12. Kapitel. Erklären und lügen.

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Zu spät wurde mir bewusst, dass ich ja offiziell stumm war. Ihm zu antworten, war zu einem Reflex geworden, um nicht aufzufliegen. Erschrocken sah ich ihn an.
"Du sprichst ja wieder. Wie schön.", sagte er laut und in heller Aufregung.

Sofort drehten sich sämtliche Köpfe zu uns und eine Stille legte sich über die Leute. Waris und Amera sahen mich erschrocken an. Jetzt musste ich schauspielern, ob ich wollte oder nicht und ich hoffte, dass sie beide mitspielen würden. Doch daraus wurde nichts, denn Hodari trat vor und sah mich fies grinsend an.

"Ach sieh mal einer an, unser scheues Kätzchen hat ihr Schweigegelübde abgelegt und will nun doch mit uns kommunizieren.", sagte er mit einer triefenden Ironie in der Stimme. Ich musste ein Fauchen unterdrücken, das sich in meinem Inneren vorkämpfte.

Ich sagte nichts. Es war vielleicht besser, vorerst still zu bleiben.
Amera hingegen stand auf und sah ihn an.
"Ja sie redet seit letzter Nacht, als sie bemerkt hatte, dass sich etwas ins Lager geschlichen hatte."

"AHA!",rief der Junge aus, der Aman und mich belauscht hatte und stand hektisch auf.
"Ich wusste doch, dass da etwas war."
Er sah zu seinem Kumpel.
"Ich hatte dir doch gesagt, dass etwas dort war. Du wolltest es mir ja nicht glauben.", maulte er los bis Hodari ihn unterbrach.
"Hast du gerochen, um was es sich handelte?"

"Es handelte sich um einen fremden Löwenmann, der sich mit einer Löwin unterhielt, soweit ich mich erinnern konnte, geehrter Vater. Ihr Geruch kam mir bekannt vor als wäre sie aus diesem Rudel. Sie hat sich mit einem fremden Männchen unterhalten.", sagte der Halbwüchsige mit verschwörerischem Grinsen zu mir gewandt, doch seine Augen fixierten seinen Vater.

"Ist dir klar, dass du gerade Niara mit deinem Grinsen verdächtigst, dem Fremden geholfen zu haben?", fragte Hodari mit einem scharfkantigem Unterton in der Stimme. Er hatte das Grinsen deuten können und nun saß ich tief in der Scheiße.

Der Junge warf mir einen Blick zu und ich hätte ihm am liebsten meine Krallen in sein Gesicht gehauen, damit er dieses Grinsen verlor.

"Ja das ist mir durchaus klar. Sie ist fremd hier. Wir haben keinen Grund ihr zu trauen, da sie ja bisher nur geschwiegen hat. Sie hätte sich mit dem Löwen treffen und planen können, wie sie dich ersetzen könnte."

Hodari wandte sich mir zu und seine Miene war verschlossen und kalt.

"Niara was hast du zu dieser Anschuldigung zu sagen?"

Ich räusperte mich und fing mit kalter Stimme an zu reden, während sich das Gemurmel um mich herum einstellte. Noch einmal betrachtete ich den jungen Löwen ganz genau. Er sah aus wie jemand, der jedes Risiko eingehen würde. Ein kleiner Draufgänger, dessen Tage im Rudel gezählt waren, der aber im Herzen noch ein Junges war und am liebsten noch länger bei seiner Mutter und seiner Familie geblieben wäre. Er hatte Angst davor, zukünftig allein umherzuwandeln und sich alles zu erkämpfen, was er haben wollte oder brauchte.
Ich konnte nur hoffen, dass ich mit dieser Einschätzung richtig lag.

"Lüge. Ich war die ganze Zeit in meiner Hütte, zusammen mit Waris und Amera. Dein Sohn will sich scheinbar mehr Zeit in diesem Rudel erschleichen, indem er einen Verrat aufdeckt, den keiner begangen hat, großer Alpha Hodari." Mehr musste ich gar nicht sagen, um das Gemurmel wieder zu entfachen. Einige Löwinnen fauchten empört auf, andere lachten unsicher und wieder andere, wie meine Schwester und Waris schwiegen. Ich hatte das ausgesprochen, was ich in dem Jungen sah. Jetzt war es an Hodari, zu entscheiden. Der Halbwüchsige brüllte wütend auf und wollte vorspringen, doch sein Freund, der etwas kräftiger war als er, hielt ihn fest, während er mit ausgefahrenen Krallen versuchte, mich zu erwischen.

Hodari lachte schallend und das überraschte mich mehr als alles andere.

"Ich glaube, du hast ihn durchschaut. Viele haben schon versucht, durch Lügen länger in diesem Rudel bleiben zu können. Er wird es sich eingebildet haben, wäre nicht das erste Mal. Wir lassen dieses Thema vorerst ruhen.", sagte er, wandte sich lächelnd ab und ging zu seinem gewohntem Sitzplatz zurück. Sein Junge fauchte und hieb mit den Krallen nun nach seinem Kumpel, der ebenfalls fauchend seine Löwengestalt annahm und somit den Jungen herausforderte.
Als beide Halbwüchsigen brüllend und fauchend durch das Lager rannten, beruhigte sich die Stimmung am Feuer und alle beobachteten das Kräftemessen. Es dauerte nicht lange bis der Kampf entschieden war und der Herausforderer den anderen zu Boden gerungen und ihn dort festhalten konnte. Scheinbar war der Kleine noch schwächer als ich dachte.

Irgendwann entschied ich mich, das Lagerfeuer zu verlassen und in meine Hütte zu gehen. Es war schon spät und der Platz leerte sich langsam, während die Sterne am Himmel glitzerten und damit zum träumen einluden. Wir gingen zu dritt zurück zu unserer Hütte und verabschiedeten uns dort von Waris, die gleich darauf auf ihre Hütte zutrottete. Amera sah mich müde lächelnd an.

"Bevor wir schlafen gehen, solltest du mir erzählen, was in der letzten Nacht zwischen dir und diesem Fremden gelaufen ist. Sein Geruch haftet immernoch leicht an dir. Der hat dich wahrscheinlich auch bei dem Halbwüchsigen verraten." Neugierig ruhte ihr Blick auf mir und ich erzählte ihr alles. Nur ein Thema ließ  ich weg, nämlich Amandla. Über sie zu sprechen tat weh und außerdem wollte ich nicht, dass mir Amera auch noch Vorwürfe machte. Es war schlimm genug, dass ich es selbst tat.

"Er ist kein Fremder, eher ein Bekannter. Ich habe ihn jetzt schon dreimal gesehen und auch mit ihm gesprochen. Ich habe ihn das erste Mal in unserem Revier getroffen. Als wir auf die Kleinen aufpassen sollten und wir kurz danach vertrieben wurden. Er ist der schwarze Löwe, den ich gesehen hatte."
Stirnrunzelnd sah sie mich an und schien einen Moment nachzudenken, kurz dachte ich, sie würde mich gleich für verrückt erklären, doch das war nicht der Fall.
"Sprich weiter!", meinte sie ernst und setzte sich auf ihre Decke. Ich machte es mir ebenfalls gemütlich, bevor ich weitererzählte.
"Das zweite Mal traf ich ihn kurz bevor die Wilderer uns am Fluss angriffen. Er hatte mich gewarnt und mir seinen Namen verraten. Er heisst Aman und zuletzt traf ich ihn hier. Er schlich durch das Dorf und schien etwas zu suchen, bevor ich ihn angesprungen und damit aufgehalten hatte."
Amera sah mich an als wäre ich verrückt.
"Du bist einen fremden Löwen angesprungen? Bist du noch zu retten?"
Instinktiv versuchte ich mich zu verteidigen.
"Ich bin ihm nur auf den Rücken gesprungen. Außerdem wusste ich, dass mir nicht passiert, da er darauf bedacht war, leise zu sein und kein Aufsehen zu erregen. Ich wollte wissen, ob und warum er uns verfolgt."
Sie schüttelte den Kopf und legte sich hin.
"Wir sollten besser schlafen. Morgen will das Rudel die Jagd vorbereiten, die ja schon übermorgen ist.", meinte sie und drehte mir den Rücken zu.

Sie lag noch eine ganze Weile wach, wie ich an ihrem Atem hören konnte, doch als sie dann schlief, wurden meine Augen auch immer träger und irgendwann schlief auch ich ein.

Löwen - Das Geheimnis der SavanneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt