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Donnerstag, 14. Mai 2016, Miami

P.o.V Grace

Ich riss meine Augen auf.
Nein, nicht schon wieder..

Ich blickte mich um.
Okay, keiner guckt mich an, also habe ich nicht geschrien..

Ich wischte mir schnell die Tränen von meinem Gesicht weg und strich mir die Haare hinter die Ohren.

Mein Blick ging auf mein Handy und ich stellte die Musik ab, die bis eben noch lief. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich nur noch eine halbe Stunde fahren müsste.

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Ich ließ erst die ganzen anderen Menschen aussteigen, bevor auch ich dann endlich den Bus verließ.
Ich nahm meinen Koffer und zog ihn aus dem Bus raus.

Warum habe ich nur so viele Sachen eingepackt?

Ich kramte den Zettel mit der Wegbeschreibung raus.

Bitte gehen sie jetzt genau 756 Meter nach Osten und dann biegen sie nach rechts in ein Waldstück ab. Dann folgen sie 2234 Meter dem Pfad, der blau gekennzeichnet ist und dann müssten sie eigentlich auf der rechten Seite auf eine Kreuzungen treffen.
Dort biegen sie dann links ab und gehen dann geradeaus, bis sie unser Camp erblicken.

Ich starrte den Zettel an. Das kann doch jetzt nicht deren Ernst sein, oder? Woher zum Teufel soll ich wissen, wie weit 756 Meter sind!?

Mürrisch griff ich nach meinem Koffer und zog ihn hinter mir her. Ich ging einfach Richtung Osten. Irgendwann wird ja eine Kreuzung kommen.

Plötzlich verlor mein Koffer das Gleichgewicht und fiel um.
Ich blickte verwundert auf den Boden und sah, dass mein Koffer ein Rad verloren hatte.

"Gott, bitte nicht", sagte ich und seufzte.

Ich bückte mich, hob das Rad auf und betrachtete es.

"Es ist eindeutig abgebrochen."

Ich drehte mich ruckartig um, als ich die fremde Stimme hinter mir hörte.

Vor mir stand ein Junge. Er war vielleicht ein paar Jahre älter als ich und er war tätowiert. Und zwar von Kopf bis Fuß. Er machte einen ziemlich einschüchternden Eindruck.

"Äh.. Ja, das sehe ich..", murmelte ich und verfluchte innerlich diesen scheiß Koffer.

"Wenn du willst, kann ich dir helfen", sagte der Typ.

"Ich ähm...nein, danke. Ich bekomme das schon hin", sagte ich und versuchte meinen Koffer hochzuheben, wobei ich allerdings scheiterte, da dieses Ding echt verdammt schwer war.

"Sicher, dass ich dir nicht helfen soll?", fragte er nochmal nach.

Ich dachte kurz darüber nach. Also alleine würde ich es sowieso nicht schaffen und so wie er aussah, würde er den Koffer mit einer Hand halten können. Allerdings sah er nicht gerade sehr nett aus, sondern machte eher einen gefährlichen Eindruck. Aber trotzdem könnte ich Hilfe gut gebrauchen.

"Na ja, vielleicht doch.. ", sagte ich und schaute ihn von unten an.

Hatte ich schon erwähnt, dass er ziemlich groß ist?
Er war bestimmt mehr als einen Kopf größer als ich..

Der Typ lachte kurz, was bei ihm verdammt sexy klang, und schnappte sich dann meinen Koffer und ging einfach los.

"Warte! Du weißt doch gar nicht, wo ich hin will!", rief ich und holte ihn wieder ein.

"Ins Camp, richtig?", fragte er.

"J-ja. Woher weißt du das?"

"Nun ja, ich habe gesehen, dass du in diese Richtung willst und da es in diese Richtung nur zum Camp geht, habe ich mir gedacht, dass du da hin willst. Außerdem muss ich da auch hin."

Ich schaute ihn überrascht an. "Wieso musst du da hin?"

"Ich schätze mal, aus dem gleichen Grund, weshalb du da hingehst.", sagte er gleichgültig.

Ich verkrampfte mich und meine Finger schlossen sich eng um meine Tasche.
Tränen brannten in meinen Augen, doch ich wollte jetzt nicht weinen. Das hatte ich die letzten sieben Monate zu oft getan.
Ich atmete einmal tief ein und aus, und versuchte meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen.

"Ich bin übrigens Jake", sagte er und sein Gesichtsausdruck wandelte sich wieder in freundlich um.

"Grace", stellte ich mich vor.

Kurz war Stille zwischen uns und ich überlegte, was ich sagen konnte, um das unangenehme Schweigen zwischen uns aufzulösen.

"Freust du dich schon auf das Camp?", fragten wir beide gleichzeitig.

Er lachte leise und auch ich musste grinsen.

"Ladies first", sagte er und lächelte mich an.

Also langsam, ganz langsam, wird er mir sympathisch.

"Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was mich erwartet. Ich glaube freuen kann man das jetzt nicht direkt nennen. Ich bin ziemlich nervös​, aber ich würde lieber zu Hause bleiben. Und du?"

"Na ja, es tut vielleicht mal ganz gut Abstand von allem zu haben", sagte er und klang dabei nachdenklich.

Ich nickte. "Stimmt auch wieder."
Auch er nickte.

Ich überlegte, ob ich ihm die Frage stellen sollte, die mir schon die ganze Zeit im Kopf rumschwirrt. Aber was ist, wenn er da empfindlich drauf reagiert?

"Darf ich dich mal etwas fragen..?", fragte ich.

Er schaute mich von der Seite an und seine blauen Augen durchbohrten mich fast. "Klar."

"Warum.. Warum hast du so viele Tattoos? Haben die für dich irgendeine Bedeutung?", fragte ich vorsichtig.

Kurz spannte er sich an und seine Mundwinkel gingen nach unten, doch dann setzte er wieder sein lächeln auf.

Aber ich sah, dass es nicht echt war. Es war ein gequältes lächeln, welches ich auch immer in den letzten sieben Monaten aufgesetzt hatte.

"Ja, sie haben eine Bedeutung. Jedes einzelne von ihnen."

My Own SummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt