39. Kapitel

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„Liebes“, flüstert Kenneth in mein Ohr und drückt mich fest an sich, „Was machst du denn hier?“
Er nimmt mir meine Tasche ab und zieht mich mit sich in seine Wohnung. Es ist das erste Mal, dass ich hier bin, und dann auch noch ohne Ankündigung.
„Sorry, dass das alles nicht so aufgeräumt ist“, grinst mein Freund verlegen. Ich schaue auf sein helles Shirt, unter dem sich sein muskulöser Rücken abzeichnet. Dann dreht er sich zu mir und wiederholt seine Frage.
Ich gehe einige Schritte auf ihn zu und lege meine Hände auf seinen Bauch, während ich die geschmackvolle Einrichtung bewundere. Es passt alles so perfekt zu Kenneth. Dann fällt mir seine unbeantwortete Frage wieder ein und ich flüstere: „Ich hab dich einfach vermisst. Oh, und Clas will, dass ich den Vertrag unterschreibe.“
Mein Lieblingsnorweger schmollt und meint: „Welchen Vertrag? Wieso weiß ich von nichts?“ Er legt seinen Kopf schief und wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Es tut mir Leid, dass ich dir nicht früher davon erzählt habe, Liebling“, sage ich ehrlich, „Ich wollte einfach nicht, dass ich dir irgendwelche Hoffnungen mache, bevor alles geklärt ist. Und Clas hat erst am Montag angerufen, um zu sagen, dass er den Vertrag fertig hat. Den muss ich ja sowieso mit ihm durchgehen, also dachte ich, dass ich dich besuchen kann und dir persönlich sagen kann, dass du in Zukunft von mir gequält wirst, als Trainerin und als Lars‘ Assistentin.“
Kenneths Augen sind während meiner Entschuldigung immer größer geworden. Sein Schmollen hat sich in ein riesiges Lächeln verwandelt und ehe ich mich versehe, hat er mich schon hochgehoben und wirbelt mich um sich herum durch die Luft.
„Habe ich das gerade richtig verstanden?“, hakt er nochmal nach, „Du hast Alex‘ Vorschlag zugestimmt? Heißt das, du studierst Medizin?“
Ich nicke verlegen und mein Freund drückt einen Kuss auf meine Stirn. „Ich bin stolz auf dich. Und ich hab so gehofft, dass du dich so entscheidest, aber ich wollte dich da nicht reinreden“, gibt er zu und ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihn küssen zu können.
„Du sollst trotzdem keine Geheimnisse vor mir haben“, quengelt er und piekst mich in den Bauch. Ich schnappe mir seine Hände und verspreche: „Das war nicht meine Absicht, bitte glaub mir. Ich wollte nur wirklich nicht, dass du dich freust und dann nichts daraus wird.“
Kenneth lächelt sanft und küsst mich erneut. Dann schaut er auf seine Uhr und seufzt.
„Was ist denn los?“, erkundige ich mich und mein Freund verdreht die Augen. „Wir haben in einer halben Stunde Training, gerade heute, wo du da bist.“
Seine Hände liegen an meiner Taille, während er leicht seine Nase gegen meinen Kopf bewegt. Das habe ich so vermisst, einfach bei ihm zu sein und seine Nähe zu spüren. Dann kribbelt mein ganzer Körper und ich werde gleichzeitig aber auch ganz ruhig, weil mein Freund so viel Sicherheit ausstrahlt.
„Ich weiß, das hat Alex mir gesagt. Und es trifft sich ziemlich gut. Bei Clas muss ich nämlich in zwei Stunden sein“, erzähle ich ihm leise und zeichne gleichzeitig die Konturen seiner Bauchmuskeln nach.
„Na dann“, seufzt Kenneth und lässt mich los, „Dann sollten wir uns mal umziehen.“Er schlägt leicht gegen meinen Po, als ich vor ihm in die Richtung seiner offenen Schlafzimmertür gehe, und ich drehe mich um, damit ich ihn böse anschauen kann. Er läuft zwar ganz leicht rot an, grinst aber nur und zwinkert mir zu.
Schnell werde ich die Jogginghose und den weiten Pulli von meinem Freund los, die ich für den Flug angehabt habe, und tausche sie gegen eine dunkelblaue Jeans und ein weißes Shirt, was dem Anlass etwas mehr entspricht.
„Du ziehst nichts Formelles an?“, wundert Kenneth sich, als er sich fürs Training umgezogen hat. Ich schaue ihn zweifelnd an und frage: „Glaubst du, dass Clas das erwartet? Er hat mich doch immer nur in Teamsachen gesehen und das wird sich nicht ändern. Ich bin Trainerin, allenfalls irgendwann mal Ärztin, und keine Pressesprecherin.“
Mein Freund grinst, küsst meine Wange und ergänzt: „Und dafür liebe ich dich.“
Hand in Hand verlassen wir seine Wohnung, nachdem ich mir meine Lederjacke übergezogen habe, worauf Kenneth mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Grinsen reagiert hat.
„Du siehst schön aus, wie immer“, zwinkert er mir zu und öffnet die Autotür für mich, „Und die Lederjacke sieht heiß aus mit deinen Haaren.“ Das letzte hat er nur gemurmelt, während er die Tür geschlossen hat, aber ich habe ihn trotzdem gehört und laufe rot an, womit er mich aufzieht, sobald er neben mir sitzt.
Fast alle Teammitglieder sind schon versammelt, als wir am Stützpunkt der Nationalmannschaft ankommen. Dannys gerufene Entschuldigung für seine Verspätung geht direkt darin über, dass er begeistert meinen Namen ruft.
Alex grinst und begrüßt mich mit einer Umarmung. „Du machst mir noch meine Position streitig, so beliebt, wie du bei den Jungs bist“, scherzt er und ich gehe darauf ein: „Ich muss nur noch Clas erinnern, dass das in den Vertrag mit aufgenommen wird.“
Jetzt blicke ich in eine Runde von verwunderten Gesichtern. Schließlich habe ich nicht nur meinem Freund, sondern dem ganzen Team kein Wort von der ganzen Sache verraten. Nur Lars weiß natürlich Bescheid, aber er hatte eben auch die Idee.
Schnell erklärt Alex die Lage, um die Aufmerksamkeit von mir wegzulenken, weil er merkt, dass es mir unangenehm ist. Anders ist der erste, der mich mit seiner Umarmung zu Boden wirft, woraufhin sich das ganze Team auf uns fallen lässt.
Nur Kenneth legt Alex einen Arm um die Schultern und grinst: „Ich hab dich trotzdem lieb, Alex. Du quälst uns nicht so, wie sie.“ Um ihm das Gegenteil zu beweisen, ordnet der Cheftrainer fröhlich als erstes einen 5-km-Lauf zum Aufwärmen an.
Anschließend beschreibt er mir den Weg zu Lars‘ Büro und meint: „Ich hab dich ja gern bei mir, aber die Jungs passen nicht auf, wenn du nur zu Besuch da bist.“
Ich lache, erzähle Alex lieber nicht, dass Lucas später kommt, weil er mit mir geflogen ist, und mache mich auf den Weg zu meinem anderen zukünftigen Chef. Ich klopfe an seine Tür, bevor ich eintrete und die Tür hinter mir schließe. Dann erst schaue ich auf, um zu sehen, dass Lars nicht alleine ist, sondern ein dunkelblonder Mann oberkörperfrei auf dem Bauch auf der Liege vor ihm liegt.
Lars dreht sich zu mir und der Mann setzt sich auf und ich sehe…nochmal Lars? Dann fällt es mir wieder ein und ich halte Lars‘ Zwilling lächelnd die Hand hin: „Du musst Anders sein, hei.“
Grinsend schüttelt er mir die Hand und scheint zu wissen, wer ich bin.
„Ich wollte gar nicht stören“, entschuldige ich mich, aber die beiden winken synchron ab. Das ist echt gruselig, nicht mal unser kleiner Anders und sein Zwilling schaffen das. Andererseits sehen die beiden sich auch nicht so ähnlich, wie die Haugvad-Zwillinge.
Lars‘ Augen blitzen plötzlich auf und er drückt seinen Bruder zurück auf die Liege, während er mich zu sich winkt und meint: „Wenn du schon einmal hier bist, kann ich dir auch gleich was zeigen. Anders ist gerne mein Opfer, er hat nämlich gar keine Schmerzen, sondern will nur massiert werden.“
Der andere widerspricht gar nicht erst, sondern nickt grinsend und zwinkert mir zu, als Lars mir erklärt, wie ich mit meinen Händen über seinen Rücken streichen muss, um eine Verspannung zu ertasten. Dann zeigt er mir verschiedene Techniken, um eine Verspannung zu lockern, und Anders findet immer neue Stellen, an denen er angeblich verspannt ist.
Irgendwann klopfe ich ihm lachend auf den Rücken und sage: „Jetzt ist auch mal gut, sonst komm ich noch zu spät zu Clas.“ Der Zwilling zuckt nur mit den Schultern und dreht sich schmollend zu Lars, der ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf gibt und sich beschwert: „Du massierst mich nie, also kannst du das gerade vergessen.“
Dann bietet er mir an, mich zu Clas zu bringen, was ich dankend annehme, da ich mich in dem Gebäude gar nicht auskenne.
„Du hast keine Berührungsängste, und zwar nicht nur bei den Athleten“, lobt Lars mich auf dem Weg und lächelt, „Das ist wirklich gut.“ Ich spüre, wie ich rot werde, und murmele ein leises Danke.
Dann stehen wir auch schon vor Clas‘ Sekretärin, die uns in sein Büro durchwinkt. Lars verabschiedet sich und ich gehe alleine hinein.
Der Sportchef steht direkt auf und sagt: „Helen, schön, dass du da bist. Setz dich doch.“
Ich begrüße ihn ebenfalls, bevor wir dazu übergehen, den Vertrag im Detail durchzusprechen. Er ist sofort begeistert davon gewesen, als ich ihm von Lars‘ Vorschlag erzählt habe, und hat gemeint, dass das eine gute Entscheidung gewesen ist.
Davon bin ich mittlerweile auch überzeugt, auch wenn ich zwischen durch Zweifel daran gehabt habe, meinen Traum, irgendwann mal in der Weltraumforschung zu arbeiten, aufzugeben. Ich habe aber gesehen, welche Vorteile dieser Weg für mich hat, und setze jetzt meine Unterschrift unter den Vertrag.
„Willkommen im Team“, lächelt Clas und entlässt mich, damit ich runter zum Team gehen kann, wo mein Freund mich sofort in die Arme schließt. Auch die anderen umarmen mich, nur Anders fällt zuerst gar nicht auf, dass ich wieder da bin, weil er mit Lucas redet, der mir dann auch gratuliert.
Dann schließt Kenneth mich wieder in seine Arme und fragt: „Wann fliegt ihr zurück?“ Er schmollt, sobald ich ihm gestehe, dass unser Flug schon morgen früh geht, weil ich nach dem Wochenende meine beiden mündlichen Abiturprüfungen habe.
„Dann müssen wir die Zeit aber auch nutzen“, zwinkert er mir zu und wir fahren zurück in seine Wohnung, sobald Anders uns versichert hat, dass Lucas bei ihm übernachten kann.
Wir verbringen den ganzen Abend damit, aneinander gekuschelt auf dem Sofa zu liegen und zu reden, bis wir dann müde aber glücklich ins Bett fallen.
„Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich bei dir bin“, flüstere ich in Kenneths weichen Haare, woraufhin er mich noch enger an seinen Körper zieht und die Worte erwidert.
Viel zu schnell kommt der Augenblick, an dem Lucas und ich zurück nach Deutschland fliegen müssen.
„Nach dem Trainingslager in Österreich komme ich vorbei“, verspricht mein Freund mir und küsst meine Wange, während er mir beruhigend über den Rücken streicht, weil ich nicht schon wieder von ihm getrennt sein will.
„Ich liebe dich“, flüstere ich und küsse sanft seine Lippen, „so sehr.“
„Ich liebe dich viel mehr“, erwidert mein Elf und drückt einen letzten Kuss gegen meine Stirn, bevor wir dann wirklich durch die Sicherheitskontrolle müssen.
„Wenn man euch sieht, weiß man einfach, dass wahre Liebe existiert“, sagt Lucas leise und schaut mich ernst an, „So etwas ist unzerstörbar und für immer. Nichts auf der Welt könnte daran etwas ändern.“
Wenn wir nur wüssten…

Mein fliegender Held Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt