4.Kapitel. Auf eigenen Beinen stehen.

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Erst im Morgengrauen suchten wir uns ein Versteck, in dem uns weder einige Verwandte, noch irgendwelche Wilderer aufspüren konnten. Viele Meilen hatten wir in der Nacht zurückgelegt und waren nun an einem reißenden Fluss angekommen, der uns dank seiner vielen Bäume und Sträucher, die an seinem Ufer wuchsen, ein wenig Deckung bot. Ich legte mich an einen Baumstamm und versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Amandla hatte vor einigen Stunden aufgehört zu weinen und folgte uns stumm. Amera saß am Ufer des Flusses und starrte auf das Wasser, das die Farben des Sonnenaufgangs spiegelte. Ich konnte nicht glauben, dass wir in der vergangenen Nacht wirklich vertrieben worden waren. Immer wieder spielte mein Kopf die gleichen Bilder ab, wie unser Vater Amandla geschlagen hatte. Ich sah in das Gesicht meiner Schwester, die ein paar Meter von mir entfernt lag und vor sich hin starrte. Der tiefe Kratzer an ihrer rechten Wange hatte inzwischen aufgehört zu bluten und die Blutspur die er in ihrem Fell hinterlassen hatte, war nun verkrustet.
Als ich mich beruhigt hatte, ging ich zu Amera, die sich nicht gerührt hatte und immernoch auf den Fluss sah.
Als ich mich neben sie setzte, begann sie zu flüstern.
Hätte ich nicht ein übermenschliches Gehör gehabt, hätte ich es nicht verstanden.

"Irgendwann musste es ja so kommen, dass wir vertrieben werden, doch so plötzlich und kurz vor einem Kampf. Sie hätten uns vielleicht gebraucht. Ob es ihnen gut geht? Ob sie es überstanden haben oder ob diese Typen doch nur durchgezogen sind?"

Ich sah sie nicht an, sondern starrte auf das sich kräuselnde, braune Wasser, das scheinbar langsam vor sich hin floss. Ich wollte nicht über soetwas nachdenken, doch Amera mit ihren Gedanken allein lassen, wollte ich genauso wenig.

"Ich weiß es nicht. Sie wollten uns einfach in Sicherheit bringen, denke ich, dass falls es zu einer Übernahme durch die Fremden kommt, dass wir in Sicherheit sind.", versuchte ich meiner Schwester zu erklären und war überrascht, dass Amandla sich neben mich setzte. Ich dachte, sie stände noch zu sehr unter Schock, dass sie erstmal für sich alleine sein wollte aber scheinbar wollte sie es nicht und suchte lieber unsere Nähe.

"Was machen wir jetzt?", fragte sie mit erstaunlich fester Stimme.

"Jetzt, meine liebe Schwester müssen wir uns ein neues Rudel suchen.", meinte Amera und trank etwas Wasser. Als sie damit fertig war, fragte sie noch:
"Wollen wir nicht etwas zu essen suchen? Ich habe Hunger."

Ich sah mich um. Hinter den Bäumen lag eine große Graslandschaft, auf der jetzt eigentlich Beute herumlaufen müsste.
Ich überlegte, was für uns eine geeignete Beute wäre und wie wir sie zu Fall bringen wollten, wenn nur eine von uns wirklich fähig ist zu jagen.
Amandla war noch zu geschwächt von der nächtlichen Wanderung und dem Blutverlust, also konnte sie höchstens einen kleinen Teil der Jagd erledigen.

"Ich würde sagen, Amandla übernimmt das Aufschrecken und Hetzen auf kurzer Strecke der Beute, während wir beiden dann das Tier zu Boden ringen.", überlegte ich laut und zuckte zusammen, als ich die erstaunten Blicke meiner Schwestern sah. Sie sahen mich an, als wäre ich gerade vor ihren Augen verschwunden und wieder aufgetaucht.

"Gute Idee. Amandla kann ja das Tier in ihrem Zustand nicht so zu Fall bringen."

"Natürlich kann ich das tun.", stritt sie ab und stand auf. Ihre Muskeln zuckten ein wenig, aber für eine kurze Hetzjagd sollte es reichen.

"Ich bin für Niara's Vorschlag. Er ist vernünftig.", meinte Amera und stand auf, dann wandte sie sich zur Graslandschaft. Wir standen ebenfalls auf und folgten ihr. Hoffentlich würden wir fündig werden, denn bald würde die Trockenzeit beginnen und die Tiere würden in die grüneren Regionen ziehen. Amera führte uns durch das hohe Gras, immer weiter von unserem Schlupfort weg. Mir war es unangenehm durch diese offene Landschaft zu gehen, da jederzeit Wilderer oder andere Löwen kommen könnten. Ich drängte mich dichter an Amandla und schärfte meine Sinne.

Gar nicht so weit entfernt hörte ich, wie Hufe über die Erde scharrten. Amera hatte es offensichtlich auch gehört und schlug den Weg in diese Richtung ein. Sie sah mich an und deutete mir mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen. Amandla sollte dort noch ein paar Minuten warten. Wir waren nicht mehr weit von unserer Beute entfernt und am Geruch konnte ich erkennen, dass es ein Zebra war. Aufregung machte sich in mir breit und der Hunger nahm zu. Wir hielten uns im Windschatten des Zebras so, dass es uns nicht wittern konnte.

Unsere Beute befand sich jetzt links neben uns. Amera bemerkte meine Aufregung und warf mir einen warnenden Blick zu, damit ich mich beherrschte und, dass ich stehen bleiben sollte. Ich riss mich zusammen und lauschte den Schritten unserer Beute, die urplötzlich an Tempo zunahmen. Amandla war also schon zum Angriff übergegangen. Amera bog scharf nach links ab, damit Amandla das Zebra geradewegs in eine Falle trieb. Ich duckte mich tiefer, bereit zum Sprung und wartete bis das Tier direkt vor mir war. Ich sprang ab, flog halb über das Tier und schaffte es mich in seinen Rücken zu krallen. Das Zebra buckelte und versuchte mich abzuwerfen aber ich verbiss mich in seinem Nacken und konnte es so von Amera ablenken, die nun von vorne kam und zum Kehlbiss ansetzte. Amandla hielt sich ab diesem Zeitpunkt raus, was uns nur sehr recht war. Unsere Beute versuchte panisch noch zu entkommen und sich irgendwie aus unseren Griffen zu befreien, doch Amera und ich hielten es fest, bis es zu Boden fiel und nach einer Weile aufhörte zu zucken. Ich zog meine Krallen ein und meine Zähne aus dem Nacken des Tieres. Amera ließ ebenfalls los und schon machten wir uns ans essen, bevor der Blutgeruch andere Jäger anlocken würde. Wir fraßen uns satt und am Nachmittag hörten wir das Lachen der Hyänen. Da beschlossen wir, dass es an der Zeit war zu gehen. Vollgefressen und langsam machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Versteck. Dort angekommen legten wir uns ersteinmal hin und schliefen bis in die Nacht hinein.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt