35. Kapitel. Vom Regen ...

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Ich versteckte mich im Schatten der kleinen Hütten und beobachtete, die nun wachsende Hektik. Angst und Nervosität lagen in der Luft und während sich die Jungen um ihre Mütter drängten, verwandelten sich die, die kampffähig waren. Jedes einzelne Gesicht betrachtete ich genau, doch scheinbar war Amera nicht unter ihnen. Ängstlich zog ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und beobachtete aus meinem Versteck heraus, wie Hodari mit den Löwinnen nach draußen lief.

Hoffentlich wusste Aman, was er da gerade tat.
Ich flehte innerlich zu allem, was nur möglich war.
Mögen wir da heil herauskommen.

Ich schlüpfte von einem Schatten zum nächsten und versuchte möglichst wenig Geräusche zu verursachen, während ich durch das Dorf lief und versuchte Ameras Geruch einzufangen. Hin und wieder konnte ich Stimmen einzelner Löwinnen im Dorf hören. Sie alle waren bereit für ihren Nachwuchs, ihr Dorf und ihren Anführer zu sterben.
Meine Hand krampfte sich um den Dolch, den Aman mir gegeben hatte, als wäre er mein einziger Halt, während ich über einer tiefen Schlucht hing.
In den Hütten konnte ich manche Kinder ängstlich weinen und nach ihren Tanten fragen hören. Was die Mütter ihnen aber darauf antworteten konnte ich nicht hören, da ich nicht lange an Ort und Stelle blieb.

Beim Lagerfeuerplatz angekommen atmete ich erst einmal durch, weshalb fand ich sie nicht?
Hatte sie eine andere Hütte bekommen?
Oder war sie ...? Nein, das war keine Option. Amera war zu klug, um sich töten zu lassen.

Ich lief weiter. Irgendwo musste ich doch ihren Geruch auffangen.
Langsam machte sich die Verzweiflung in mir breit.
Was, wenn ich sie gar nicht finden würde?
Was, wenn Aman nicht lange durchhielt? Mir wurde schlecht.
Wo hatte ich uns da bloß hineingeritten? Ich schüttelte den Kopf. Ich musste mich auf die Aufgabe konzentrieren.

Ich sah mich kurz um.
Ich war in der Nähe von Hodaris Hütte, in deren Umkreis nur seine Liebhaberinnen wohnten.
Hier würde ich Amera garantiert nicht finden. Hektisch lief ich durch die Gasse und fragte mich, in welchen Winkel des Dorfes Hodari sie verbannt hatte, als ich diesen einen, bestimmten Geruch wahrnahm.
Dieser eine, der meinem so ähnlich war.

"Amera!", kam er mir über die Lippen.
Ich roch sie! Sie war am Leben! Zwar hatte mir Aman gesagt, dass sie am Leben war, aber erst jetzt realisierte ich es wirklich.
Ich folgte ihrem Geruch bis zu einer kleinen Hütte in der Nähe von Hodaris Haus.
Der Vorhang war heruntergelassen und im Inneren der Hütte war es dunkel.
Ich packte den Dolch in die Innenseite meiner Jacke und schob vorsichtig den Vorhang beiseite.
Wie würde sie reagieren, wenn sie mich sah?

"Amera?", hauchte ich.
"Bist du hier?"
Ich trat ein und musterte kurz meine Umgebung, bevor ich plötzlich grob an die Wand gedrückt und mir ein Messer an die Kehle gehalten wurde.

"Amera?"
"Was tust du hier?", zischte sie und es klang überhaupt nicht erfreut, so wie ich es mir erhofft hatte. Immerhin war sie am Leben.
"Ich bin hier, um dich hier rauszuholen.", erklärte ich und das Messer schnitt minimal in meine Haut. Panik machte sich in mir breit.

"Was tust du denn?", fragte ich beinahe hysterisch. Die Angst konnte ich kaum verdecken. Weshalb drückte sie mir immernoch die scharfe Klinge des Messers an den Hals?
"Du bist ohne mich gegangen."

Was? Ohne sie gegangen?
"Hat das nicht Zeit? Wir müssen hier schnellstens weg. Aman hält bestimmt nicht mehr lange durch.", flehte ich und erstmals konnte ich ihr Gesicht im Mondschein erkennen. Mir stockte der Atem. Ihr rechtes Auge war angeschwollen und blau angelaufen. Ihre Lippe war aufgeplatzt und blutig.
"Wie konnte er es wagen?", hauchte ich entsetzt. Das Messer zog sich von meiner Kehle zurück und ich hörte ein Schnauben von meiner Schwester.
"Nachdem du einfach bei der Jagd ausgestiegen bist, hat er seinen Frust an mir ausgelassen und seit diesem Abend nicht mehr damit aufgehört. Während du es dir also gut gehen lassen hast, hatte ich hier verdammt nochmal gelitten.", erwiderte sie kalt und musterte mich. Ein eisiger Schauer fuhr meinen Rücken hinab. Wollte sie damit sagen, dass ich sie im Stich gelassen hatte? Ich wurde angeschossen und anschließend mitgenommen! Hatte Hodari tatsächlich eine andere Geschichte erzählt?

"Jetzt lass uns verschwinden! Wir können später noch über alles reden."

"Na schön."
Ich zog den Vorhang erneut beiseite und lief mit Amera die Gassen entlang. Sie war langsamer als sonst, ob das aber nun wegen ihrer Verletzungen war oder wegen etwas anderem, konnte ich in diesem Moment nicht sagen. Wir liefen direkt auf das Haupttor zu, doch kaum als dies in Sichtweite kam, zog Amera mich am Arm zurück in den Schatten eines Hauses.

"Das Tor wird auch in Ausnahmefällen bewacht.", warnte sie.
"Wie viele?", fragte ich direkt.
"Meistens nur einer.", erwiederte sie, doch als ich zum Tor sah, konnte ich mindestens drei erkennen.
"Dieses Mal sind es mehr."
"Nebenausgang!", sagte Amera entschlossen und führte uns zur Nordseite des Dorfes.
Dort war eine kleine Wachhütte, in der normalerweise immer eine Löwin saß und die Wache hielt. Im Schatten einer der Hütten, die der Wachthütten am nächsten standen, blieben Amera und ich stehen.
"Wie kommen wir an ihr vorbei?", frage meine Schwester in einem ängstlichen Tonfall, den ich noch nie bei ihr gehört hatte.

Nervös zog ich den Dolch wieder hervor.
"Wir machen es auf die altmodische Weise.", erklärte ich, atmete tief durch und stürmte aus den Schatten.

Die Wächterin sah mich nicht kommen, sie war zu sehr auf das, was sich außerhalb des Dorfes abspielte konzentriert, dass sie mich gar nicht bemerkte. Ich schlug ihr mit dem Griff des Dolches gegen die Schläfe und beobachtete, wie sie bewusstlos zu Boden sackte.
Schnell rannten wir hinaus, doch sahen wir nicht, wie die Wächterin, was von da draußen auf uns zukam.

"Komm jetzt! Wir müssen uns beeilen." Hoffentlich hielt Aman noch durch.
Innerlich zerriss ich fast vor Angst, doch das konnte ich mir schlecht anmerken lassen, wenn meine Schwester dabei war, die dachte, dass ich wusste, was ich tat.

Wir hatten einen Teil geschafft, würde jetzt noch etwas schiefgehen? Diese Zweifel ließen mir keine Ruhe.
Wir rannten schnell ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob uns jemand sah oder nicht. Amera fiel nach einer Weile wieder zurück und schließlich blieb sie ganz stehen. Erschrocken blieb auch ich aprupt stehen.

"Amera! Verflucht, was soll das?", fuhr ich sie an. Wir hatten das Auto fast erreicht, wie konnte sie da stehen bleiben?
Sie war gedanklich woanders, das konnte ich sehen. Sie steckte ihre Nase in den Wind und schnupperte, dann weiteten sich ihre Augen vor Angst. Wir hatten jetzt keine Zeit, um Gerüche aufzuschnappen!

"Amera! Los! Lass uns abhauen!", flehte ich und zerrte an ihrem Arm. Ich bekam langsam Panik. Wenn Hodaris Rudel in der Nähe war und uns hören würde, würden wir schneller zum Auto rennen müssen, als jemals zuvor.
Sie rührte sich nicht, egal wie sehr ich sie schüttelte. Sie starrte lediglich angsterfüllt auf einen Punkt im Norden.

"Amera, jetzt mach endlich mal hin und beweg dich! Oder willst du sterben?! Ich will nicht auch noch meine andere Schwester verlieren, also komm jetzt!"
Als sie sich immernoch nicht rührte, schlug ich ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Erst das schien sie aus ihrer Starre zu reißen.

Endlich wandte sie mir ihr Gesicht zu. Ihr Blick war immernoch angsterfüllt aber teilweise auch so geschockt, weil ich sie geschlagen hatte.
Ich sah, wie sie sich endlich innerlich zusammenriss und dann nickte.
"Gut, los!", sagte sie und wir wandten uns um.

"Nicht so schnell, ihr Süßen!", sagte jemand und kurz darauf war ein Klacken zu hören.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt