2. Kapitel

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Kenneths große, warme Hand hält meine kalten Finger gefangen, bis wir an seinem Mietwagen angelangt sind und er mir hilft, meine Sachen im Kofferraum zu verstauen. Er nimmt mir meinen langen, schwarzen Mantel ab und drückt mir dafür ein graues Stoffbündel in die Hände.
"Anders wollte unbedingt, dass ich dir den mitbringe. Er sagt, vielleicht hilft es ja gegen die Flugangst", meint mein Lieblingsnorweger, während ich den etwas zu großen Hoodie überziehe und den warmen, beruhigenden Geruch von Anders einatme.
Ich lächle Kenneth an und er zeigt seine niedlichen Grübchen, über die ich einfach mit meinen Fingern streichen muss. Er lächelt nur noch breiter, küsst dann meine Stirn und weist mich an, einzusteigen.
Kaum sitze ich und bin angeschnallt, kuschele ich mich ganz tief in den weichen Stoff und gähne.
Kenneth schaut zu mir rüber und lacht leise. "Liebling, du solltest doch schlafen", meint er, während er den Motor startet. "Ich kann einfach nicht." Auf Kenneths Stirn bilden sich besorgte Falten und er greift nach meiner Hand, sobald wir auf der Autobahn sind und er nicht mehr schalten muss.
Irgendwann während der Fahrt flechte ich meine Haare zu einem französischen Zopf, weil das ein Teil meiner anderen Identität ist, aber Kenneth bedenkt es wie immer mit einem kritischen Blick. "Ich mag es viel lieber, wenn du deine Haare offen trägst", murrt er und streicht mir eine Strähne hinters Ohr, aber ich lächle nur leicht vor mich hin.
Ich beobachte Kenneth dabei, wie er den Radiosender wechselt, leise anfängt zu singen und bald fallen meine Augen zu und ich döse vor mich hin, bis wir den Flughafen erreicht haben.
"Hei", Kenneth berührt leicht meine Schulter und ich bin sofort wieder hellwach. Wir steigen aus und bringen die ganzen Formalitäten relativ schnell hinter uns.
In der Wartehalle sind keine Sitzplätze mehr frei, aber Kenneth merkt, wie müde ich bin und breitet deswegen seine Arme auffordernd aus. Sein süßes Lächeln ist wirklich einladend, also gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu, bis er seine Hände auf meine Hüften legen kann. Dann lege ich meine Finger vorsichtig auf seinen Bauch. Ich liebe das, es gibt mir einfach so viel Sicherheit und Geborgenheit.
"Na, gut so?", flüstert Kenneth gegen meine Stirn und zieht mich ein wenig näher zu sich, bis ich meinen Kopf gegen seine Schulter lehnen kann.
"Lucas hat mir gesagt, wieso du nicht schlafen kannst, Liebes", eröffnet er mir nun völlig unvorbereitet. Ich löse meinen Kopf aus der gemütlichen Position an seiner Brust, um in Kenneths tiefe, blaue Augen schauen zu können, die normalerweise so wild und leuchtend wie das Meer sind, aber jetzt wird ihr Schein von Sorge getrübt.
"Shh", ich schüttele meinen Kopf, "zerbrich dir nicht deinen Kopf darüber, Liebling. Es ist okay." Kenneths Hände an meiner Hüfte verkrampfen sich und er zieht mich noch ein Stück näher an sich. "Helen, nein", flüstert er mit belegter Stimme, "Wieso hast du nie etwas gesagt? Du weißt, dass ich nicht nein sagen würde, oder etwa nicht?" Meine Stimme versagt und ich kann ihn nur stumm traurig anschauen. "Lucas meint, du hast Angst. Er sagt, dass du deswegen meinen Bauch berühren willst. Um dich sicher zu fühlen. Und dass du besser schläfst, wenn jemand bei dir liegt und dich festhält. Weil dich dann jemand beschützt."
Seine Stimme ist immer leiser geworden und jetzt schaut er kurz weg, bevor sein Blick wieder auf mich fokussiert ist. Seine blauen Augen wirken heller als sonst, aber auch stumpfer.
"Kenny, Liebling", ich lächle zittrig zu ihm hoch, "Ich kann das nicht von dir verlangen, verstehst du?" "Doch", meint er jetzt bestimmt und drückt kurz seine Lippen gegen meine Stirn, "du bist meine beste Freundin. Ich will doch, dass es dir gut geht."
Dann geht er ein paar Schritte von mir weg, zwinkert mir leicht zu und verzieht dann seine Lippen zu seinem typischen Elfen-Lächeln. Die Diskussion ist für ihn beendet.
Als wir endlich im Flugzeug sitzen, hält Kenneth meine Hand wieder fest. Er hat unglaublich weiche, aber kräftige Hände, die eigentlich immer warm sind. Beim Start habe ich Angst und zerdrücke beinahe seine Hand, aber nach einer Weile entspanne ich mich wieder und falle dann an Kenneths Schulter gelehnt in einen bemerkenswert ruhigen Schlaf, der den gesamten Flug andauert.
Etwas stupst immer wieder gegen meinen Arm. Es piekst und ich will es wegschieben, aber es ist unglaublich hartnäckig und piekst jetzt meine Wange. Ich seufze und öffne unwillig meine Augen, nur um einen breit grinsenden Norweger vor mir sitzen zu sehen. "Du bist süß, wenn du schläfst", bemerkt er mit einem Zwinkern. Ich werde rot, aber Kenneth hat sich schon umgedreht, damit wir das Flugzeug endlich verlassen können. Wir sind in Trondheim!
Während wir auf unser Gepäck warten, schaue ich erstmal alle Nachrichten durch.
'Tut mir leid, ich musste es ihm einfach sagen.' - von Lucas.
'Viel Spaß mit dem Team!' 'Und pass auf dich auf.' - beide von meiner Mutter.
'Waaaaaann bist du endlich daaaaaa???' - die kleine norwegische Fee, wer denn sonst.
Ich lächle und checke Instagram, nachdem ich Anders geantwortet habe. Irgendwie bin ich ihm ja aber schon böse, dass er mir nichts verraten hat.
Unser Gepäck ist immer noch nicht da, als ich eine Markierung auf meinem offiziellen Account als Co-Trainerin sehe. Um genau zu sein, hat Kenneth ein Bild von mir gemacht, während ich geschlafen habe, und darunter geschrieben 'Picking up Sleeping Beauty aka The Dark Eminence for one perfect week'. Ich lächle und like das Bild.
Das mit der dunklen Eminenz ist eigentlich ein Witz von ihm während einem Interview gewesen, als die Medien mal wieder rausfinden wollten, wer ich bin, aber jetzt werde ich in der Öffentlichkeit fast nur noch so genannt.
Endlich ist meine Tasche da. Kenneth besteht darauf, sie zu tragen und alle meine Proteste stoßen wie so oft auf taube Ohren. Er ist manchmal einfach ein kleiner Sturkopf. Mit seiner freien Hand auf meinem Rücken dirigiert Kenneth mich in die Eingangshalle des Flughafens, wo ich auf eine Gruppe von orange-blau gekleideter Männer aufmerksam werde.
"Das sind doch nicht...", wende ich mich ungläubig an Kenneth, der aber nur grinsend nickt und mir bedeutet, das Team zu begrüßen.
Das muss er mir nicht zweimal sagen, denn einen Augenblick später erdrücke ich bereits Anders fast in meiner Umarmung. Der kleine Sonnenschein umarmt mich mindestens genauso fest, während er immer wieder 'hællæ' sagt und schließlich schmunzelnd meint, dass sein Hoodie mir gut steht.
Anschließend werde ich von einem anderen gutaussehenden blonden Norweger durch die Luft gewirbelt. "Na, mein Slippers King", begrüße ich ihn lachend, als er mich auf dem Boden absetzt. "Prinzessin", sagt Danny nur begeistert und lacht sein ansteckendes Lachen.
Nachdem ich auch den Rest des Teams begrüßt habe, drehe ich mich lächelnd wieder zu Kenneth, der etwas verloren und traurig wirkt. Er erwidert mein Lächeln nur schwach und sagt kein Wort mehr, bis wir im Hotel angekommen sind.
Ich bin etwas besorgt, wieso ist er von seinem super quirligen und fröhlichen Zustand so schnell zu einem traurigen Elfen geworden? Ich muss ihn unbedingt darauf ansprechen, aber zuerst steht das Kofferauspacken in dem Zimmer, das ich mir mit Anders und Kenneth teilen werde, an.

Mein fliegender Held Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt