16. Kapitel. Bekannt oder unbekannt?

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Ich schien über ihren Köpfen zu schweben, während die beiden Löwen dort unten kämpften und sich wegen irgendeiner Sache umbringen wollten. Mein Körper, der dort unten lag und langsam vor sich hinblutete, wurde von oben durch ein kleines Mädchen, das in einem Turm saß mit Tränen beträufelt. Weshalb tat sie das? Hatte sie irgendeine Verbindung zu mir? War sie eine Verwandte? Oder vielleicht sogar meine Tochter? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich sah in meiner menschlichen Gestalt vollkommen anders aus.

Nach einer Weile endete der Kampf der beiden Löwen und sie riefen sich etwas zu, das ich nicht verstehen konnte. Während der eine in das kleine Dorf zurückging, ging der andere zu meinem Körper, verwandelte sich vor ihm in einen Menschen und hob meinen blutverschmierten Körper hoch. Er rief dem Mädchen etwas zu, das dann eilig hinunter zu ihm kletterte und die beiden im nahen Dickicht verschwanden. Da ich wissen wollte, was sie mit einem Körper machen wollten folgte ich ihnen aus der Luft.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich, während mein Körper immer mehr an Blut verloren hatte, immer weiter in den Himmel gestiegen war. Es war interessant zu beobachten, dass ich leichter war als irgendetwas anderes.

Der Löwe der sich im Kampf gegen den anderen behauptet hatte, lief immer weiter Richtung Osten, bis er einen Geländewagen erreichte und meinen Körper auf die Ladefläche legte.
Schnell öffnete er die Fahrertür und schien etwas darin zu suchen, bis er es schließlich fand. Er lief schnell zu meinem Körper zurück und drückte etwas an meinen Hals.

Ein kurzer Ruck durchfuhr mich und ich wurde ein winziges Stück zur Erde niedergezogen. Er sagte etwas zu dem Mädchen, das sofort auf die Ladefläche kletterte und seinen Platz einnahm, damit er nochmal etwas im Auto suchen konnte. Er zog sich schnell eine Hose an und kehrte dann mit einem kleinen Koffer zu meinem leblos aussehendem Körper zurrück. Er spritze mir etwas in die Schulter und fing an, an meinem Hals herumzudoktern, bis er plötzlich etwas an meinem Hals tastete.
Es dauerte ein paar Minuten bis er es mit dem Tasten aufgab, um stattdessen auf mich einzuhauen. Hektisch kramte er eine weitere Spritze aus dem Koffer und rammte diese mir in den Hals, fast sofort drückte er den Inhalt in meinen Körper und wartete dann kurz. Ich konnte beobachten, wie mein Körper zwangsverwandelt wurde. In meiner menschlichen Gestalt angekommen, begann er wieder an mir zu arbeiten. Er hatte beide Hände auf meinem Brustkorb gelegt und übte immer wieder Druck darauf aus. Nach einer Weile wechselte er zu meinem Mund und pustete hinein. Dieses ganze Prozedere wiederholte er mehrmals.
Was genau das bewirken sollte, wusste ich nicht, doch als ich sah, dass ich meinem Körper um einiges näher gekommen war, ahnte ich es.

Irgendwann war ich meiner irdischen Form wieder so nah, dass ich meine Wimpern zählen konnte. Der Junge gab aber auch nicht auf.
Immer wieder schlug er auf meinen Brustkorb ein und immer wieder blies er mir seinen Atem in den Mund.
Ich spührte einen leichten Sog der von meinem Körper ausging und der mich von selbst immer näher an sich zog.

Tief nach Luft ringend wachte ich auf und fing an zu husten.

"Langsam. Langsam.", sagte jemand neben mir und warf mir eine Decke über. Sofort wickelte ich mich tiefer darin ein und kauerte mich zusammen. Wie konnte es plötzlich so kalt sein? Ich versuchte meinen Hals so zu drehen, dass ich denjenigen sehen konnte, der mich angesprochen hatte, doch leider funktionierte das nicht ganz so, wie gehofft. Ich bekam den Hals nicht einen Zentimeter rum und wenn doch, dann nicht ohne schwarze Flecken zu sehen. Ich fauchte frustriert. Aber auch aus Angst.

"Oh tut mir leid."
Er rückte in mein unscharfes Sichtfeld.
"Tja dann, Willkommen zurück in der Welt der Lebenden.", meinte er schief lächelnd. Ich blinzelte, um ihn sehen zu können, doch viel half es nicht.
"Wie lange war ich denn nicht in der 'Welt der Lebenden'?", wollte ich wissen. Ich klang schrecklich heiser und zittrig. An sich zitterte mein ganzer Körper und das lag wahrscheinlich nicht nur an der fehlenden Durchblutung meines Körpers, sondern auch an dem, was ich in den letzten Minuten erlebt hatte. Ich sah den Jungen vor mir genauer an.

Schwarzes, kurzes, dichtes Haar schien aus seiner Kopfhaut zu fließen, ein Drei-Tage-Bart wuchs ihm an seinem kantigem Unterkiefer. Attraktiv war er, das konnte man nicht bestreiten aber am stechensten waren seine Augen. Sie sahen aus, als würden sie aus flüssigem Gold bestehen. Sie leuchteten mir in der Dunkelheit entgegen. Fasziniert sah ich sie genauer an. Sie wirkten auf unerklärliche Weise offen und gleichzeitig jedoch verschlossen. Sein Geruch ließ darauf schließen, dass er ein Löwengestaltwandler war und irgendwie kam dieser mir bekannt vor. Doch etwas anderes fiel mir auch auf.

"Falls du es noch nicht bemerkt hast, du blutest ein wenig aus den paar Kratzern, die du da an deinem Körper hast." Ich sagte es ein wenig untertrieben, er hatte verdammt viele Kratzer, einige tief, andere nicht so tief aber mindestens genauso schmerzvoll. Seine Antwort war ein leises Lachen.

"Es ist halb so wild und schon am heilen. Dein Alpha hat ziemlich gut gezielt, was deine Wunden und meine Kratzspuren betrifft. Die Kugel war tief drin in deinem Hals, aber ich habe sie herausholen können. Meine Kratzer sind da nicht schlimm.", meinte er und fing mit einem feuchten Tuch an, seine Wunden zu säubern. Das Tuch stank nach hochprozentigem Desinfektionsmittel und bestimmt konnte es jedes Lebewesen im Umkreis von zwanzig Metern oder noch mehr riechen aber die, die in nächster Nähe standen, liefen Gefahr allein vom Geruch beschwipst zu werden, es musste also sehr stark in seinen Wunden brennen, doch verzog er keine Miene, was mich irgendwie verstörte.

"Er ist nicht mein Alpha. Ich habe nur ein paar Tage unter seinem Kommando gelebt, weil meine Schwester unbedingt in ein Rudel wollte."

"Wieso bist du dann nicht weggegangen?", fragte er mich und hielt in seiner Handlung inne, um mich fragend anzusehen. Die Frage klang nicht verurteilend, sondern eher ... interessiert. Ich dachte kurz über seine Frage nach.

"Weil ich nicht allein sein und meine Schwester nicht allein lassen wollte.", sagte ich wahrheitsgemäß und setzte mich auf, was aufgrund des Zitterns, sich als schwierig gestaltete.
"Langsam!", mahnte mein Gegenüber, doch ich achtete nicht sonderlich darauf. Als ich endlich saß, konnte ich fortfahren.

"Noch dazu hätte ich allein nicht lange überlebt, da ich nicht besonders gut jagen kann. In einer Gruppe geht es aber allein? Ich wäre nach wenigen Tagen Futter für die Geier und Würmer gewesen.", fügte ich noch hinzu und legte meinen Kopf trotz der gerade erst abgedeckten Wunde auf die Knie. Es zog leicht, doch ich ließ mir nichts anmerken. Ich fühlte mich total müde und erschöpft.
Nur mit Mühe konnte ich meine Augen offen halten.

"Kannst du gehen?", fragte er leise. Ich schüttelte träge den Kopf und wollte mich am liebsten wieder hinlegen, um ein wenig zu schlafen.

"Natürlich nicht. Pass auf, ich lege dich auf die Rückbank meines Wagens und du schläfst ein bisschen. Das Mädchen, dass du gerettet hast, nehmen wir mit, da der Alpha wahrscheinlich niemanden am Leben gelassen hat. Du brauchst dir also um sie keine Sorgen zu machen.", sagte er, hob mich hoch als wöge ich nicht mehr als eine Feder und kletterte von der Ladefläche. Während er zum Auto ging, fiel mir etwas ein.

"Wie heisst du eigentlich?", fragte ich mit geschlossenen Augen.

Er lachte wieder sein leises Lachen und antwortete mir:
"Du kennst mich bereits."

Ich atmete seinen Geruch ein und mir wurde klar, dass er die Wahrheit sagte. Ich kannte ihn schon und sein Geruch war verdammt nochmal der Hammer. Ich kuschelte mich instinktiv etwas enger an ihn und konnte seinen Herzschlag hören. Dieses rhythmische Geräusch war nur ein weiterer Grund, weshalb ich nur Sekunden später wegdämmerte.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt