10. Kapitel. Schatten in der Nacht

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Wir harrten gefühlte Ewigkeiten in der Hütte aus und hofften, dass die Wilderer wieder verschwinden würden, doch so lange es keine Entwarnung gab, waren alle in Gefahr.

Müdigkeit überkam mich, allerdings wollte ich nicht schlafen, so lange die Lage noch unsicher war. Ich döste ein, schrak aber bei jedem Schuss zusammen. Jedes Mal sah ich vor meinem geistigen Auge einen der unseren fallen. Ich wäre am liebsten weggerannt, aber was hätte das gebracht? Wahrscheinlich hätten mich die Wilderer sofort im Eifer des Gefechts erschossen, egal in welcher Gestalt.
Nach einer Weile wirde es sehr still und eine eisige Kälte breitete sich in mir aus. Angst überkam mich und mein Instinkt sagte mir, ich solle fliehen.

Waren unsere Leute besiegt? Kamen jetzt die Jäger ins Dorf? Verteilten sie sich gerade und warteten auf ein Zeichen ihres Anführers, um dann blitzschnell zuzuschlagen, in die Hütten einzudringen und jeden zu töten, der nicht zu ihnen gehörte?
Mir wurde schlecht.
Waren wir hier nirgends sicher?
Egal wohin wir gingen, immer waren Jäger dort, die uns verfolgten und töten wollten.
Die Angst bohrte sich immer tiefer in meinen Bauch, wie ein scharfkantiger Glassplitter und ich bemerkte, wie auch Waris immer unruhiger wurde.
Amera hingegen saß immernoch so da und starrte ins Leere. Sie schien in eine Starre gefallen zu sein, was mich irritierte. Sie bewegte sich nicht, atmete aber.

"Amera?", flüsterte ich leise und sie hob schnell den Kopf als wäre sie aus einem Traum gerissen worden.
"Alles okay?", hauchte ich, was sie mit einem Nicken bestätigte und wieder auf den Boden sah.
Wir verfielen ebenfalls in eine Starre und ich taute erst wieder auf, als von draußen leise Schritte ertönten. Ich horchte genauer hin.
Die Schritte sollten eigentlich lautlos sein, doch derjenige, der dort entlang lief, war zu schwer um keinen Laut zu erzeugen. Außerdem hörte es sich nicht nach einem Menschen an, sondern nach einem Löwen. Wenn es der Fall wäre, dass sich ein fremder Löwenmann ins Lager geschlichen hatte, waren besonders die Jungen in großer Gefahr. Leise tappsten die Pfoten über den Boden und hin und wieder blieb er stehen, schnüffelte und ging weiter, weiter an unsere Hütte heran. Ich hielt den Atem an. Alles war muksmäuschenstill, sogar Amera hatte den Kopf gehoben und in ihren Augen spiegelte sich nackte Angst wieder. Mein Puls raste und ich befürchtete, dass es jeder hören konnte.
Ich konnte seinen Schatten vorbeigehen sehen und atmete innerlich auf.
Ich verspürte neben meiner Furcht auch eine gewisse Neugier. Ich wollte auch wissen, wohin er ging. Sein Geruch kam mir bekannt vor, doch ich konnte ihn nirgends einordnen.
Ich zog meine Kleider aus, da ich in menschlicher Gestalt verletzlicher war als in Löwengestalt.

"Was tust du denn da?", fragte mich Waris entsetzt aber leise.
"Wonach sieht es denn aus?", stellte ich die Gegenfrage.
"Nach einem großem Problem.", meinte meine Schwester, machte aber keine Anstalten mich aufzuhalten.
Ich nahm meine Löwengestalt an und fühlte mich sofort sicherer. Lautlos schlich ich zur Tür und lugte hinaus. Ich sah das Hinterteil eines schwarzen Löwen rechts von unserer Hütte und nur ein paar Meter entfernt. Aman war hier? Wieso denn das? Verfolgte er uns doch? Er schien ein Ziel zu haben, schien es damit aber nicht eilig zu haben. Leise und im Schatten der Hütten folgte ich ihm, da ich nun wusste, mit wem ich es zu tun hatte.
Ich beeilte mich, um ihn einzuholen und setzte dann zum Sprint an.
Er bemerkte erst, dass er nicht allein war, als ich auf seinem Rücken landete und meine Krallen in sein Fleisch bohrte. Er strauchelte etwas, konnte sich aber wieder fangen und versuchte mit ein paar hektischen Bewegungen mich abzuwerfen, was mich aber dazu veranlasste, ihm meine Krallen noch tiefer ins Fleisch zu bohren. Schließlich blieb er reglos stehen und wartete.

"Warum verfolgst du uns?", zischte ich und war auf seine Antwort gespannt. Er versuchte wieder mich abzuschütteln, doch ich hielt mich fest. Schließlich schien er zu begreifen, dass er die Löwin auf seinem Rücken kannte und hielt endlich still. Da ich nicht vorhatte von seinem Rücken zu steigen, beschloss er mich dort vorerst zu lassen. Ich lockerte meine Krallen etwas und wartete gespannt auf seine Antwort.

"Ich verfolge euch nicht. Wir scheinen nur die gleichen Bestimmungsorte zu haben.", stellte er fest und setzte sich hin, weshalb ich von seinem Rücken kullerte. Er stand wieder auf und drehte sich zu mir um, während ich realisierte, dass ich nun auf dem Boden lag. Schnell rappelte ich mich auf und schüttelte mir den Staub aus dem Fell, während er näherkam.

"Ich suche jemanden und das bist definitiv nicht du.", stellte er klar und schnüffelte kurz an mir, was mir eine Gänsehaut verschaffte.

"Du riechst nach ihr also muss sie hier irgendwo sein.", meinte er und sah sich genauer um.

"Ich rieche nach wem? Und was tust du hier? Was willst du anstellen, wenn Hodari dich findet?", fragte ich interessiert obwohl ich wusste, dass es mich nichts anging.

"Das geht dich nun wirklich nichts an. Weshalb redest du überhaupt mit mir und bist nicht wie alle anderen in den Hütten?"

"Weil ich mit dir reden wollte. Wohin bist du am Fluss so schnell verschwunden ohne, dass dich die Jäger entdeckt haben?"

"Es hat seine Vorteile, schwarzes Fell zu haben.", sagte er lediglich und hielt die Nase in den Wind. Aman schien zu riechen, wonach er suchte und wollte an mir vorbei, zurück ins Dorfinnere zu gehen. Doch ich wollte ihn nicht noch einmal da durchgehen lassen, da die Jungen sonst nur noch mehr Angst bekamen und die Mütter herauskommen könnten, um sie zu beschützen.

Er versuchte wieder an mir vorbeizugehen, doch ich hieb mit den Krallen nach ihm, was er mit einem verdutzem Blick quittierte.

"Wenn du nochmal da entlang gehst, wirst du nicht so unversehrt aus diesem Dorf herauskommen, wie du hier rein gekommen bist.", sagte ich und sah in seine tiefen goldenen Augen.

"Sollte das eine Drohung sein? Wenn ja, war sie nicht besonders aussagekräftig.", meinte er nüchtern und sah mit einem kühlen Blick auf mich herab.

"Keine Drohung, eher eine Warnung. Die Löwinnen werden dich angreifen, sobald du dich ihren Jungen näherst.", sagte ich. Ein Stück entfernt war Hodaris Brüllen zu hören. Entweder war der Kampf vorbei oder sie kämpften immernoch, was ich eher nicht glaubte, da das Brüllen etwas endgültiges ausgedrückt hatte.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Kampf jetzt wirklich vorüber war und das Rudel nun zurückkommen würde. Ich befürchtete nicht nur das, sondern auch, dass die Löwen, die in den Hütten gewartet hatten, nun herauskommen würden und Aman sehen würden. Das würde ein falsches Bild in den Köpfen der Gestaltwandler hervorrufen.

"Verschwinde jetzt, ehe sie dich sehen und zerfleischen werden. Deine Angelegenheit kannst du, denke ich, vergessen.", meinte ich und er nickte.

"Na schön.", murrte er und rannte in Richtung der Zaunes. Ich drehte mich ebenfalls um und ging wieder in unsere Hütte. Amera und Waris empfingen mich stürmisch.

"Was war dort draußen? Wo ist er hin?", fragte mich Waris schließlich angespannt.

"Ich bin ihm die ganze Zeit still gefolgt, er ist zum Zaun, hat diesen untersucht und weg gegangen als Hodari gebrüllt hatte.", erklärte ich, nachdem ich mich zurück in einen Menschen verwandelt hatte. Waris schien eine Weile nachzudenken.

"Er hätte nicht hier sein dürfen.", murmelte sie und wandte sich ab. Amera sah sie forschend an, wurde aber von einer Löwin unterbrochen, die in unsere Hütte lugte. Wir alle starrten sie erschrocken an, da sie uns aus den Gedanken gerissen hatte.

"Kommt! Hodari will uns alle sprechen.", sagte sie nur in einem scharfen Befehlston und verschwand wieder. Misstrauisch sah ich die anderen an.

"Jetzt noch?", fragte ich und wandte mich damit an Waris.

"Es muss jemand gefallen sein, sonst würde er das auf morgen verschieben.", erklärte diese und ging zur Tür.

"Wenn jemand gefallen ist, ist es die Pflicht des ganzen Rudels, zur Ansprache des Alphas zu kommen.", fügte sie noch hinzu und ging nach draußen. Uns blieb nichts anderes übrig als ihr zu folgen.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt