist ja Afterparty...und ich hab nichts zum Anziehen für die Party...gehst du mit mir shoppen, bitte?" Er schaut mich mit großen, bettelnden Augen an und ich nicke, schließlich ist Kenneth ja gerade beschäftigt und ich kann gar nicht mit ihm reden.
Auf dem Weg in die Stadt fällt Danny auf, dass ich auch nichts zum Anziehen habe und beschließt - alle Widerreden missachtend - dass wir uns gegenseitig die Outfits aussuchen werden.
Dannys Outfit habe ich schnell gefunden. Ich entscheide mich für enge, schwarze Hosen, ein weißes Hemd, einen roten Pullover und elegante Schuhe. Er betrachtet sich im Spiegel und scheint zufrieden. Dann drückt er mir einen Kuss auf die Wange und meint: "Perfekt, danke!"
Als ich sehe, welche Kleider er mir zur Auswahl gestellt hat, bin ich kurz vorm Verzweifeln. Sie sind alle super kurz und glitzern. Eins ist sogar golden und komplett mit Pailletten bestickt. Das ziehe ich garantiert nicht an!
"Muss das sein?", frage ich ihn verzweifelt, aber Danny ist gnadenlos.
Zuerst probiere ich ein schwarzes Kleid an, doch glücklicherweise stimmt Danny mir zu, dass es viel zu kurz ist. Als nächstes folgt ein rotes, glitzerndes Kleid und ich bin echt froh, dass Danny sagt: "Das passt überhaupt nicht zu dir."
Endlich bleiben nur ein paar Kleider und ich probiere das nächste an. Oben liegt es eng an, ist rückenfrei und ist mit hellen Steinen besetzt. Es hat einen ausgestellten, blauen Rock.
Als ich aus der Umkleide komme, strahlt Danny mich an und meint: "Das ist es! Kenny wird es lieben!"
Auf dem Weg zur Kasse entdeckt Danny eine echt schöne Krawatte, aber er legt sie enttäuscht weg, als er das Preisschild sieht.
Während der blonde Norweger darauf besteht, mein Kleid und die Schuhe zu bezahlen, schleiche ich mich weg und kaufe heimlich die Krawatte für ihn. Schließlich hat er morgen Geburtstag.
Kurz vor dem Hotel nimmt er mir meine Tüte ab. "Das soll doch eine Überraschung werden. Und Kenny ist garantiert zu neugierig und schaut es sich an."
Ich stimme Danny zu und er verschwindet mit meinen Sachen auf seinem Zimmer.
Als ich an unsere Zimmertür klopfe, wird sie sofort aufgerissen und ein total besorgter Kenneth schließt mich fest in seine Arme.
"Liebes, wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht!"
Ich ohrfeige mich mental, ich hätte ihm schreiben sollen! Woher sollte er denn wissen, wo ich bin? Natürlich macht er sich sonst Sorgen!
"Tut mir leid, dass ich dir nicht geschrieben habe", meine ich betreten, "Ich bin mit Danny einkaufen gewesen."
Sofort verfinstert sich Kenneths Miene. Jetzt reicht es mir aber! Ich schiebe ihn in unser Zimmer, bis er auf das Bett fällt und setze mich auf seine Beine.
"Du erzählst mir jetzt, was los ist! So kann das doch nicht weitergehen!"
Meine Aggressivität bringt Kenneth nur zum Grinsen, aber dann setzt er sich auf und zieht mich in seine Arme. Er drückt meine Hand sanft. Bevor er mit seiner Erklärung beginnt, bittet er mich: "Liebes, versprich mir, dass du nicht lachst!" Ich verspreche es ihm und bin jetzt umso neugieriger. Was könnte sein Problem sein, dass er mich um so etwas bittet?
"Ich bin eifersüchtig auf Danny und Anders. Ich will deine Aufmerksamkeit haben, und zwar immer. Wenn du etwas mit den beiden machst, dann vergisst du mich. Dabei will ich doch derjenige sein, der dich zum Lachen bringt. Wenn ich könnte, würde ich dich hier einsperren, niemanden an dich ranlassen und immer mit dir kuscheln. Jetzt denkst du bestimmt, dass ich durchgeknallt bin. Ich weiß doch auch nicht, was los ist!"
Kenneth versteckt sein Gesicht in meinen Haaren und schluchzt leise. Ich muss das erstmal alles realisieren. Er ist so verzweifelt, nur weil er eifersüchtig ist? Weil er meine ungeteilte Aufmerksamkeit haben will? Und mich nicht teilen will?
Wie süß kann man nur sein? Er ist süßer als Zucker!
"Es tut mir so leid!", schluchzt Kenneth und weint stärker. Hat er mein Schweigen etwa als Ablehnung gedeutet? Ich streiche beruhigend über seinen Oberkörper.
"Liebling, du bist so süß. Nicht weinen, bitte. Aber du bist auch ein kleiner Spinner. Mein kleiner Spinner. Wie kommst du bloß auf solche Gedanken? Du hast immer meine Aufmerksamkeit, hörst du? Und sonst keiner. Auch wenn ich was mit Danny oder Anders mache. Du bist immer am wichtigsten. Ich hab dich so lieb."
Kenneth hat sich beruhigt und schaut mich erwartungsvoll und ungläubig an. "Du bist nicht sauer? Oder enttäuscht? Aber ich will dir praktisch deine Freunde wegnehmen! Und ich weiß nicht mal, wieso!"
Ich fahre sanft mit meinen Fingern durch seine Haare und küsse seine Stirn. "Wieso sollte ich denn entsetzt sein, mein Liebling? Es zeigt doch nur, wie wichtig ich dir bin. Und du bist mir genauso wichtig. Egal was ich mit den anderen mache, wenn du mich brauchst, bin ich immer da, okay? Ich hab dich lieb."
"Ich hab dich auch lieb", sagt Kenneth leise und kuschelt sich dann ganz nah an mich.

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Helens Kleid seht ihr oben, ihr müsst es euch nur kürzer vorstellen. :)

Mein fliegender Held Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt