42. Kapitel

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Es sind einige Monate vergangen, seit mein Lieblingsnorweger gestürzt ist. Jetzt ist schon Ende September und so viel hat sich geändert.
Mit der Erlaubnis meiner Eltern bin ich bei Kenneth eingezogen, nicht zuletzt wegen des Studiums, aber natürlich vor allem, weil ich bei ihm sein will. Irgendwie hat uns alles, was wir durchgemacht haben, nur noch enger zusammengebracht. Kenneth ist so stark, er will einfach nicht aufgeben und ist in seiner Freizeit immer beim Team, um die anderen zu unterstützen.
Das Studium ist extrem anspruchsvoll, aber bei meinem Team und eben bei Kenneth sein zu können, macht es alles wieder wett.
„Woran denkst du, Liebes?“, fragt Kenneth mit seiner rauen morgendlichen Stimme. Ich bin so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie der Skispringer in meinen Armen aufgewacht ist. Jetzt schaut er mich mit seinen aufmerksam leuchtenden Augen an.
„Na du“, lächle ich und streiche einige seiner lang gewachsenen, wirren Strähnen von seiner hohen Stirn, „Ich hab nur daran gedacht, wie viel passiert ist. Wir sind mehr als ein halbes Jahr zusammen. Mein ganzes Leben hat sich verändert.“
Ich schaue in die Augen meines Freundes und schiebe meine Hände unter sein dünnes Shirt. Sobald meine Hände über seinen Bauch wandern, seufzt er leise und bringt mich damit schon wieder zum Lächeln.
Kenneths Hände spielen mit meinen Haaren, während er murmelt: „Stimmt. Das beste halbe Jahr in meinem Leben.“
„Ich bin stolz auf dich, Kenny“, sage ich dann ganz ernst, „Du hast so viel erreicht, aber vor allem tust du so viel für den Sport und den Nachwuchs. Du warst immer mein Vorbild, weißt du? Und die Rolle steht dir.“
Ich zwinkere ihm zu, als mein Elf ganz rot wird. „Apropos, heute machen wir ja dieses Event mit den Kindern auf der ganz kleinen Schanze, aber davor müssen wir dir ein Kleid kaufen“, legt er fest und ich runzele die Stirn.
„Aber Liebling, wir haben doch gesagt…“, will ich erwidern, aber er unterbricht mich: „…dass du dafür kein Geld ausgeben willst, ich weiß. Deswegen möchte ich es dir ja kaufen.“
Ich seufze und lehne meinen Kopf gegen Kenneths Schulter. „Ich möchte es aber“, grinst er, als würde er in meinen Gedanken lesen können, dass ich nicht will, dass er so viel Geld für mich ausgibt. 
„Widerrede ist sowieso zwecklos und wird nicht geduldet, also beweg deinen süßen Po aus dem Bett, sonst komme ich zu spät zu den Kindern“, stellt er fest und küsst kurz meine Stirn.
Ich versuche noch einige Male, meinen Freund umzustimmen, aber der kleine Sturkopf zieht mich unbeeindruckt in den Laden. Schmollend sehe ich ihn nochmal an: „Ich bin doch glücklich mit meinem blauen Kleid.“
Kenneth legt seine Hände an meine Taille und lehnt sich zu mir, um meine Stirn zu küssen. Meine Knie verwandeln sich mal wieder in Wackelpudding. Ich liebe es eben, wenn er das macht.
Die Verkäuferin, die zwischen ein paar Kleiderstangen hervorgekommen ist, wartet, bis ich meinen Freund sanft zu mir heruntergezogen und geküsst habe, bevor sie ihre Hilfe anbietet.
Fröhlich grinsend folgt mein Lieblingsnorweger ihr durch die Reihen und sucht etwas für mich aus. Ich bin ein wenig überrascht, als er nur mit einem einzigen Kleid zu mir kommt und mich vorsichtig in die Umkleide schiebt. „Das ist das perfekte Kleid für dich, versprochen“, zwinkert er und gibt mir einen zärtlichen Kuss, bevor er mich alleine lässt.
Erstmal schaue ich mir das Kleid genauer an. Es besteht aus mehreren Lagen von hellem Stoff und scheint sehr körperbetont zu sein, ohne viel Haut zu zeigen. Selbst der herzförmige Ausschnitt ist mit Tüll bedeckt und die aufgestickten, türkisen Pailletten und Steine lenken den Blick weg vom körperbetonten Schnitt.
Neugierig, wie es mir stehen wird, ziehe ich das Kleid an und betrachte mich verwundert im Spiegel. Es sieht wunderschön aus.Ich schiebe den Vorhang zur Seite und Kenneths Augen wandern über meinen Körper. Seine Augen strahlen und seine Grübchen kommen zum Vorschein, als er auf mich zukommt und mir einige Strähnen hinters Ohr streicht. Bewundernd fährt er mit den Fingern über meine Hüfte.
„Liebes“, sagt er leise, „Du bist so schön.“ Ich spüre, wie sich die Röte auf meine Wangen schleicht und schaue schüchtern in die Augen meines Freundes.
Sein Lächeln wird noch breiter und er drückt seine Lippen gegen meine Stirn.
Sobald ich mich wieder umgezogen habe, überhört Kenneth alle meine Argumente und besteht darauf, das Kleid zu bezahlen. Ich muss mich letztendlich geschlagen geben und gebe ihm einen langen Kuss, in den ich meine ganze Liebe zu ihm lege.
Den restlichen Tag verbringe ich mit meinem Freund an der K12, wo er kleine Kinder beim Springen betreut. Es ist so süß zu sehen, wie er mit den Kleinen umgeht und sie lobt und ihnen Tipps gibt. Als endlich jeder sein Autogramm bekommen hat, schnappe ich mir seine Hand.
„Ich liebe dich“, hauche ich gegen seine Lippen, bevor Kenneth mich lächelnd küsst. Zuhause ziehen wir uns um und fahren dann zur Gala. Kenneth scheint nervös, obwohl ihm diese Auszeichnung eigentlich gar nicht so wichtig ist. Er hat immer betont, dass er einfach nur ein Vorbild für die Nachwuchssportler sein möchte, egal ob irgendwelche Jurys ihn dafür loben oder nicht. Ihm ist die Anerkennung im Sport selber wichtiger.
Trotzdem spielt er nervös mit meinen Fingern, während wir Alex, Danny und Anders begrüßen, mit denen wir an einem Tisch sitzen. Ich drücke leicht seine Hand und streiche ihm über die Haare. Er hat sie wachsen lassen und es steht ihm so gut, aber die Strähnen wollen ihm oft einfach nicht gehorchen.
Dankbar lächelt er mir zu, aber so richtig beruhigt scheint er immer noch nicht zu sein. Danny legt ihm eine Hand auf die Schulter und murmelt etwas in sein Ohr, während ich mit Anders rede, aber ich beschließe, nicht nachzufragen, da Kenneth irgendwie beruhigter zu sein scheint.
Die Preisverleihung geht los und einige Menschen werden geehrt, bevor man zum Preis für den besten Trainer des Jahres kommt. Es ist mittlerweile kurz vor Mitternacht. Ich male mir eigentlich keine Chancen aus, den Preis zu gewinnen, weil unter anderen auch Alex nominiert ist, der es meiner Meinung nach echt verdient hätte. Umso erstaunter bin ich, als tatsächlich mein Name genannt wird.
Ich gehe mit zittrigen Schritten zur Bühne, wo ich ein Mikrofon in die eine Hand und den Preis in die andere gedrückt bekomme.
Es ist totenstill im Raum, weil alle auf meine Rede warten.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist eine riesige Ehre gewesen, überhaupt mit Menschen wie Alex zusammen nominiert zu sein. Ihm habe ich das hier zu verdanken, ohne ihn würde ich nicht hier stehen. Danke, Alex.“
Die Menge applaudiert ihm, bevor ich fortfahre.
„Dann ist da natürlich mein Team, das mich mindestens so sehr unterstützt hat, wie ich sie. Aber vor allem einer Person muss ich für so viel danken. Kenneth, würdest du zu mir kommen?“
Verwundert steht mein Freund auf und bahnt sich den Weg zu mir auf die Bühne, wo er ebenfalls ein Mikrofon bekommt. Sobald er vor mir steht, schlägt eine Glocke Mitternacht und ich atme tief durch, bevor ich meine eigentliche Rede beginne.
„Heute ist mein Geburtstag. Mein achtzehnter Geburtstag. Um mich zu schützen, wurde meine Identität verschleiert und nicht mal mein Freund wusste mehr über mich als meinen Vornamen. Ihm war es egal, das hat er immer wieder gesagt. Kenny, ich bin dir so dankbar. Ich glaube, keiner hier ihm Raum kann sich vorstellen, eine Beziehung mit einem Menschen zu führen, der einfach nur Helen ist. Ich kann es mir selbst ja nicht vorstellen. Aber Kenneth hat mich bei allem unterstützt, keine Fragen gestellt, war einfach nur für mich da. Bedingungslos. Ich hab gesagt, ohne Alex wäre ich heute nicht hier und das stimmt, aber ohne Kenneth wäre ich auch nie so weit gekommen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, von einem Menschen so vollkommen akzeptiert zu werden.“
Das Murmeln, das aufgekommen ist, als ich mein Alter verraten habe, ist mittlerweile verstummt und man könnte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, aber ich habe nur Augen für den Mann vor mir. Seine Augen sind für mich unleserlich, als ich zögernd fortfahre.
„Ich habe gerade erst angefangen zu studieren und ich bin eigentlich nur durch Zufall Teil des Teams geworden, weil Alex mich beobachtet hat. Meine Eltern waren sehr verständnisvoll und haben mir diesen Traum ermöglicht, aber eben nur, wenn meine Identität geheim bliebe. Ich war schließlich noch minderjährig. Gerade das wurde zu einer besonderen Erfahrung. Es ist bewundernswert, mit welchem Verständnis und mit welcher Toleranz ich aufgenommen wurde. Ich wurde nach meinem Charakter beurteilt und nicht nach irgendwelchen Vorurteilen - die waren ja auch schwer zu haben, da ja niemand viel wusste. Die Jungs sind zu meinen engsten Freunden geworden und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie glücklich ich darüber bin. Für sie ist das einzig neue jetzt eigentlich nur mein Nachname und mein Geburtstag, alles andere wissen sie ja über mich. So wie Kenneth. Der größte Dank gebührt wirklich diesem Mann, der hier vor mir steht. Danke, Kenneth. Danke, dass du mich liebst. Dieser Preis ist viel mehr Auszeichnung für dich als für mich, weil du mich auf jedem Schritt des Weges hierher unterstützt hast. Danke.“
Zittrig senke ich das Mikrofon und schaue zaghaft in Kenneths Augen. Gespannt und immer ängstlicher warte ich auf seine Reaktion. Ich hab solche Angst ihn zu verlieren, weil ich so jung bin. 
Er erwidert meinen Blick fest und geht dann ohne ein Wort zu sagen vor mir auf die Knie. Ein Raunen geht durch den Saal als er eine kleine Box hervorholt und öffnet, worauf ein Ring zum Vorschein kommt, und ich fange an zu weinen.
„Helen“, sagt mein Freund und schaut mich schüchtern durch seine Wimpern von unten herauf an. Mir laufen die Tränen über die Wangen und ich versuche, sie wegzuwischen, aber es hilft nichts. Gleichzeitig glaube ich, dass mein Lächeln gleich meinen Kopf in zwei Hälften spaltet.
„Ich weiß, ich bin für dich jetzt ein alter Mann, alles Gute zum Geburtstag übrigens“, zwinkert er und die Menge lacht leise, „aber es wäre für mich das größte Glück auf der Welt, wenn du mich heiraten würdest.“
Sofort nicke ich und flüstere meine Antwort, die trotz des Mikrofons durch meine Tränen kaum zu hören ist. Ich ziehe Kenneth hoch in meine Arme, vergrabe die Hände in seinen Haaren und küsse ihn stürmisch, während er geschickt den Ring an meinen Finger schiebt.
Anschließend lehne ich meine Stirn gegen seine und sehe, dass er ebenfalls Tränen in den Augen hat.
„Du bist so verrückt“, hauche ich, woraufhin mich mein Freund, nein, Verlobter zärtlich erneut küsst. Dann lege ich meinen Kopf an seine Brust und genieße einfach diesen Moment, in dem er seine Arme um mich gelegt hat.
Als der Applaus, den ich gar nicht gehört habe, weil ich so auf Kenneth konzentriert war, verstummt, und wir zurück zu unserem Tisch gehen, klatschen Danny, Anders und Alex immer noch. 
Das Küken hüpft aufgeregt auf und ab und man sieht dem kleinen Norweger einfach an, wie sehr er sich für uns freut. Danny grinst zufrieden und Alex strahlt uns an.
Nacheinander umarmen die drei uns ganz fest und gratulieren uns, was dann auch der Moderator noch tut, bevor es weitergeht. Die ganze Zeit sitze ich an Kenneth gekuschelt da und spiele mit seinen Fingern, während er lächelnd zu mir herab schaut und immer wieder kurz einen Kuss auf meine Stirn drückt.
Danny schaue ich trotzdem böse an und zische: „Du wusstest doch davon, oder?“
Der blonde Norweger grinst und verspricht jedoch hoch und heilig, dass er und Alex die einzigen gewesen seien, weil mein Elf zu viel Angst gehabt hat, dass ich nein sagen würde.
Als ich das höre, schaue ich zu Kenneth, der versucht, sein Gesicht in meinen Haaren zu verstecken. 
Ich schaue ihn ernst an und lasse meine Lippen nur über seine streichen, bevor er nervös murmelt: „Ich hab nicht an deiner Liebe gezweifelt, versprochen! Ich hatte nur Angst, dass dir das zu früh ist, dass du dich noch nicht so binden willst. Vor allem, als du gesagt hast, wie jung du bist. Da hatte ich richtig Angst. Ich wollte nicht, dass du deswegen nein sagst.“
Verwundert schaue ich in Kenneths leuchtend blaue Augen. „Wenn dann hatte ich Grund, Angst zu haben, dass du mich deswegen verlässt, oder an uns zweifelst. An mir. Zu dir kann ich nämlich sowieso nicht nein sagen“, erwidere ich und die Grübchen kommen auf den Wangen meines Freundes zum Vorschein.
„Ich liebe dich“, flüstert er, „und du weißt doch, dass mir dein Alter nicht wichtig ist. Du wirkst so viel älter und vor allem erwachsener, und das ist doch das, was zählt. Und was am meisten zählt, ist, dass du bald Gangnes heißt.“
Ich berühre bewundernd seine Grübchen, während der Gewinner des Preises für den besten Sportler bekanntgegeben wird. Kenneth zuckt mit den Schultern, als nicht sein Name genannt wird, und küsst mich stattdessen.
Auf die Frage des Moderators, was er jetzt mit seiner Dankesrede machen wird, antwortet er nur: „Die habe ich doch vorhin schon gehalten.“
Er streicht sanft über die Hand, an der der Ring funkelt, und ich schaue ihn verliebt an. Womit habe ich es nur verdient, dass dieser Norweger bald ganz offiziell mein Mann sein wird? Als hätte er die Frage gehört, legt Kenneth seine Arme um mich und küsst mich lange und liebevoll.
Wir kommen erst früh morgens zurück nach Hause, wo ich todmüde neben meinem Freund ins Bett falle. Er legt sofort seine Arme um mich und zieht mich an seine Brust. Die Anspannung weicht spürbar aus seinem Körper und er drückt seine Lippen gegen meine Stirn.
„Ich bin so froh, dass du ja gesagt hast“, flüstert er lächelnd ins Dunkle, „Dabei hat dein Vater gesagt, dass das sowieso passieren wird und ich mir gar keine Sorgen machen muss. Ich hatte fast noch mehr Angst, ihn um deine Hand zu bitten, weißt du?“
Zaghaft schaue ich in Kenneths Augen, die mir selbst im Dunkeln noch entgegenleuchten. Er hat meinen Vater um meine Hand gebeten, bevor er mir den Antrag gemacht hat. Was an diesem Mann ist eigentlich nicht perfekt?
„Du machst mich glücklich“, hauche ich grinsend gegen seine Lippen, „Da kann er doch schlecht nein sagen.“
Sofort erscheinen die Grübchen, die ich sanft mit den Fingerspitzen berühre, bevor ich ein Gähnen unterdrücken muss und mich zurück an die Brust meines Verlobten kuschele.
Er atmet tief ein und lacht dann leise vor sich hin: „Was hab ich mir da nur eingebrockt. Ein Leben mit dir. Keine einzige Sekunde, in der ich nicht das Gefühl haben werde, dass du viel zu süß für mich bist.“
Ich muss ebenfalls lachen und schlage leicht gegen seine Brust, woraufhin Kenneth sich meine Hand schnappt und sie festhält. „Du darfst schon kaum Zucker essen, da muss ich dafür die Süße in deinem Leben sein“, lache ich und spüre praktisch, wie mein Freund die Augen verdreht.
Er seufzt: „Das war ein ziemlich schwacher Spruch, selbst für einen Skispringer.“
Trotzdem grinst er in meine Haare und drückt mich noch ein wenig fester, während wir zusammen einschlafen. Ich höre nur noch, wie er murmelt, dass er mich liebt, was ich kaum hörbar erwidere, bevor ich endgültig im Reich der Träume bin.

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