Prolog

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Sie saß auf dem schmalen Fensterbrett in ihrem Zimmer und sah hinaus auf die verlassene Straße. Ihr strahlend blondes Haar war sehr kurz und schlecht geschnitten. An einigen Stellen, war das Haar so kurz, dass es aussah wie geschoren. Die Arme hatte das junge Mädchen um ihre zierlichen Beine geschlungen, die Ärmel des Pullovers über ihre Hände gezogen. In dem roten Pullover den sie trug, ging sie fast unter, weil er ihr mindestens zwei Nummern zu groß war. Die dunkle Hose, die sie trug, hatte ihre besten Zeiten auch schon längst hinter sich gelassen. Eine große Auswahl an Kleidungsstücken besaß sie aber nicht. Sie gab sich damit zufrieden, dass es sie warmhielt. Hohe Ansprüche hatte sie nicht. Wenn sie überhaupt welche hatte.

Sie lehnte den Kopf seitlich gegen die Fensterscheibe und beobachtete die Schneeflocken, wie sie langsam zu Boden fielen und sich zu den anderen Schneeflocken, die schon eine 3 cm hohe Schneeschicht gebildet hatten, gesellten. Hin und wieder beobachtete sie auch einen Tropfen, der an der Fensterscheibe herunterlief. Sie zog die einzelnen Linien der Wasserspuren mit ihrem dünnen Zeigefinger nach und versuchte so, alles um sich herum auszublenden. Die Tatsache, dass die Heizung nicht funktionierte, dass gegenüber in dem Wohnhaus eine Familie glücklich zusammen im Wohnzimmer saß und auch wenn sie nicht viel hatten, sie freudig den Abend zusammen verbrachten. Den täglich währenden Streit ihrer Mutter mit dem Typen, den sie den Mann an ihrer Seite nannte, obwohl sie wusste, dass er mindestens noch zwei weitere Frauen in dem Bezirk hatte. Das Hämmern des Balls, den ihr jüngerer Bruder nebenan in seinem Zimmer immer wieder gegen die Wand warf. Und sie versuchte zu verdrängen, dass sie auch dieses Jahr kein Weihnachten feiern würden.

Seit ihr Vater vor zwei Jahren gestorben war, war nichts mehr, wie es sein sollte. Ihre Mutter war in Depressionen verfallen und somit blieb alles damals an ihr hängen. Doch was hätte sie anderes tun können, als aufzuhören Kind zu sein und ihre Mutter zu unterstützen? Nach etwas mehr als einem Jahr hatte ihre Mutter immerhin wieder einen Job als Kellnerin angenommen, doch das Geld reichte trotzdem vorne und hinten nicht. Darum ging sie selber arbeiten. Neben der Schule versuchte sie noch etwas Geld zu verdienen, damit sie nicht komplett in den Schulden erstickten, damit sie etwas zu Essen haben konnten. Doch als Mädchen verdient man nicht viel. Aber ihr war bewusst, dass jeder Penni zählte. Damals, als der Unfall passierte, war sie 12 gewesen. Sie lebten seitdem nur noch von dem Gehalt, welches ihre Mutter als Kellnerin und sie beim Zeitungsaustragen und Baby Sitten verdienten.

Ihr Bruder half in einer Werkstatt aus, aber auf ihn war nie wirklich Verlass. Sie wusste, dass er ein Teil des Geldes für sich behielt. Ihrer Mutter hatte sie es nie gesagt, weil sie ihren ein Jahr jüngeren Bruder verstehen konnte. Sie wusste, dass er sich heimlich eine Tafel Schokolade oder ein cooles T-Shirt kaufte. Er wollte dazu gehören. Das verstand sie. Sie jedoch hatte schon vor langer Zeit versucht dazuzugehören.

So kamen sie gerade über die Runden. Ihre Mutter redete mindestens einmal täglich auf sie ein, dass sie nach ihrer High School sich einen Job suchen sollte, damit sie die Familie noch besser unterstützen konnte. College und Studieren würde überbewertet werden, sagte sie immer wieder. Sie hatte noch eine Zeit lang, bis sie mit der High School fertig sein würde. Aber es stimmte sie traurig, dass ihre Mutter ihr die Chance nehmen wollte, etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie durfte schon so wenig. Aber es war ihr Alltag mit dem sie jeden Morgen aufwachte und jeden Abend einschlief. Ihre Mutter glaubte nicht, dass sie es schaffen könnte, einen anständigen, gut bezahlten Job zu finden. Sie tauge ja zu nichts. Vielleicht war sie die Klassenbeste, aber mit guten Noten, so predigte ihre Mutter immer, konnte man kein Essen kaufen. Tief in ihrem Inneren hoffte sie, dass sie eines Tages die Kraft finden würde, sich von ihrer Mutter loszueisen. Vielleicht könnte sie mit ihrem Bruder von hier weggehen. Aber das würde wohl ein Traum bleiben.

Bis du wieder LächelstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt