11.Kapitel. Leichen und Verletzte.

620 43 11
                                    

Wir folgten Waris erneut zum Lagerfeuer, wo das restliche Rudel sich sammelte. Die Stimmung war bedrückt und Trauer hing in der Luft, noch bevor wir zum Feuer gelangten.

Rund um das Feuer herum wurden die Gefallenen gelegt, die Verletzten wurden in eine große Hütte gebracht, wo die Löwinnen, die der Pflanzenwelt kundig waren, alles daransetzten, das Leben ihrer Schützlinge zu erhalten. Ich starrte entsetzt auf die vielen am Feuer liegenden Löwen. Es war ein entsetzlicher und verstörender Anblick. Blut tropfte auf den Boden, Arme und Beine waren verstümmelt, manche Körper durchsiebt von Schüssen.
Die Menschen, die das getan hatten, hatten unser Rudel um etwa zwanzig Löwen dezimiert und weitere konnten ihren Verletzungen noch erliegen.
Amera neben mir keuchte leise.

"Sie haben fast die Hälfte des Rudels ermordet.", hauchte sie fassungslos.

'Wer immer das getan hat, es waren keine Wilderer. Sie hätten die Körper größtenteils nicht so zerschunden. Sie hätten direkt ins Herz gezielt, um die Felle nicht zu zerstören mit denen sie ihr Geld verdienen.', dachte ich nachdenklich und starrte ins Feuer.
Hodari stand nun auf und riss mich damit aus den Gedanken.
Er trat an die Gefallenen heran und setzte eine traurige Miene auf.
Sein Gesichtsausdruck sah so künstlich aus, dass es mich wunderte, dass niemand etwas sagte. Oder aber, niemand traute sich etwas zu der falschen Miene ihres Alphas zu sagen, weil er Methoden zu wissen schien, wie man seine Leute zum Schweigen brachte.
Er räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der Trauernden auf sich zu lenken.

"Meine lieben Mitlöwen und Mitlöwinnen, es schmerzt mich sagen zu müssen, dass wir heute viele gute Löwinnen im Kampf verloren haben. Sie haben für die Geheimhaltung unserer Art gekämpft und sind durch reinblütige Menschen mit ihren feigen Waffen gestorben."

Diese Rede spendete wenig bis gar keinen Trost, sie war einzig und allein dazu da, dass Hodari einen großen Auftritt bekam und uns gegen Menschen aufzubringen. Ich wäre am liebsten gegangen, doch das wäre respektlos gegenüber den Toten und Lebenden gewesen, also zwang ich mich still zu stehen und Hodaris Rede weiter zuzuhören.

"Diese Löwinnen die vor uns am Feuer liegen, waren allerdings nicht nur Kriegerinnen. Sie waren auch fabelhafte Mütter, wachsame Späherinnen und ohne jeden Zweifel ehrenhafte Mitglieder dieses Rudels."
Kurz hatte es sich so angehört, dass er nun doch etwas Trost spenden wollte, allerdings verschwand dieser Eindruck schnell wieder.

"Wir schweigen einen Moment um den Toten Respekt zu zollen und dann geleiten wir sie in die nächste Welt."

Interessiert horchte ich auf. Das Begleiten in die nächste Welt wurde immer als etwas ganz besonderes bezeichnet. In allen Rudeln war es eine Tradition, die von Rudel zu Rudel unterschiedlich war. Leider hatte ich soetwas noch nie miterlebt und konnte nicht sagen, um was genau es sich dabei handelte.
Alle senkten die Köpfe und schwiegen, bis Hodari wieder das Wort ergriff und an eine Löwin herantrat.

Er nannte ihren Namen und worin sie am Besten war, bevor er sie in ein dünnes Tuch wickelte, das eine junge Löwin ihm gereicht hatte. Sie trug noch eine ganze Menge von diesen Tüchern. Sie waren bunt und mit Mustern bestickt. Jedes Tuch hatte eine andere Farbe und ein anderes Muster.
Eine alte Löwin fing an in einer unerklärlichen Weise ein Klagelied zu singen, worauf Hodari den Leichmam anhob und in das Feuer warf.
Als sie brannte, murmelten die Löwen um uns herum:

"Unter Feuer geboren mit der Last des Lebens. Im Feuer befreit."
Stirnrunzelnd sah ich zu Waris, die, als sie meinen Blick bemerkte, lächelte und mir die Erklärung zuflüsterte.

"'Unter Feuer geboren' heisst, dass sie unter der Sonne geboren wurde und im Feuer befreit heisst, dass sobald der Körper fort ist, sich die Seele von ihm trennt und in den Nachthimmel aufsteigt."

Ich nickte und beobachtete wieder das Feuer. Es geschah nichts Besonderes, die Flammen züngelten sich in den schwarzen Himmel und strahlten Wärme in dieser kühlen Nacht aus. Hodari ging zur nächsten Löwin und wieder geschah das gleiche, wie bei der Löwin zuvor. Und so ging das bis zum Morgengrauen als alle Leichen verbrannt waren. Hodari ließ uns alle in unsere Hütten gehen und ließ uns den Rest des Tages in Ruhe.

Am Abend wurden wir alle wieder zum Lagerfeuer gerufen, um zusammen zu essen.
Es wurde wenig geredet und nur leise miteinander getuschelt. Alle waren noch der Trauer verfallen. Das Essen wurde wieder ausgeteilt und ich hörte, wie neben mir ein junger Löwe seinem Verwandten etwas zuflüsterte.

"Ich sage dir,in der letzten Nacht war ein fremder Löwe im Lager. Ich habe ihn selbst gerochen. Er hat mit jemandem geredet, zwar nur leise und ich konnte nichts verstehen, aber ich bin mir sicher."

"Ja klar ... und meine Mutter ist ein Krokodil.", meinte der andere. Gebannt hörte ich zu. Er hatte mich und Aman gehört und vielleicht sogar gerochen, wenn er Recht behielt. Es wäre sehr schlecht, wenn er meinen Geruch mit dieser Nacht verbinden würde und mich verpfeifen würde. Kurz sah ich zu Amera und Waris, die ins Feuer sahen und sich leise unterhielten. Da sie mit sich beschäftigt waren und mich nicht unbedingt in ihr Gespräch einbezogen, konzentrierte ich mich wieder auf die jungen Männchen.

"Ich sage dir die Wahrheit. Da war ein fremdes Männchen hier im Lager."

"Meine Güte! Du und deine Hirngespinnste. Wenn wirklich ein fremdes Männchen hier war, wieso hat es dann niemand außer dir bemerkt? Hodari würde nie einen Fremden in die Nähe seiner Löwinnen lassen." Genervt stolzierte der Junge davon und der Beobachter sah ihm nach. Seine dunkelgoldenen Haare strichen über seine Schultern und es war offensichtlich, dass ihm die Mähne gerade erst wuchs. Bald würde auch er von seinem Rudel verstoßen werden, um sich ein anderes zu suchen. Seufzend drehte er sich zum Feuer und starrte hinein. Wie ein geprügelter Hund saß er da und beobachtete beinahe ängstlich die Löwen um sich herum ... bis sein Blick auf mich fiel. Mein Herz sackte mir in die Hose und ich versuchte schnell woanders hinzuschauen.

"Hey.", sagte er leise und drehte sich zu mir. Verdammt!

"Du bist doch die Neue." Das war keine Frage.

"Wie heisst du?", fragte er und ich bewegte mich unbehaglich auf dem Baumstamm hin und her. Wenn er mich roch, wars das. Alle würden denken, ich plane, Hodari zu stürzen, damit ein anderer seinen Platz einnehmen konnte, wenn er mich mit der vergangenen Nacht in Verbindung brächte. Meine Gedanken überschlugen sich geradezu.
Ich drehte mich zu ihm und antwortete leise:
"Ja, ich bin Niara."

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt