2. Kapitel. unschöne Nachrichten

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Als wir in die Nähe unseres Haupversammlungsplatzes kamen, fielen uns bereits die angespannte Stimmung und die auffälligen Blicke zu Mojo auf. Er saß mit seinen Brüdern an einer Schirmakazie und ließ seinen Blick über die versammelte Familie gleiten. Papa sah sehr angespannt und wachsam aus. Ständig irrte sein Blick umher und als er uns drei kommen sah, konnte ich Erleichterung in seinen goldenen Augen sehen. Er stupste Mama an und deutete mit einem Kopfnicken in unsere Richtung. Auch sie schien erleichtert zu sein, uns zu sehen. Irgendetwas musste passiert sein, sonst hätte Mojo keine Versammlung einberufen und meine Eltern wären nicht so erleichtert gewesen, uns zu sehen. Misstrauisch sah ich in die Runde, während ich mich mit meinen Schwestern in die Nähe unserer Eltern setzte. Langsam ließ ich meinen Blick über die versammelten Löwengestaltwandler schweifen. Jemand fehlte hier und es fiel mir fast sofort auf wer. Mama stupste mich an und als ich sie ansah, erwiderte sie meinen Blick toternst.
"Wo ist Tante Jaba?", fragte ich leise und hoffte wirklich, dass nichts passiert war. Tränen bildeten sich in den Augen meiner Mutter und ich ahnte schlimmes.
"Tot.", antwortete sie mit zittriger Stimme. Dieses eine kleine Wort erschütterte mein Inneres. Erschrocken blickte ich in die Runde und zu ihren Kindern, die etwa mein Jahrgang waren. Sie ließen die Köpfe hängen und schienen mit niemandem reden zu wollen.
"Wie?", wollte ich noch wissen aber bevor meine Mutter antworten konnte, fing Mojo an zu sprechen. Er stand auf und schüttelte seine imposante dunkle Mähne.
"Einige von euch wissen es bereits, für alle anderen wiederhole ich es noch einmal.", sagte er im sanften, traurigen Ton und sah mittleidig zu Jabas Kindern. "Jaba ist tot. Wilderer haben sie erschossen als sie zum Wasserloch ging, um zu Trinken. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Männer sich einen Spaß mit ihrem toten Körper gemacht haben. Sie haben ihren Körper genauso missbraucht, wie den ihres Sohnes, der vor einigen Monaten erschossen worden ist, wie uns Niara damals berichtete." Er warf mir einen kurzen Blick zu und sprach dann weiter, den Blick Jabas Kindern zugewandt. Bilder von damals gerieten wieder in den Vordergrund meines Gedächtnisses,  welche ich schnell unterdrückte. "Es ist derzeit nicht mehr sicher in Löwengestalt umherzulaufen. Wir sollten in unser Dorf ziehen und warten bis die Wilderer wieder abgezogen sind. Scheinbar haben sie es nicht auf Elefanten und Nashörner abgesehen, sondern direkt auf uns Löwen. Warum sie speziell Jagd auf uns machen, weiß ich nicht. Ich habe lediglich Vermutungen, die ich allerdings nich äußern werde, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ich kann die Trauer um Jaba nicht im Geringsten lindern. Es schmerzt mich selbst, zu wissen, dass sie niemals wiederkommt aber wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren, damit wir uns in das Dorf retten können. Morgen früh brechen wir auf."
So beendete er seine Rede an die Familie und wandte sich an meinen Vater und seinen Bruder. Sie schienen noch einiges besprechen zu wollen. Die Löwinnen verstreuten sich und die Welpen tappsten unsicher ihren Müttern hinterher. Mama stupste mich an und deutete mir ihr zu folgen. Als sie mich etwas abseits geführt hatte, sprach sie die unvermeidliche Frage aus.
"Hast du etwas fangen können?", fragte sie mich und es tat weh, zu wissen, dass sie den hoffnungsvollen Blick gleich gegen einen Enttäuschten eintauschen würde. Ich schüttelte den Kopf und es trat so ein, wie ich vermutet hatte. In ihren Augen machte sich die Enttäuschung breit, also versuchte ich es etwas herunter zu spielen.
"Mama, du kennst mich doch. Ich suche mir immer die unmögliche Beute aus."
"Was war es diesmal?", fragte sie mit einem bitteren Unterton und sah hinauf in die Baumkronen.
"Gazelle.", murmelte ich mit gesenktem Blick. Hoffentlich würde sie mir keinen Vortrag darüberhalten, dass wir nur die alten und kranken Tiere erlegten und fraßen. Ich erwartete ihn schon fast, doch irgendwie kam er nicht. Ich sah hoch und sah meiner Mutter ins Gesicht. Sie hatte extrem viele Narben für eine Frau, die gerade mal an der vierzigsten Altersmarke kratzte. Die Narben stammten aus früheren Kämpfen mit anderen Löwen, einige stammten von einem Krokodil und ein paar von Hyänen. Wir lebten zum Großteil in unserer Löwengestalt, weil das Leben so viel einfacher war und nur selten verwandelten wir uns in unsere menschliche Gestalt. Wir schliefen unter den Sternen, jagten unser Abendessen selbst und brauchten uns um nichts wirklich Sorgen machen, solange keine Trockenzeit war oder sich Wilderer oder andere Eindringlinge hier aufhielten.
Meine Mutter seufzte und ergriff erneut das Wort.
"Du kennst meine Aussage zu diesem Thema schon und ich werde mich nicht nocheinmal wiederholen. Entweder du lernst es endlich oder du wirst irgendwann verhungern, sollte sich das Rudel dazu entschließen, euch zu vertreiben." Ach ja, das Vertreiben. Das war eine uralte Maßnahme, um das Blut rein zu halten und Inzucht in jeglicher Weise zu vermeiden. Auf diese Weise kamen andere Weibchen in unser Rudel und wir in andere. Es war ein ziemlich gemeines Verfahren, bei dem die Alphamännchen des Rudels ihre Nachkommen mit Zähnen und Krallen vertrieben. Löwinnen wurden im Vergleich zu den männlichen Nachkommen relativ sanft behandelt. Es konnte da schon einmal passieren, dass einer der Jungs an seinen Verletzungen starb. Unsere ganze Jugend über wurden wir darauf vorbereitet, notfalls allein zu überleben, sollte sich kein anderes Rudel für uns finden. Ich senkte den Blick wieder und trottete langsam zurück zu meinen Schwestern. Mit ihnen würde ich auf die Kleinen aufpassen, solange das restliche Rudel auf der Jagd war, zu der unser Vater gerade ausgerufen hatte.

Amera betrachtete den Haufen Kinder zu ihren Pfoten skeptisch.
"Wie sollen wir auf diese Flöhe aufpassen, während die Alten unterwegs sind?", fragte sie mich flüsternd. Ich zuckte mit den Schultern.
"Wird schon irgendwie klappen.", murmelte ich und legte mich auf einen Erdhügel, von dem ich die Ebene vor den Bäumen und Büschen überblicken konnte. Hinter mir an eben jenen Bäumen und Büschen passten meine Schwestern auf die Kleinen auf, während ich die erste Wache hielt. Es würde einige Stunden dauern bis die Erwachsenen kommen würden und die Verantwortung für die Kinder wieder übernehmen konnten. Amandla versuchte die Kleinen mit einem Spiel bei Laune zu halten, was ihr überraschend gut gelang. Während sie und die Kids hinter mir herumtollten, sah ich mich wachsam in der Gegend um.
Von Osten zogen Wolken auf, die allerdings nicht nach Regen aussahen. Die neun Welpen wurden nach einiger Zeit müde und legten sich in den Schatten, während ich mit Amera tauschte. Amandla lächelte mir entgegen und sah auf die schlafenden Kinder.
"Kannst du dir vorstellen irgendwann Mutter zu sein?", fragte sie und ich sah sie erstaunt an. Nein, konnte ich nicht, außerdem konnte ich keine gute Mutter werden, wenn ich nicht einmal jagen konnte.
Ich schüttelte den Kopf und kletterte auf den Baum. Meine Krallen bohrten sich tief in die Rinde, während ich mich nach oben zog. Auf einem der mittleren Äste nahm ich Platz.
Amera sah zu mir hinauf.
"Du weisst, dass es dem Rudel nicht gefallen wird, wenn sie dich schon wieder auf einem Baum vorfinden."
Ich zuckte lediglich mit den Schultern und sah in die Ferne. Dort, am Horizont, war eine riesige Herde versammelt, wahrscheinlich viele Gnus, Zebras, Antilopen, Büffel. Wieso bekam ich jetzt wieder Hunger? Ich hatte doch vorhin erst etwas gegessen. Ich blickte weiter umher und plötzlich bemerkte ich eine Bewegung am Rande des Akazienwäldchens mit den vielen Büschen, die reichlich Deckung boten. Ich sah direkt in diese Richtung und konnte meinen Augen nicht trauen.
Ein großer schwarzer Löwe lief dort an den Büschen entlang und beschnüffelte sie. Ich sprang von meinem Ast und lief hinaus auf die freie Fläche, damit er mich sehen konnte, damit er sehen konnte, dass dieser Platz bereits bewohnt war und er keinen Schritt näher kommen durfte. Wir mussten die Jungen beschützen und ein fremder Mann war jederzeit eine Bedrohung für die Kleinen. Er blieb stehen und musterte mich abschätzend, forschend und neugierig. In seinem Blick lag etwas menschliches und mich faszinierte seine Erscheinung. Sie faszinierte mich zwar, aber ich durfte nicht vergessen, dass wir hier Welpen hatten. Ich knurrte und sofort traten meine Schwestern an meine Seite. Ich sah kurz zu ihnen und als ich wieder zu dem schwarzen Löwen sehen wollte, war er verschwunden.
"Was ist los? Was ist da?", fragten sie nervös und durcheinander. Verdattert sah ich auf die Stelle an der der Löwe zuletzt gestanden gatte.
"Äh ... habt ihr beide gerade den schwarzen Löwen dort gesehen?"
Nun waren sie an der Reihe mich verdutzt anzusehen.
"Niara, da war kein Löwe. Schon gar keiner mit dieser Fellfärbung. Es gibt keine schwarzen Löwen. Hast du zu viel Sonne abbekommen?", fragte Amera abwertend, drehte sich wieder um und kletterte auf den Aussichtshügel. Amandla sah mir noch kurz forschend in die Augen, bervor sie sich ebenfalls abwandte und zu ihrem Platz zwischen den Kindern ging. Verwirrt sah ich noch einmal auf die Stelle, doch der Löwe tauchte nicht wieder auf. Ich kletterte wieder auf meinen Baum und beobachtete die Umgebung genau, um rechtzeitig Alarm schlagen zu können.
Die Sonne ging langsam im Westen unter und das Rudel musste langsam von der Jagd zurückkommen. Während der ganzen Zeit ließ mich diese Begegnung nicht in Ruhe. Der Fremde tauchte zwar nicht wieder auf, aber dennoch war ich in höchster Alarmbereitschaft. Amandla lag inzwischen auf dem Hügel und beobachtete die Landschaft, während Amera und ich auf die Kinder aufpassen und sie bei Laune halten mussten. Ich beobachtete, wie sie sich bemühten an einem Baum hochzuklettern. Es war nichts Falsches daran, an Bäumen hochklettern zu können, so konnte man sich in Sicherheit bringen, falls ein Büffel mal einen schlechten Tag hatte ... obwohl eigentlich waren die immer schlecht gelaunt und nur selten kamen alle von uns unversehrt von einer Büffenjagd heim. Seufzend legte ich mich in das Gras und sah zu Amandla, die wie hypnotisiert auf einen Fleck in der Landschaft starrte.

"Sie kommen zurück.", sagte Amandla und rappelte sich hoch.

Amera stand ebenfalls auf und schüttelte sich den Dreck aus dem Fell. "Wir könnten ihnen entegenlaufen, aber nur wenn ihr zusammenbleibt und keiner von euch vorneweg rennt.", sagte sie an die Welpen gewandt und diese nickten eifrig.

Amera ging vor unserer kleinen Gruppe, während Amandla und ich hinter den Kindern gingen. Sie waren höchstens zwei Monate alt und noch nicht ruhig genug, um mit unserer Familie jagen gehen zu können. Bei unserer Art war es mit dem Alter so eine Sache. In den ersten drei Jahren unseres Lebens altern wir wie ganz normale Löwen und in den darauffolgenden Jahren wie die Menschen. So sehen wir im Alter von zwei Jahren schon aus, wie ein junger Mensch. Das Rudel war bereits in Sichtweite und Amera ließ die Kleinen zu ihren Müttern laufen. Ich war froh keine Verantwortung mehr tragen zu müssen, da die Kleinen mehr als anstrengend sein können. So kümmerten sich wieder ihre Mütter um sie und wir konnten uns um uns kümmern.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt