14. Kapitel. die Beute

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Alle rappelten sich träge auf und murrten, während Hodari dastand und durchzählte. Nach einer Weile runzelte er die Stirn und sagte:

"Es fehlt jemand. Amera, wo ist deine Schwester?", fragte er barsch und Amera sah sich um. Sie hatte geschlafen als ich auf diesen Baum geklettert bin, weshalb sie es natürlich nicht wusste. Ihre Blicke wanderten immer hektischer zwischen den Löwinnen, bis ich plötzlich Erkenntnis in ihren Augen erkennen konnte.
Sie sah zu dem Baum, auf dessen Ast ich lag und ihr Blick wanderte zu mir. Ihre Mine wurde ausdrucklos, als sie mein Grinsen sah, dann wandte sie sich an den Alpha.

"Sie macht wieder Dummheiten.", sagte sie lediglich und wandte sich ab.
Nun sahen alle zu mir hoch, einige belustigt, die anderen missbilligend. Hodari gehörte zu den weniger begeisterten Katzen und befahl mir missgelaunt wieder runterzukommen, was ich wenn auch widerwillig tat. Nun, da wir alle vollzählig waren, brachen wir wieder auf.
Die Hitze unter der Sonne war immernoch unerträglich, weshalb der Großteil unserer Gruppe schon nach kurzer Zeit wieder hechelte. Wir waren ungefähr zehn. Hodari führte uns in Richtung irgendwelcher Berge, welche man jetzt schon erkennen konnte. Sie ragten den Himmel hinauf, wie Wächter aus alten Geschichten, die über die Lande wachten. Die Ältesten aus unserem alten Rudel haben uns Geschichten von uralten Göttern erzählt, die von dort oben aus über die Lande wachten und von Zeit zu Zeit hinab kamen, um die Gestaltwandler zu besuchen und zu schauen, ob alles nach ihren Vorstellungen lief. Heute wird es nur noch als alter Aberglaube abgestempelt. Als Kind hatte ich diese Geschichten geliebt, doch als Mama mir dann gesagt hatte, dass es nur dummer Aberglaube wäre, ist für mich eine kleine Welt zusammengebrochen, dass diese "Götter" nur uralte Menschen oder Gestaltwandler sind, die aus irgendeinem Rudel vertrieben worden waren. Ich vertrieb diese Erinnerung aus meinem Kopf und konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart. Wir liefen in der Nähe einer Straße und ich konnte den Verkehr hören.

Hodari wandte sich an uns.

"Wir werden gleich eine Straße überqueren, also seid vorsichtig."

Zum ersten Mal auf dieser Wanderung, fragte ich mich, weshalb wir so weit nach Osten gingen. Unterwegs hätten wir doch mindestens drei Zebras erlegen können, doch wieso führte er uns immer weiter weg? Die Berge kamen im Laufe des Nachmittags immer näher und irgendwie fühlte ich mich so langsam unwohl. Nicht nur, dass mir diese Fragen durch den Kopf schossen, da war noch etwas anderes. Irgendwie fühlte ich mich beobachtet.
Wir bewegten uns durch das dichte Gebüsch und kamen nach einigen Minuten mit etlichen Kratzern am ganzen Körper am Straßenrand an. Dort sammelten wir uns und blickten auf die vielbefahrene Strecke. Kaum wurdem wir gesehen, wurden die Autos langsamer und schließlich zum Stehen gebracht, während die Leute die Kameras zückten. Wir drängten Waris in unsere Mitte und sie sollte sich geduckt halten, damit die Menschen sich nicht wunderten und anschließend Jagd auf sie machten, weil sie anders war. Es war also besser sie zu verstecken. Hodari lenkte uns zwischen den stehenden Autos hindurch, während ich überall das Klicken der Kameras hörte. Scheinbar waren diese Menschen Touristen, die sich die Wildnis einmal anschauen wollten. Was es allerdings in Wirklichkeit dort draußen gab, davon schienen sie nicht einmal etwas zu ahnen. Auf der anderen Straßenseite angekommen, ließen wir Waris zuerst im Dickicht verschwinden, während zwei der Weibchen einen kleinen Kampf zur Ablenkung der Menschen veranstalteten, was auch erfolgreich funktionierte. Langsam fuhren die Autos hinter uns wieder an und Hodari ließ seinen Blick über die Blechbüchsen schweifen.
Scheinbar entdeckte er nicht das, was er sich gewünscht hatte und zog sich mit missgelaunem Gesichtsausdruck zurück und führte uns weiter Richtung Osten.

Die Sonne sank immer tiefer in unserem Rücken und ich fragte mich, was wir jagten, wenn es so weit weg war. Klar konnte unsere Spezies ein riesiges Territorium besitzen, doch so langsam fragte ich mich, wo dieses hier endete. Es schien endlos weit zu sein und Hodari machte keine Anstalten bald anzuhalten. Er stapfte zielstrebig weiter auf die Berge zu, während wir Unerfahrenen uns fragten, wohin die Reise ging.
Ich vertraute Hodari nicht. Es war gut möglich, dass er uns einfach aussetzen wollte und das alles von Rudel arrangiert wurde, um uns zusätzliche Fresser loszuwerden, aber dennoch einfach weggehen war vermutlich keine so gute Idee, schon gar nicht, wenn Amera und Waris nicht mitkamen.

Als die Sonne schließlich versunken war, blieb unser Alpha endlich stehen und gönnte uns die zweite und letzte Pause. Ausnahmslos alle fielen automatisch in einen tiefen Schlaf.

Irgendwann in der Nacht weckte Hodari uns wieder und sagte, dass wir nur noch wenige Meter von unserer Beute entfernt seien und, dass wir uns möglichst still und unauffällig verhalten sollten. Wenn wir sie erlegten, mussten wir blitzschnell arbeiten, damit sie keinen Schrei von sich geben konnten, um die anderen zu warnen. Irgendwie war mir bei der ganzen Sache unbehaglich zumute. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ich sah zweifelnd zu Amera, die geradezu an Hodaris Lippen hing. Leider war es mit Waris nicht anders. Auch sie war voll und ganz auf ihren Alpha fixiert.

Während Hodari erklärte, bemerkte ich ein Motorengeräusch in unserer Nähe. Es schien aus der Richtung zu kommen, aus der wir gekommen waren. Irritiert drehte ich mich um, und zog damit scheinbar auch die Aufmerksamkeit des Alphas auf mich.

"Niara bleib bei der Sache! Wenn du nachher nichts erlegst, wirst du bestraft werden.", sagte er scharf. Zwischen den Bäumen konnte ich dank der Spiegelung des Mondlichts auf der Motorhaube, einen Transporter ausfindig machen, der sich langsam und vorsichtig durch die Bäume schlängelte.

"Aber da kommt ein Geländewagen. Ich sehe allerdings kein Scheinwerferlicht. Wir sollten Deckung suchen, falls es Menschen sind.", widersprach ich ihm und erntete lautes Gelächter.

"Mädchen, ich habe schon öfter hier gejagt als du es je tun wirst. So schnell kommen hier keine Menschen her, noch dazu weiß ich, dass es junge Männchen aus meinem Rudel mit einem Transporter sind. Sie fahren die Beute nach Hause, die wir heute hier erlegen werden, außerdem wären Menschen ohne Scheinwerferlicht schon zehnmal gegen einen Baum gefahren."

Unsicher trat ich von einer Pfote auf die andere. Stimmt, er hatte einen Transporter geschickt. Urplötzlich kam ich mir richtig dumm vor. Wie sonst sollten die Löwinnen im Dorf zu Nahrung kommen? Und natürlich konnten es nur Gestaltwandler mit ihren guten Sehvermögen sein, Hodari hatte in dieser Hinsicht vollkommen Recht. Ich hatte seit heute morgen vollkommen vergessen, wie wir unsere Beute ins Dorf bringen sollten. Ich wandte mich kopfschüttelnd wieder Hodari zu, der uns scheinbar sämtliche Jagdtechnicken aufzählte, die hier angebracht waren.

Als der Transporter neben Hodari hielt, wechselten die Männer ein paar Worte miteinander und gingen dann auf ihre Positionen. Naja zumindest fuhr der Transporter weg und außerhalb unseres Sichtfeldes. Ich konnte wegen meiner guten Augen erkennen, dass er über eine Hügelkuppe gefahren war und Hodari sich jetzt diesem Hügel zuwandte. Während wir darauf zuliefen, wurde das unschöne Gefühl in meiner Magengegend immer stärker.

Langsam stiegen wir den Hügel hinauf, der eine schöne Aussicht auf die umgebene Landschaft freigab. Von hier aus konnte man die Berge ein wenig besser sehen mit ihrem Schnee auf dem hochgelegenen Gipfeln.

"Wir sind da.", sagte unser Alpha und ich sah in das Tal hinunter. Dort unten waren keine Herden, wie ich es ursprünglich erwartet hatte. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und mir wurde speiübel als der Wind einen Geruch zu uns hinauftrug, den ich schon einmal vernommen hatte und das erst vor wenigen Tagen. Am Lagerfeuer dieses Rudels. Dieses Fleisch, das dort ausgeteilt wurde war kein fremdländisches, wie ich es anfangs vermutet hatte.

Zum Teufel nochmal, es war Menschenfleisch und Hodari hatte uns hierhergeführt, um selbst Menschen zu erlegen und anschließend zu fressen!

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt